25.11.2011, Klassische Musik, die Trost spendet

Hamburger Abendblatt

Japaner lieben Berliner Philharmoniker wie Popstars

Japan ist für sie wie eine zweite Heimat. Aber diesmal ist alles anders: Erdbeben, Tsunami und Strahlenkatastrophe haben die Menschen und das Land erschüttert wie nichts mehr seit den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. So spielen die Berliner Philharmoniker, seit 1957 alle zwei Jahre auf Tournee im Land des Lächelns,  diesmal zum ersten Mal als UNICEF-Goodwill-Botschafter. Simon Rattle erklärt mit seinem großen Herz für Kinder und Leid in der Welt:“ Wir bewundern und haben großen Respekt vor der Art und Weise, wie die Japaner mit dieser Tragödie umgehen. Und wir hoffen, dass wir ihnen mit unserer Musik Trost und Freude schenken können“.

In einem Tag waren alle Karten in Tokyo ausverkauft

Gestern, beim zweiten von drei Konzerten in Tokyos Suntory Hall, stehen die Klassik begeisterten Japaner  nach dem Konzert bis zu drei Stunden lang Schlange für das Autogramm eines Musikers. Sie verehren „ihre Berliner“ wie Popstars. Am 15. Juli dieses Jahres poppten die 6000 Karten für die drei Konzerte im Internet auf. In nur 24 Stunden war alles verkauft. Für immerhin durchschnittlich 400 Euro. Bis kurz vor Konzertbeginn gingen noch einige auf dem Schwarzmarkt für 1000 Euro  weg.
Dabei war das gestrige Konzert für Sir Simon Rattle und seine Musiker ein ganz besonderes. Denn im Rahmen ihre Engagements für UNICEF übergab ihr Konzertmeister Daishin Kashimoto fünf „Solidaritätsbücher“ deutscher Mädchen und Jungen  auf der Bühne an die Kinder in den von Erdbeben und Tsunami besonders betroffenen Gebieten. Denn nach 3/11 - so nennen die Japaner in Anlehnung an 9/11 diesen schrecklichen Tag - wollten deutsche Jugendliche den japanischen Kindern ihr Mitgefühl ausdrücken und Mut machen. Sie schrieben tausende von Briefen, malten Bilder und dichteten gar Haikus, eine besondere japanische Gedichtsart.

In Sendai warteten 550 Schulkinder in einer Turnhalle auf die Musiker

Fünf Musiker es Orchesters machten sich dann aber im Rahmen der Tournee mit ihren Instrumenten im Shinkansen auf nach Sendai. Sie wollten  selbst erleben und hören, wie es den Menschen dort inzwischen  acht Monate nach dem Desaster ergeht. In der Turnhalle einer Grundschule warteten dann  550 Kinder auf sie und ihre der Musik. Mucksmäuschenstill saßen die Schülerinnen und Schüler  auf dem blanken Parkett und hörten mit großen Augen dem Bläserquintett der Berliner Philharmoniker zu. Noch bis vor kurzem hatten in dieser Turnhalle 2 500 Menschen auf Matten nach dem Tsunami Unterkunft gefunden. Noch heute denken alle dort jeden Tag daran. So hilft ein solches Konzert den schwer getroffenen Menschen und vor allem den Kindern: „Musik öffnet die Herzen und wir sehen es als unsere moralische Pflicht an gerade in Notzeiten an der Seite Japans zu stehen“, sagt der Vorstand des UNICEF-Goodwill-Orchesters Andreas Wittmann.

Viele Stars haben ihre Konzerte in Japan abgesagt

Denn viele Stars, wie auch  Anna Netrebko,  haben ihre Konzerte in Japan wegen einer befürchteten Strahlenbelastung abgesagt. Die meisten  Orchester reisten nur reduziert, nach langen internen Diskussionen  und  begleitet von einem Strahlenfachmann in das getroffene Land. Nicht so die Berliner Musiker. Sie wollen jetzt einfach nur helfen. Mit dem Mini-Konzert für die Kinder in Sendai und mit den drei großen Konzerten  in Tokyo.“ 
Erstaunt hat die fünf Bläser die Aufräumleistung der die  tüchtigen Japaner . Alle 200 000 vom Tsunami betroffenen Kinder gehen inzwischen wieder in die Schule. Wenn auch noch mancher Unterricht  in Containern abgehalten wird.  UNICEF Japan lieferte Tische, Stühle und transportfähige Toiletten. Die lokalen Behörden erhalten bis heute von den Freiwilligen  Unterstützung bei der Gesundheitsversorgung von Kindern und Müttern. Vor allem psychologische Betreuung ist jetzt nötig.  Die größte Freude für den Direktor der Grundschule in Myagi aber ist: alle 49 000 evakuierten und erst mal elternlosen Kinder konnten inzwischen  wieder mit ihren Familien oder Angehörigen zusammengebracht werden. 

Die Menschen spendeten mit großem Herzen

Das Drama in Japan weckte nicht nur viel Mitgefühl bei den Menschen, sondern öffnete auch ihre Geldbeutel: insgesamt kamen rund 300 Millionen Euro weltweit zusammen. Aus Deutschland über Caritas, das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF alleine 38,2 Millionen Euro. Inzwischen bedanken sich die Japaner ein wenig beschämt. Sie versichern, dass sie keine weiteren Hilfsleistungen aus anderen Ländern benötigen.