26.11.2014, Eine Frau mit Mut und Wut- Dr. Lea Ackermann

Laudatio zur Verleihung des Augsburger Friedenspreises an die Nonne

Mut hat sie, und Wut hat sie auch. Einen großen Mut im Herzen, eine unglaubliche Wut im Bauch. Es ist mir eine große Ehre heute hier an diesem Ort die Laudatio auf diese Frau halten zu dürfen.
Eine gelernte Bankkauffrau, eine Nonne, promoviert, eine die sich weltweit einsetzt gegen Gewalt und Missbrauch von Frauen. Konkret: gegen Prostitution. All diese Fakten allein zeichnen schon das Bild einer außergewöhnlichen Frau, eines ganz besonderen Menschen:
Schwester Dr. Lea Ackermann.
Die will ich versuchen jetzt- ein wenig- zu skizzieren. Sie Ihnen nahe bringen. Damit Sie, verehrte Gäste dieses Friedenspreises mit dem Wissen nach Hause gehen: es wurde die genau Richtige ausgezeichnet.

Mit Liebe und Leidenschaft

Wo beginnen, bei einem Menschen, der einem seit nun 25 Jahren vertraut ist? Wie diese unglaubliche Leistung der temperamentvollen Saarländerin beschreiben, ihre Tage, ihren Terminkalender, pendelnd zwischen den Kontinenten. Heute spricht sie in Brüssel vor dem Parlament , morgen liest sie in Berlin den Politkern in Sachen Prostitutionsgesetz die Leviten . Immer und unverbrüchlich „ihre Frauen" im Visier. Deren oft aussichtlose Schicksale sie mit Leidenschaft und Liebe in ein besseres Leben wenden möchte. Dann schnell in den Flieger nach Kenia, oder Ruanda. Economy, klar... Nie ein wenig Ruhe, kein noch so kurzes Innehalten...denn ihre Themen sind nicht gelöst, ihre Probleme nicht beseitigt. Nein, für ein Ausruhen ist keine Zeit. Wann aber mal, liebe Lea??

„Ich sollte was Ordentliches machen" diesen Satz ihres Vaters zitiert Lea gerne, wenn sie sich an ihre Kindheit erinnert. Die Tochter eines bodenständigen Bauunternehmers absolvierte auf Wunsch der Eltern eine Banklehre. Wurde Bankkauffrau. Seitdem kann sie rechnen. Und wie! Das ist auch überlebensnotwendig, bei der stets knappen Finanzlage ihre Hilfsorganisation...
Nach einem Jahr schickt die Bank sie nach Paris. Das gefällt der jungen Frau schon besser, die immer schon am liebsten hinaus in die Welt starten will. Vielleicht als Lehrerin, das ist einer ihrer Wünsche.
Klar war aber auch für Lea: sie würde nie im Leben in ihrem Heimatort bleiben wollen, gar heiraten und Kinder kriegen.
Wir kennen den Spruch ja alle: der Mensch denkt, Gott lenkt.
Lea hat sich lenken lassen. Denn sie war schon immer auch: ein gläubiger Mensch.

Mit High Heels vor dem Klostertor

So landet die Bankkauffrau- in einem Orden. Wie das zusammenpasst? Eigentlich gar nicht, wie so vieles bei ihr. Gab es eine Erleuchtung? Ein besonderes Erlebnis, dass Lea an der Klostertüre pochte? Nein- eher das Gegenteil.
Nach einer durchtanzten Nacht mit den Bankkollegen verschlägt es sie im verschwitzen Kleidchen und hochhakigen Schuhen in Trier vor die Tores eines Klosters. Genauer: des Ordens „Unserer lieben Frau von Afrika".
Jetzt ist sich Lea sicher: Das ist es, das ist die Welt und Gott, die Aufgabe und das Glück. Die Eltern- klar, die sind erst mal entsetzt aber bringen ihre Tochter dann selbst dorthin. Zwei Jahre prüft sie sich gründlich. Dann legt Lea nach acht Jahren in diesem Orden die ewigen Geluebde ab.

Über Lea Ackermanns Leben gibt es viele Bücher. Sie selbst hat geschrieben, Interviews in nicht mehr zählbarer Menge gegeben.
Nur einige Titel, um ihre Themenbereiche zu umreißen:
„Verkauft, versklavt, zum Sex gezwungen."
„Über Gott und die Welt: Gespräche am Küchentisch mit Prof. Pater Fritz Köster."
„Um Gottes Willen Lea! Mein Einsatz für die Frauen in Not."

Bei einer Suchanfrage bei google kommen in kurzer Zeit 681 000 Ergebnisse...

Sie ist vollkommen ohne Angst

Der heutige Abend würde nicht reichen, um auch nur ansatzweise dem Leben der Lea Ackermann gerecht zu werden.
Ich möchte mich darum auf zwei Themen beschränken, die aus meiner Sicht den Menschen Lea, die Frau und die Nonne auszeichnen.

Da ist einmal ihr Mut. Anzupacken, wo sie Unrecht sieht. Es zu ändern, immer Lösungen zu finden. Und mögen sie auch noch so verrückt erscheinen. Gepaart mit ihrem Mut ist auch ihre Angstfreiheit. Weder vor Oberen in der Kirche oder Politik, noch vor gewalttätigen Menschen, sei es in Afrika, Asien oder hier in Europa. Sie kuscht nicht, nie. Sie kann nicht kuschen.
Lea kommt mir oft wie eine Löwin. Ihre Jungen sind die Millionen Frauen, die zum Sex gezwungen werden, ausgebeutet, geschlagen, missbraucht und zum Ende zu verlassen werden. Meist mit Kindern, deren Väter sie nicht kennen. Ohne Pässe, ohne Recht und ohne menschlichen Rückhalt. Das ändert Lea, da hilft sie, mit ihrer Organisation „Solwodi", Solidarity with women in Distress.

„Keine Frau arbeitet freiwillig als Prosituierte", ist längst ihre Lebenserfahrung. Denn Prostitution ist kein Beruf. Die Gewalt im Rotlichtmilieu trifft besonders Frauen. Die Folge: Frauen werden zur Ware und als solche gehandelt.
Das Prostitutionsgesetz aus dem Jahre 2002 hält sie darum für vollkommen falsch und fordert dringend die Politiker und Politikerinnen in Berlin auf, es endlich zu verändern.
48 Mitarbeiterinnen in 14 Beratungsstellen stehen ihr in ihrem immerwährenden Kampf zur Seite. In sieben Schutzwohnungen finden Ausländerinnen eine Bleibe und ein Bett. Können bleiben bis zum Prozess gegen die Täter. Notfalls mit einer neuen Identität. Kaum eine Polizeistation, eine Staatsanwaltschaft oder ein Innenministerium in Deutschland wo Lea nicht schon deshalb vorgesprochen hätte. Sich nicht und nie hat abweisen lassen, gekämpft hat, für ihre Sache.

Ihr kann keiner eine Bitte abschlagen....

Denn zu ihrem Mut kommt das Beharrungsvermögen, die Durchsetzungskraft,- und alles unterfüttert von ihrer Wut. Im Bauch. Keiner kann ihr was abschlagen. Keiner, der dieser kämpferischen Nonne je begegnet ist.

Das zeigt sich schon ganz früh in Kenia. Sie sucht dort für die Frauen einen Ausweg aus der Prostitution. Überlegt gemeinsam mit ihnen, was sie anderes tun könnten. Daraus entstehen viele Initiativen. Frauen werden plötzlich Automechanikerinnen, Köchinnen, Friseurinnen. Junge Mädchen gehen zur Schule und singen in der Freizeit im Chor oder spielen Theater. Einige gründen einen Fußballverein. Der Deutsche Fußballbund hat davon erfahren und lädt jetzt jedes Jahr zwei der Fußballerinnen aus Leas Gruppe zum Internationalen Trainerlehrgang ein. „Es ist unglaublich, was in den Mädchen steckt", sagt sie in diesem Jahr auf dem Regensburger Katholikentag.

Die Nonne kämpft gegen die Prostitution

Der zweite außergewöhnliche Aspekt an Lea Ackermann setzt sich zusammen aus ungewöhnlichen Ausrichtungen, um es mal so generell zu formulieren. Aus der Kombination Frau, die sich für Prostituierte einsetzt, und dort : gläubige Nonne. Dieser Spannungsbogen, so will ich das mal nennen, interessiert auch immer wieder die journalistischen KollegInnen und Kollegen, die Medien – und die Kirchentage. Kein Katholikentag ohne Lea. Diese inhaltliche Kombination hätten sich auch raffinierte Werber und Medienmanager ausdenken können, um die größtmögliche Öffentlichkeit für ein Thema zu erreichen.
Das aber, und da lege ich für Schwester Lea die Hand ins Feuer, war nie ihr Gedanke.

Nein, sie ist gläubig. Zutiefst gläubig. Ihr Zuhause mit ihrer Organisation hat sie in Hirzenach hoch über dem Rhein gefunden.
Ihr Lebensfreund, Pater und Prof. Fritz Köster hat dort neben einer Professur eine kleine Pfarrei übernommen. Verbunden mit dem Wohnrecht im Pfarrhaus. Groß genug für Lea und ihre Solwodi-Mitarbeiterinnen.
Lebens-Freund fragen Sie jetzt vielleicht? Wie geht das bei einer Nonne und einem Priester? Beide engagiert katholisch, der Kirche verbunden und natürlich damit dem zölibatären Leben. Dem sie sich dann ihr ganzes Leben lang gebeugt haben. Kennengelernt haben sie sich, als der eine, der Mann, in München während des Studiums mit seinem alten stotternden Auto im strömenden Regen nur schwer aus einer Parklücke kam und sie, die Studentin, ihm bald daraufhin in rasanter Nachtarbeit seine Doktorarbeit von 150 Seiten abtippte...leider hat Pater Fritz in diesem Jahr den Weg zu seinem Gott gefunden.

Franz von Assisi ist ihr männlicher Schutzheiliger

Pater Fritz konnte in seine kleine Kirche Sonntag für Sonntag mehr Menschen locken, als Platz war. Und Lea findet dort oben über dem Pfarrhaus immer wieder zwischendurch ein paar Minuten um zu ihrem Gott zu beten. Wenn wieder mal in Mombasa nichts richtig lief, wenn sich ein Staatsanwalt quer stellte und den Zeugenschutz einer ihrer Schützlingsfrauen verweigerte. Wenn eine junge Frau plötzlich in der Schutzwohnung in Angst und Depression verfiel, weil die untätige Zeit bis zum Prozess so lang gerät...Dann geht Lea beten.

Franz von Assisi ist ihr männlicher Lieblingsheiliger. Sie bezeichnet ihn als „Umstürzler mit Charme" Einen Revolutionär der Sprach- Macht- und Mittellosen, obwohl reich von Geburt. Er wechselte die Seiten. Er machte es sich freiwillig schwer. Und Solwodi ist für sie der Versuch, den „Seitenwechsel des Franziskus aktuell nachzuvollziehen.".

Es sind immer einzelne Menschen, die etwas bewegen

Päpste kommen und gehen- mag sich die Nonne Lea wohl auch manchmal denken. Bei den unterschiedlichen Positionen die da in Rom vertreten werden. Der jetzige Papst, Franziskus, ist ihr sicherlich am nächsten. Denn Lea ist wie er überzeugt, dass es nie die Masse ist, die eigenständig denkt, und einen anderen Weg einschlägt, sondern immer Einzelne, die sich dafür entscheiden und dann Gleichgesinnte suchen.

Da hilft es ihr, und Solwodi, und den Frauen ungemein, dass man Lea Ackermann beim besten Willen nichts, aber auch wirklich nichts abschlagen kann....Mut und Wut. Und Überzeugungskraft.
Eine unwiderstehliche Kombination...

Sie hat eine ganz eigene Art zu beten: es bedeutet für sie Kontakt mit Gott aufzunehmen. Zu versuchen ihm nahe zu sein. Aber stets an ungewöhnlichen Plätzen: Lea Ackermann betet beim Einkaufen und auf Spaziergängen, beim Autofahren oder auf Wallfahrten. Alle Probleme, die sie bewegen, trägt sie ihrem Gott vor. Sie bittet ihn, ihr und anderen zu helfen. Sie bedankt sich bei ihm, wenn er geholfen hat. – Und das tut er wohl oft, wenn man sich ihr Leben betrachtet. Zu Gott zu beten ist Liebe, sagt die Nonne. Wer will da zweifeln?

Mit Pater Fritz zieht sie zwei Kinder groß

Ich könnte jetzt von den Kindern erzählen, die Pater Fritz und Lea, wie ein Ehepaar, groß gezogen haben. Die sie als Babys aufnahmen in ihrem Pfarrhaus, weil sich die Mütter nicht zu kümmern vermochten. Trixi und Jojo sind heute groß, die eine studiert, der andere hat einen beglückenden Job gefunden.

Ich könnte von ihrer Doktorarbeit erzählen: "Erziehung und Bildung in Ruanda". Schon damals also: Afrika. Ihr Engagement in der katholischen Kirche als Mitglied des Zentralrates der Katholiken erwähnen. Sie zitieren: "Ich bin Ordensschwester geworden, liebend gerne, ich wollte mich ganz in den Dienst der Kirche stellen. Aber mitzuentscheiden habe ich nicht viel, weil die Entscheidungskompetenz an das Amt gebunden ist", kritisiert die Nonne dann schon mal ihre Kirche. Wen wundert es ,wenn sie darum kämpft , dass auch Frauen in ihrer katholischen Kirche Priesterinnen werden dürfen.

1,2 Millionen Männer gehen täglich zu einer Prostituierten in Deutschland

Ich könnte erzählen von ihrer Wut und ihrem Entsetzten über all die vielen unsäglichen Flatrate-Bordelle . „"Sex mit allen Frauen, so lange du willst, so viel du willst „....und so weiter.. Das regt sie unglaublich auf. Wie sie schon seit über zehn Jahren lautstark eine Bestrafung der Freier fordert. Immerhin gehen täglich 1,2 Millionen Männer in Deutschland zu einer Prostituierten. Dies ist keine Fiktive Zahl! Das ist statistische Realität. Ich könnte auch ihren letzten Solwodi-Rundbrief erwähnen, wo sie zusammen mit Alice Schwarzer fordert „Schluss mit Sexkauf in Deutschland".

Das lasse ich jetzt sein. Ihr wirklich gerecht zu werden in all ihren Facetten, scheint mir vermessen. Nur noch ein paar persönliche Worte zum Ende meiner Laudatio.
Ich danke Dir für Deine immerwährende Freundschaft. Dein stetes Mitfühlen als Freundin und Dein Mitkämpfen bei den gleichen Themen, die uns verbinden: das Unrecht das weltweit Frauen und Mädchen geschieht, unsere katholische Kirche, die Frauen darin. Und überhaupt.. alles Unrecht dieser Welt.
Herzlichen Glückwunsch zum Augsburger Friedenspreis 2014, liebe Lea. Wer, wenn nicht Du, würde ihn verdienen.