04.02.2016, Paderborner Kolloquium zur Philosophie

„Wo finden wir Gerechtigkeit in den Medien? Wie wird Gerechtigkeit transportiert?"

Vortrag von Maria von Welser, Publizistin und TV-Journalistin
Am 4. Februar 2016, 16 Uhr im Hörsaal O 2 der Universität Paderborn

Ich möchte gleich mit einem aktuellen Beispiel beginnen, mit einer Meldung, die Sie sicherlich in den letzten Tagen in den Zeitungen, im Radio, im Fernsehen oder im Internet gefunden haben: es geht um eine 13jährige Russlanddeutsche.
Und um eine vermeintliche Vergewaltigung.
Denn kaum eine andere Tat emotionalisiert so, wie der Missbrauch von Minderjährigen. Schon ein Gerücht genügt- und die Menschen sehen rot. Und wer rotsieht ist für die Fakten blind.
Seit mehr als einer Woche hält das russische Staatsfernsehen das Gerücht am kochen, dass Flüchtlinge ein in Berlin lebendes Mädchen missbraucht hätten. Zunächst war sogar von einer Massenvergewaltigung die Rede.

Der russische Außenminister sprach bei seiner Jahrespressekonferenz den Fall an. Dieser sei von den deutschen Behörden „Verschwiegen" worden, das Mädchen sei „zweifellos nicht freiwillig 30 Stunden verschwunden gewesen". Die Behörden seien blind und überfordert von der Flüchtlingssituation. Deutschland würde damit nicht fertig werden.
Inzwischen hat sich bewahrheitet, was die Berliner Polizei sehr schnell bei ihren Ermittlungen herausbekommen hatte: das Mädchen war freiwillig bei einem Freund untergeschlupft. Keine Spur von Vergewaltigung, geschweige denn von einer Vergewaltigung durch Flüchtlinge.

Das Problem dabei: Russlanddeutsche – die wohl vor allem wegen mangelnder Deutschkenntnis das russische Staatsfernsehen sehen - haben in mehreren Städten gegen den Zuzug von Flüchtlingen demonstriert. Vor dem Kanzleramt in Berlin, für die Kameras des russischen Fernsehens. Dabei verfolgt die russische Propaganda wohl ein klares Ziel- erinnern wir uns an die Krim-Annektion: hier soll der Schutz russischer Landsleute, also des 13jährigen Mädchen, vorgeschoben werden. Vor allem auch um von den Problemen zu Hause abzulenken. Aber auch um mit Hilfe von Hundertausenden von Russlanddeutschen das politische Klima im Westen zu destabilisieren. So etwas ist nicht neu, so etwas kommt immer wieder vor. Und: einseitige Berichterstattung, Gerüchte, Stimmungen, Vermutungen, haben schon oft Kriege ausgelöst.....

Damit wären wir beim Thema: was tun, in einem solchen Fall? Wie ist die einseitige Berichterstattung zu verhindern? Wie kann man erreichen, dass Menschen umfassend, fair, gerecht informiert werden?

Machen Sie mit mir einen kleinen Ausflug in die Philosophie der Gerechtigkeit:

Gerechtigkeit ist eine sowohl moralische als auch politische Grundnorm. Es geht um gerechte Verteilung. Um gleiche Rechte für alle, Frauen, Männer, Kinder, Alte, Farbige, Weiße und so weiter.

Und mir geht es um Geschlechtergerechtigkeit, um Geschlechter-Gleichheit.
Kennt jemand den Gerechtigkeitsbrunnen in Frankfurt? Die Darstellung der „Gerechtigkeit" im westlichen Kulturkreis ist die urteilende Justitia, mit Waage( also abwägend) mit Schwert( strafend) und mit einer Binde vor den Augen( ohne ansehen der Person.)
In der Antike war das Thema Gerechtigkeit Gegenstand unzähliger philosophischer Erörterungen. Zwischen einer von der Natur eingerichteten Ordnung bis hin zum göttlichen Ursprung. Ein weites Feld....

Sokrates ( 469 v. Chr.)sieht gerechtes Handeln als Voraussetzung für das anzustrebende Gute, das er mit Glück gleichsetzt. Rechtes Handeln als Folge von rechter Einsicht. Und: Wer Unrecht tut, schadet sich selbst. Platon glaubt an die innere Haltung der Seele.

Aristoteles ( 384 v. Chr.)versteht unter Gerechtigkeit eine Tugend, die auf den Mitbürger bezogen ist. Wer mehr will als ihm zusteht und damit Ungleichheit schafft, verstößt gegen die Gerechtigkeit. Für ihn ist die Gerechtigkeit etwas Menschliches. Sie ergibt sich aus den Beziehungen der Menschen untereinander.

Bei Epikur ( 341 v.Chr.)beruht die Gerechtigkeit auf der Übereinkunft zwischen den Menschen. Wie ein Vertrag. Sich nicht zu schädigen, und nicht geschädigt zu werden.

Cicero ( 106 v. Chr.)ist ihm ganz nahe: er sieht in der Gerechtigkeit eine vernunftgemäße Verhaltensweise, die am ehestens geeignet sei, die Zusammengehörigkeit der Menschen und die Bewahrung der Lebensgemeinschaft zu fördern.
Damit in Verbindung bringt er die Güte." Die erste Aufgabe der Gerechtigkeit aber ist es" so schreibt er, „dass keiner dem anderen schade..."

Der Brite Thomas Hobbes, er lebte in Wiltshire im Süden Englands im 16. Jahrhundert, formuliert den berühmten Satz: Der Mensch ist des Menschen Wolf. Es findet ein Krieg aller gegen alle statt. Das einzige natürliche Recht des Menschen ist das auf Selbsterhaltung. Er ist selbst sein eigener Richter, der sich an seinen eigenen Zwecken orientiert.

Daraus ergeben sich die Konflikte mit anderen. Und da hilft ihm nur vernünftige Klugheit, die ihn dazu bringt, natürlichen Geboten zu folgen. Das führt zu einem Gesellschaftsvertrag, der das Verhältnis der Bürger untereinander bestimmt. Weil er auf der Freiwilligkeit der Beteiligten beruht.

Ich überspringe jetzt die großen Denker Jean Jacques Rousseau ( 1712) und Immanuel Kant.( 1724)
Und komme damit zu dem Thema, das mich mein journalistisches Leben immer beschäftigt , ja geleitet hat: Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

Wie schwer es war, dieses Paragraphen 1948 in unser Grundgesetz hineinzuschreiben, wie sehr sich die Männer damals gewehrt haben, und es letztlich eine Frau, Elisabeth Selbert, eine Juristin, erreicht hat,
das möchte ich Ihnen mit diesen Filmausschnitt jetzt noch einmal deutlich machen:

FILMAUSSCHNITT 1: 13.00—16.00

Elisabeth Selbert lebt nicht mehr. Aber sie hat inzwischen Hundertausende an nachfolgern, weltweit. Zum Beispiel auch den indischen Ökonomen Amartya Sen. Er ist ein vehementer Vertreter der gleichen Rechte von Männern und Frauen. Eine Gesellschaft ist um so gerechter, je mehr ihre Mitglieder sich darin verwirklichen können- das schreibt er in seinem jüngsten Buch.

Und:
Er wirft der indischen Regierung vor, immerhin der Regierung seines Heimatlandes , die Frauen zu missachten. Er prophezeit darum seinem Land in Bälde den Untergang...wenn sich da nicht etwas ändern würde.

Gewalt gegen Frauen dient ihrer Einschüchterung, ihrer Verunsicherung. Sie findet überall in der Welt statt. Ausgeübt von Männern. Die haben die Macht. Sie gebrauchen und missbrauchen sie. Vor allem in Krisen- und Kriegsgebieten.
Journalistinnen und Journalisten berichten darüber, decken es auf, riskieren ihr Leben. Damit niemand sagen kann, er habe es nicht gewusst.

Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder löste mit folgendem Satz eine heftige Diskussion über die Rolle und den Einfluss der Medien im politischen Prozess aus. Er behauptete :"Zum Regieren brauche ich nur Bild, BamS und die Glotze"....
Er formuliert damit seine Beziehung zur „Vierten Gewalt". Nach Legislative( der gesetzgebenden Gewalt, also dem Parlament), der Exekutive( Regierung und Verwaltung) und Judikative( Rechtssprechung, Gerichte).

Ist das so? Sind Medien eine „vierte Gewalt im Staate"? Nein- das kann und darf nicht sein.
Medien, also Radio, Fernsehen, privat und öffentlich-rechtlich, Zeitungen und Zeitschriften und inzwischen für die jungen Menschen: das Internet , sollen keinesfalls Teil eines Staates sein, sondern unabhängige Mittler zwischen Staat und Gesellschaft.

Da sie aber den Politikern auf die Finger schauen, über Kriege, Krisen und die Wirtschaft berichten, im Boulevard die persönlichen Geschichten von Stars und Sternchen ausbreiten, Missstände und Skandale aufdecken deshalb sind sie ein unverzichtbares Korrektiv einer funktionierenden Demokratie. Und wieder zum Beispiel Russland: eben auch ein Machtinstrument eines diktatorischen Landes.

Wie aber , wird Gerechtigkeit dann tatsächlich transportiert? Ist sie zu erkennen? Zu erspüren?
Als überzeugte öffentlich-rechtliche Journalistin will ich sie kurz entführen in das Jahr 1948, der Krieg ist drei Jahre vorbei. Radio, bei nur wenigen reicheren Leuten der schwarz-weiße Fernsehapparat , und vor allem eine manipulierte Presse haben dazu beigetragen, dass die Deutschen begeistert Hitler gefolgt sind. Überall hin, auch in einen verhängnisvollen Krieg.

Damit nie wieder in der Geschichte Europas ein Land und ein Volk derartig manipuliert werden kann von den Medien, haben sich 1948 führende Medienfachleute und Politiker aus Großbritannien, den USA und Frankreich mit unbescholtenen Deutschen an einen Tisch gesetzt und ein „Rundfunkrecht" formuliert, das den Einfluss der Medien auf die Politik ein für alle mal unterbindet und verhindert.

Ich habe in London gelebt, und das ZDF-Studio dort geleitet. Die BBC zum Beispiel wird von einem Gremium kontrolliert, das von der amtierenden Regierung bestimmt wird. Die deutschen Rundfunkgremien setzen sich nur zu fünf Prozent aus Vertretern der Politik zusammen. Ansonsten: Kirchen, Landfrauenverbände, Hilfsorganisationen, Vereine, Gewerkschaften - eben bevölkerungsrelevante Gruppierungen.

Im ZDF im Fernsehrat war das anders, darum hat das Bundesverfassungsgereicht im letzten Jahr entschieden, dass der Einfluss von Staat und Parteien auf das ZDF ist zu groß sei und dass die Besetzung der Gremien bei dem öffentlich-rechtlichen Sender der Rundfunkfreiheit widerspricht.
Der Anteil von Politikern und "staatsnahen Personen" müsse von derzeit mehr als 40 Prozent auf ein Drittel reduziert werden. Zudem dürften Politiker bei der Auswahl der aus gesellschaftlichen Gruppen entsandten Mitglieder des Fernsehrates "keinen bestimmenden Einfluss" mehr ausüben.

Ich kann Ihnen versichern, dass in meinen neun Jahren im BR, in den 16 Jahren im ZDF und in den 7 Jahren in der ARD niemand, und schon gar kein Politiker versucht hat Einfluss auf mich und meine redaktionellen Entscheidungen zu nehmen. Kein Thema war untersagt, manchmal musste man ein wenig länger kämpfen, gegen männliche Intendanten und Chefredakteure. Aber ich konnte alle Themen umsetzen.

Als ich sechs Jahre bei der Münchner Abendzeitung arbeitete, waren dort alle Themen, die mit Anzeigenkunden zu tun hatten, tabu. Und als in der benachbarten Süddeutschen Zeitung einmal ein Kollege in der Wirtschaftsredaktion über den Versuch der Installierung eines Betriebsrates bei Aldi Süd berichtete, hat Aldi Süd für ein ganzes Jahr alle Anzeigen storniert.

Ein Millionenschaden. Wird der Kollege jemals wieder darüber schreiben? Ihn ein Chefredakteur dazu ermutigen?

Sicher: Politik und Journalisten und Journalistinnen haben ein enges Verhältnis zueinander. Politiker wollen ihre Botschaften vermitteln, wir Journalisten wollen darüber berichten. Wir verreisen mit ihnen- sollten aber die Reise vom Arbeitsgeber bezahlt bekommen und nicht eingeladen werden.
Wir sitzen in Hintergrundgesprächen zusammen, unter „3", und halten uns überwiegend an die Vereinbarung weder Quelle noch Inhalt weiterzutragen. Auch die Kanzlerin lädt zu solchen Treffen. Mein geschätzter Kollege Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung spricht allerdings dabei von einer etwas „klebrigen" Nähe.

Ich habe es immer mit dem hübschen Satz im „Kleinen Prinzen" von Antoine de Saint-Exupery gehalten. „Was Du Dir nahe machst gewinnst Du lieb". Also möglichst keine zu große Nähe.... Mit den Politikern reden, ja. Sie einladen in Sendungen, interviewen, ja, unbedingt. Aber eben dann nicht hinterher auf einen Wein gehen....
Sonst verliert man die spitze Formulierung, sonst gerät einem die nächste investigative Frage wachsweich, es kommt einem womöglich die Klarheit im Kopf abhanden.

Denn um gerecht zu berichten, bedarf es der Unabhängigkeit, des Mutes, der guten Ausbildung und auch ein klein wenig der Wut. Die ich als Frau und Journalistin immer verspürt habe, wenn mir die Ungerechtigkeit bei der Darstellung von Sachverhalten von Geschichten schlicht und ergreifend auf den Geist- und nicht auf den Sack- gegangen ist.

Meine Studierenden haben im letzten Semester fast mit links folgende Hausaufgabe gelöst: Sie sollten an einem Abend und am nächsten Morgen, vor dem nächsten Block, Themen im Internet, im Radio, im Fernsehen in der Zeitung finden, in denen sie die Ungerechtigkeit der Berichterstattung als erwiesen sehen. Alle, alle hatten Beispiele. Und sagten auch, wenn sie nicht sensibilisiert darauf gewesen wären, hätten sie es überhört, überlesen, nicht bemerkt.
Zum Beispiel die einseitige Berichterstattung über die Situation in den Paderborner Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge. Im Spiegel, bei Spiegel online stellt die Studierende fest, wie mit Konjunktiven und Vermutungen gearbeitet wird, wie eine Stimmung hergestellt wird, Tatsachen in den Raum geraten, die nicht stimmen. Denn die Studierende arbeitete dort in dem betroffenen Flüchtlingslager. Sie konnte es also wahrlich selbst beurteilen....Das war übrigens vor Köln.

Nach Köln- da hat sich viel geändert in diesem Land. Und wieder sind es manche Medien, die hier auf den Zug aufspringen, Stimmung machen, Einzelfälle herausgreifen und damit die politischen Gewichte in Deutschland verschieben. Von der Willkommenskultur am Bahnhof in München, oder Hamburg, hin zu den Meinungsumfragen, dass die Mehrheit der Deutschen angeblich nicht mehr glaubt "Wir schaffen das". Da helfen dann alle anderen Argumente nicht mehr. Weil sie nicht mehr wahrgenommen werden, nicht mehr gehört, gelesen, gescrollt am iphone oder Handy....

Und darum noch einmal zurück zu Elisabeth Selbert und unserem Grundgesetz Paragraph Nr. 3. Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Das heißt für mich auch: sie kommen gleichberechtigt vor, hinter den Kulissen und auf der Bühne der Berichterstattung.

Denn Männer und Frauen sind nicht gleich, das wurde ja damals gefordert und stimmt nicht. Wir sind anders. Nicht besser nicht, schlechter, einfach anders. Und damit sich die Gesellschaft in den Medien gerecht wiederspiegelt, sollten wir gleichermaßen vorkommen. So weit sind wir, denke ich, einer Meinung. Nur: wenn bei den Zeitungen, Zeitschriften, im öffentlich-rechtlichen und im privaten Radio und Fernsehen die Leitungspositionen zu 92,7 Prozent von Männern besetzt sind- dann werden Männer die Themen setzen. Was sie auch tun. Und: Die sind anders, als es die Themen der Frauen sind.
Ich bin gespannt, wie sich BILD und BamS inhaltlich weiter verändern, da sie beide inzwischen von Chefredakteurinnen geführt werden....

Aber zurück zum Beispiel zum Fernsehen. Die Intendantin und die Fernsehdirektorin des WDR- perdu, und von Männern nachbesetzt. Die Berliner Intendantin will diesen Sommer gehen- ich wette mit ihnen, es wird ein Mann folgen. In den 11 ARD-Anstalten dann nur noch: eine Frau, in Leipzig, beim MDR. Zeitungschefredakteurinnen- weit gefehlt. Die muss man richtig suchen.
Darum ist aus meiner Sicht keineswegs Gerechtigkeit in den Medien gesichert.

Noch ein paar Beispiele, die Sie sicher auch alle erinnern:
Jörg Kachelmann....der Wettermann der ARD. Erfolgreich, witzig auf dem Schirm. Und dann die Meldung: Verdacht auf Vergewaltigung seiner Freundin. Einer seiner Freundinnen.

Die sprach dann in BUNTE, Alice Schwarzer schrieb in der BILD. Alle waren sich sicher: das hat er getan. Von „in dubio pro reo" keine Rede mehr. Nach 132 Tagen in U-Haft dann ein Freispruch. Obwohl er von der Öffentlichkeit längst vorverurteilt war. Seine Existenz zerstört. Seine Firma am Boden. Er gewinnt gegen den Springer-Verlag, der muss zahlen. Die „Bild"-Zeitung hat vor Gericht eine krachende Niederlage gegen Jörg Kachelmann erlitten. Doch kann er sich über die 635.000 Euro Schmerzensgeld freuen? Das Verfahren ist nicht beendet, seine Folgen sind noch nicht absehbar. Das alles war nicht gerecht. Das ist das höchste Schmerzensgeld, das ein deutsches Gericht jemals gegen ein Medium verhängt hat.

Das ist ein Statement, das nicht nur die „Bild" hart trifft, sondern den Boulevardjournalismus insgesamt. Und es ist auch ein Zeichen kürzer zu treten für andere Blätter, an die man beim Stichwort „Kampagnenjournalismus" nicht gleich denkt. Das Landgericht Köln statuiert ein Exempel, von dem man noch nicht weiß, wen es alles betrifft.

Eine andere Geschichte: Fukushima. Das Reaktorunglück in Japan. Medienforscher kritisieren heute, dass die deutschen Medien und auch die Schweizer – im Vergleich zu Frankreich und Großbritannien – zu viel und zu emotional berichtet hätten. Damit sei der atomare Ausstieg thematisiert worden und vorangetrieben. Die deutschen Medien hätten darum an der Energiewende mitgewirkt.

Nachvollziehbar? Ich denke schon. Dass die Energiewende zu schnell und zu wenig durchdacht umgesetzt worden ist, dass die Politik wohl auch unter dem Druck der öffentlichen Diskussion so entschieden hat, ist heute unbestritten. Leider auch die Erkenntnis, dass vermutlich jeder Steuerzahler dafür zahlen muss.

Keiner kann sich im Augenblick in diesem Land der Diskussion über die Flüchtlingssituation entziehen. Jede Talkshow, ob Illner, Will, Maischberger oder Plasberg diskutieren das Thema rauf und runter. Nicht immer haben uns Flüchtlinge so bewegt. Erinnern Sie sich noch an 1992, Krieg auf dem Balkan, der Zerfall von Titos Reich.

Ich habe damals in der Abendzeitung den Bericht einer Kollegin gelesen, dass die serbische Kriegsführung die Vergewaltigung von bosnischen Frauen als Kriegsziel bezeichnet hat. Um die Familien, die sozialen Strukturen in Bosnien zu zerstören. Und auch damals waberte ein Gerücht durch Serbien: die bosnischen Familien, allesamt Muslime( kommt ihnen das bekannt vor? ) bekommen zu viele Kinder, eines Tages sind sie in der Überzahl auf dem Balkan und überstimmen uns.
Ich bin damals mit einem Kamerateam nach Zagreb in die Flüchtlingslager, Sarajewo war drei Jahre abgeschlossen...Luftbrücke der NATO...

FILMBEISPIEL BOSNIEN 16.00-20.00

Ergebnis der Sendung 1,8 Millionen DM Hilfsgelder- an Frauenprojekte in Zenica, Tuszla, Sarajewo. Gelder selbst überbracht...Fotografiert!
Mazowiecki-Kommission: 50 000 Frauen vergewaltigt.
Sie reden heute. Begegnen allerdings ihren Vergewaltigern auf der Straße. Den Haag verurteilt- aber wegen anderer Kriegsverbrechen.

Zum Schluss aber möchte ich doch noch einmal auf die aktuelle Situation in Deutschland, in Europa kommen. Nach Köln.
Das war sicher schrecklich, bitter für die jungen Frauen. Über 700 Anzeigen. Sie wurden begrapscht, bestohlen, sexuell angemacht. Dieses Geschehen hat sicherlich auch zu der schnellen Verabschiedung des Asylgesetzes Nr. 2 geführt, Marokko, Tunesien und Algerien sollen sichere Herkunftsländer werden. Wenn die Grünen im Bundesrat dem Gesetz zustimmen.

Aber: haben wir uns aufgeregt, als hunderte Frauen bei den Demonstrationen auf dem Kairoer Tahrir-Platz abgedrängt und vergewaltigt wurden? Wer hat darüber berichtet? Auf den Auslandsseiten der Zeitungen nur eine kleine Meldung, ein kurzer Bericht im Auslandsjournal...das war´s.
Sind wir so aufgeregt über Köln, weil es so nah ist? Verändert sich Berichterstattung vom Inhalt her und von der Qualität, wenn es vor unserer Haustüre passiert?

Und noch etwas: Was sagen wir dazu, dass bis zu diesem Januar 2016
75 Prozent der Flüchtlinge Männer waren, junge Männer? Erst jetzt im vergangenen Monat waren es mehr Frauen und Kinder auf der Balkan-Route auf dem Weg nach Deutschland. Weil sie Angst haben, dass eine Familienzusammenführung nicht mehr möglich sein könnte. Durch das neue Asylgesetzt zwei....

Hier sind wir Journalisten und Journalistinnen gefragt. In dem wir berichten, ausgewogen, anständig, gut recherchiert. Immer den sechs „W´s verpflichtet:
Wer macht was, wann, wo , wie und warum.
Das ist schwer, gerade in Zeiten von facebook und twitter, von line, whatsapp und linkedIn.
Aber da ist auch jeder Einzelne gefordert. Sein Mut, sein Rückgrad, ein paar ehrliche, klare Worte. Wie von der jungen Reporterin Katharina Windmaißer in der Bild am Sonntag:
"Warum flüchten so viele vor der Wahrheit", fragt sie, nachdem sie auf Lampedusa, auf Malta , in der Türkei und im Irak über das Leid der Menschen berichtet hatte und bei einem Besuch in ihrer bayerischen Heimat nur von angeblich klauenden und vergewaltigenden Flüchtlingen hört.

Da wird ein post von einer Jana 1000 mal geteilt. Sie schreibt von mehreren Übergriffen in Passau. Die Passauer Oberstaatsanwältin kennt diese Gerüchte: Sie sagt, dass diese Straftaten weder bei der Polizei noch bei der Staatsanwaltschaft angezeigt oder sonst bekannt worden seien. Und von einer Massenvergewaltigung hätte die Staatsanwaltschaft ganz sicherlich Kenntnis erhalten.

Oder der Fall einer jungen Frau, die teilweise wenig bekleidet auf der Strasse lag. Auch hier hieß es: Die ist von Flüchtlingen mit dunklen Haaren und dunklen Gesichtern vergewaltigt worden. Die Polizei stellt später fest, dass die Frau ein wenig exzessiv gefeiert hatte. Eine Straftat durch Migranten sei auszuschließen. Und dann schreibt die Oberstaatsanwältin noch diesen Satz." Die allgemeine Kriminalität hat sich seit dem Flüchtlingsstrom nicht erhöht".

Gerechtigkeit ist eine sowohl moralische als auch politische Grundnorm. Ohne Gerechtigkeit funktioniert keine Gesellschaft. Und wir, von den Medien, sind keine „Vierte Gewalt". Sondern wir sind eine Grundvoraussetzung für ein demokratisches Gemeinwesen. Geschützt von Artikel 5 im Grundgesetz. Der auch einschließt, dass es keine Zensur durch den Staat geben darf.
At the end of the day, wie es die Briten immer so schön formulieren, wenn sie ein Thema beenden, oder wenn sie nicht mehr weiter zu reden gedenken:
Am Ende des Tages ist es jeder Einzelne von uns, jeder von uns, der Gerechtigkeit transportieren muss, kann, soll....
Von uns hängt es ab.
Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen.