07.07.2016, Philosophischer Frauensalon

Maria von Welser In Paderborn, Cafe Röhren am 7. Juli 2016 16 Uhr

Längst wissen wir alle, seit 2015 etwa 1,3 Millionen Flüchtlinge aus den Kriegs- und Krisenregionen dieser Welt nach Deutschland kamen, dass Frauen und Mädchen besonderen Schutzes bedürfen. Nach einer meist dramatischen Flucht- Durchschnittsdauer übrigens zweieinhalb Monate- nach Gewalterfahrungen, nach traumatischen Verlusten von Eltern, Ehepartnern, Kindern. Oder nach all den Ängsten durch Fass- Bomben, Schüsse, Granaten auf ihre Häuser, und: auf sie selbst. Jetzt sind sie hier, jetzt haben sie es geschafft. Jetzt sind sie sicher. Aber ich möchte Ihnen darum heute von den Millionen Frauen und Kindern erzählen, die ohne Hoffnung in den Flüchtlingslagern sitzen. Bis heute, bis jetzt, im Juli 2016. In der Türkei, im  Libanon, in Jordanien und jetzt auch in Griechenland.

Erinnern wir uns: 2015 haben sich überwiegend Männer und Söhne auf den Weg über die Balkanroute oder über das Mittelmeer ab Libyen aufgemacht.  Zwei Drittel aller Asylanträge sind von jungen Männern zwischen 14 und 35 Jahren gestellt worden. Der Anlass: das Welternährungsprogramm hat im Sommer 2015 die monatlichen Zahlungen an die Flüchtlinge in Jordanien, im Libanon und in der Türkei von 26 Dollar auf 13 Dollar reduziert.  Weil die Industrienationen, die Weltgemeinschaft nicht einbezahlt hatte. Der Welternährungsfonds wird freiwillig gefüllt- und auch Deutschland hat damals einfach nichts mehr überwiesen.

Nichts mehr...das war der Moment, dass die vor Krieg, Gewalt, Zerstörung geflüchteten Familien in den Lagern die letzten Ersparnisse zusammengekratzt haben und ihre starken Männer, Väter, Söhne auf die lange Flucht geschickt haben. In der Hoffnung, dass die dann ihre engsten Angehörigen nachholen können.

Zurückblieben die Frauen und Kinder. Millionen Frauen und Kinder. An der nordirakischen Grenze, in der Türkei. Im Bekaa-Tal im Libanon. Im Stadtgewirr von Amman in Jordanien. In den Lagern dort in dem kleinen Land.

Erst in den Wintermonaten 2016, in diesem Jahr,  wagten sie sich auch auf den langen Weg nach Europa. Da kamen dann Tausende Frauen und Kinder an. Zwei Drittel aller Flüchtlinge in diesen Monaten. Ich habe sie auf Lesbos getroffen. Wenn sie die Überfahrt im wackeligen Gummiboot von der Türkei auf die griechische Insel hinter sich hatten. Verfroren, zitternd, ängstlich auf dem steinigen Strand landeten. Einen Tag später dann, nach der Registrierung in Moria das große Schiff bestiegen, das sie nach Athen, nach Thessalonki, nach Kavala bringen sollte.

Das war vor dem EU-Abkommen mit der Türkei. Vor dem 20. März. Ich werde die glücklichen Gesichter auf der Gangway in eine vermeintlich gesicherte Zukunft nicht vergessen. Die vielen Victory-Zeichen. Sie alle landeten dann in Idomeni. Vor der geschlossenen mazedonischen Grenze. Und heute in irgendwelchen griechischen Lagern. Noch so ein Drama in diesem so bitteren Kapitel auf dieser Welt: Denn 66 Millionen Menschen sind inzwisschen weltweit auf der Flucht. Auch hier: Zwei Drittel davon Frauen und Kinder.

Ich habe mich im letzten Herbst und Winter und zu Beginn dieses Jahres aufgemacht und die Frauen gesucht, diejenigen, die nicht hier angekommen sind. Ich war in den Flüchtlingslagern in der Türkei, im Libanon, auf Lesbos  und  habe in Jordanien recherchiert.

Dazu habe ich einer 34 -jährigen Syrerin in langen Gesprächen zugehört. Sie ist alleine mit fünf Kindern aus einem Vorort von Damaskus geflohen. Nachdem ihre älteste Tochter von einer Fassbombe von den Assad´schen Truppen schwer verletzt worden war. Sie flüchtete mit den Kindern erst zu den Assad-Gegnern in die Berge, nach fast zwei Jahren in Ruinen und Höhlen schaffte sie es mit Hilfe eines Schleppers in ein kleines Flugzeug und von dort nach Khartoum. Jedes Kind und die Mutter je einen Rucksack mit Unterwäsche und einer Strickweste, das Geld aus dem Verkauf aller Besitztümer, auch der dann schon zerstörten Wohnung, versteckt in der Unterhose.

Khartoum ist das Drehkreuz des weltweiten Schlepper-Geschäftes. Nennen wir meine Syrerin  Myriam, sie wusste um die Geschäftsbedingungen, um die Preise. Die Männer in Damaskus hatten ihr schon gesagt, dass sie 25 000 Dollar brauchen würde. Aber sie ahnte nichts von den wirklichen Gefahren. Fünf Kinder, davon vier bildhübsche Töchter, und ein kleiner Sohn. Zwei Monate in einem Stall  am Rande der 8-Millionen-Stadt Khartoum. . Dann auf einen Pickup die dramatische Fahrt durch die sudanesische und libysche Wüste. Ja nicht von der Ladefläche herunterfallen, sich immer irgendwie festklammern. Der Fahrer hat den verängstigen Menschen eingebleut: wer runterfliegt bleibt im Sand liegen. Sie halten nicht, wenn sie einen Menschen verlieren.

Die Vereinten Nationen schreiben, dass das die gefährlichste Fluchtroute für Frauen ist. Fast alle werden sexuell angegriffen oder gar vergewaltigt, wenn sie womöglich kein Geld mehr haben an einem der vielen checkpoints, dann werden sie zusätzlich noch mit Gummischläuchen geschlagen. Myriam hat mir erzählt, wie sie immer versucht hat dies vor ihren Kindern zu verbergen. Sie hat ihnen dann die Tücher über das Gesicht gezogen, ihrem kleinen Sohn die Augen verdeckt.

Ich will Ihnen jetzt nicht die ganze Fluchtgeschichte erzählen. Das ist nur eine- von Millionen. Sie ist inzwischen in Hamburg gelandet...alles wird gut.

Nicht gut ist es für die Millionen- ja, Millionen, ich übertreibe nicht- Frauen und Kinder in den Lagern in der Türkei, im Libanon oder auch in den überteuerten dunklen und feuchten Löchern der Millionenstadt Amman.

Die Türkei hat insgesamt mindestens 2,8 Millionen überwiegend syrische Flüchtlinge aufgenommen. Aber es gibt nur 25 Flüchtlingslager, entlang der nordirakischen und syrischen Grenze. Dort habe ich Hunderte jesidischer Frauen und Kinder getroffen. Die vom IS verfolgt wurden, vertrieben und zu einem großen Teil gekidnappt. Vor allem die jungen Mädchen landeten in ihren Gefängnissen und dann im Internet, zum Verkauf.

Nach neuesten Zahlen sind es immer noch 3500 junge Mädchen. Die geflüchteten jesidischen Mütter in den türkischen Lagern können nicht vor und zurück. Sie schaffen es nicht nach Europa- aber zuhause über der Grenze wartet der IS mit seinen Schergen. Ich habe selten so dramatische, berührende und so schreckliche Geschichten gehört. Dabei haben mir die Frauen nie von sich selbst und ihren Töchtern berichtet, sondern immer von den Töchtern, der Nachbarn, der Freunde. Bis ich irgendwann bemerkte: es ist die eigene Leidensgeschichte.

Der Libanon mit seinen nur 4,5 Millionen Einwohnern hat 2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Das arme Land konnte ihnen nicht, wie in der Türkei, richtige Militärlager errichten mit festen Zelten. Nein, die Flüchtlinge haben sich aus Papier, Brettern, Pappe und Plastik selbst „windige“ Behausungen gebaut. Windig m wahrsten Sinn des Wortes. Die Dächer brechen im Winter unter dem Schnee zusammen, darum schlafen einige der Menschen sogar lieber draußen im Schnee. Die Behausungen nennte die Regierung informal tented settlement, ITS.

Im Sommer ist es elendiglich  heiß, es gibt kein Wasser, keine Toiletten. Keine Schulen- die Situation ist erschütternd. Auch in diesen settlements habe ich überwiegend Frauen und Kinder getroffen. Weil eine syrische Witwe neu geheiratet hat im Bekaa-Tal, hat sie ihre drei Kinder bei der Schwiegermutter gelassen. Die neuen Ehemänner akzeptieren keine Kinder aus einer früheren Ehe. Die Großmutter saß auf dem Boden, ein Landwirt hat ihr ein Stück Grund ohne Mieter überlassen, das kleinste Mädchen liebevoll im Arm, die zwei Jungen spielten daneben. Nachts arbeiten sie übrigens in einer Fabrik, weil da der Strom billiger ist für den Unternehmer.... wie rund 400 000 syrische Flüchtlingskinder.

Diese würdevolle Großmutter hat mich dann gefragt ob ich nicht eines ihrer Kinder mitnehmen möchte nach Deutschland. Das trifft und Du fragst Dich: warum eigentlich nicht? Aber es geht eben nicht...sie hofft trotz allem, daß der Krieg irgendwann vorbei ist, und dass sie wieder heim kann nach Syrien.

Eines ist mir bei den Recherchen klar geworden: die Frauen leben auch in den Gastländern wie im Libanon, in der Türkei oder in Jordanien nicht in Sicherheit. Nicht als Frauen. Sie kommen quasi aus einem Krieg in den nächsten Krieg. Den Krieg gegen die Frauen.

Internationale und auch lokale Hilfsorganisationen berichten von sexueller Nötigung, Frauenhandel, Kurzzeit-Ehen, Kinderbräuten. Für die flüchtenden Syrerinnen bedeutet die Flucht in das vermeintlich sichere und friedliche Nachbarland neues Leid, neue Not. Ein Leben in Angst und Isolation, mit erniedrigenden Erlebnissen und im Elend.

Was passiert da?

Die männerlosen, väterlosen Frauen und Mütter  sind im fremden Land ohne Schutz. Sie müssen überleben und ihre Kinder versorgen. Es gibt zwei Mal im Monat Lebensmittel-Gutscheine von den Vereinten Nationen.

Die Mieten für winzige Wohn-Löcher sind dreimal so hoch, wie für syrische Einwohner. Die Frauen trauen sich kaum auf die Straße, um ihre Lebensmittelgutscheine einzulösen- denn da werden sie als Freiwild gesehen, und ständig von Männern angesprochen. Mal geht es um eine schnelle Heirat, die schon zitierte Kurzzeit-Ehe, mal direkt um Sex.

Auch ihre Vermieter haben den “Markt“ erkannt. Sie bieten mietfreies Wohnen- gegen Leistung. In Form des Körpers der Frauen und jungen Mädchen.

Aber noch einmal Jordanien: das jetzt ,weil die meisten der Flüchtlinge Frauen und Kinder sind, auch zu einem beliebten Ziel aller Männer der Region geworden ist, die auf Brautschau sind, um es mal freundlich zu formulieren.

Syrerinnen gelten nicht nur dort als schön und anmutig. Dazu seien sie fleißig- und gehorsam. „Nimm Dir eine Frau aus der Levante und Du wirst ein gutes Leben haben“ lautet eine arabische Redewendung.

So machen sich die Ehe-Männer von bereits ein, zwei Frauen auf die Suche nach der vom Koran erlaubten dritten oder vierten. Preis? Das spiele keine Rolle. Die sind im Keller. „Danke Baschar al - Assad, dass Du uns so viele billige Schönheiten schickst“, sagen diese Araber.

Auch in Internet-Foren läuft der Verkaufs-Markt. Saudis rasen mit ihren SUV´s durch die Wüste, es lohne sich, erzählen sie dann zuhause.

Sowohl in der Türkei, als auch im Libanon und in Jordanien blüht der Zweit- bis Viertfrau –Markt mit Syrerinnen.

Und dann noch: Eritrea. Besonders viele Frauen sind alleine aus diesem afrikanischen Land geflüchtet. Besonders viele auch in München angekommen. Es gibt eine funktionierende eritreische Gemeinschaft hier im Norden der Stadt.

Eritrea? Was wissen wir davon. Warum flüchten die Menschen von dort? Dort ist kein Krieg, wir wissen nichts von einer Hungersnot, einer Dürre. Aber: aus Eritrea kommen - nach Syrien und Afghanistan - die meisten Flüchtlinge. Allein 2014 waren es 360 000. Und das bei einer Bevölkerung von knapp fünf Millionen.

Die Frauen, die es hierher geschafft haben, sprechen wenig. Sie erzählen nicht von dem menschenverachtenden totalitären Regime des Diktators Afewerki. Der unter dem Deckmantel des Wehrdienstes die Menschen oft ein Leben lang Zwangsarbeit verrichten läßt, auch Mädchen und Frauen. Der ein gnadenloses Spitzelsystem aufgebaut hat, der die Menschen einfach kidnappt und verschwinden läßt. Für immer. Die Eritreerinnen fliehen wie Myriam durch die Wüste über Khartoum nach Libyen, wagen sich auf eines der Boote und hoffen auf Lampedusa und Europa. Die meisten von ihnen wurden auf der Flucht vergewaltigt, oder sie haben mit ihrem Körper bezahlt, wenn das Geld ausging. Viele bringen ihre Kinder noch in Libyen zur Welt, andere erreichen z. B. Bayern hochschwanger und werden hier Mutter.

Wie schwierig es ist für diese Frauen mit ihren ungewollten Kindern zurecht zukommen, in der Fremde, ohne Sprachkenntnisse, ohne Freunde, Familie. Ich denke, wir können das alle erahnen.

Wie wichtig es ist, dass diese Frauen geschützt werden, Privatsphäre bekommen, Rückzugsräume vorfinden. Dass sie eben nicht mit Männern gemeinsam in einer Flüchtlingsunterkunft sich die Toiletten teilen müssen, die Duschen. Dass sie in Ruhe schlafen können. Unterstützung erhalten, wenn sie sich brauchen- das ist Mitmenschlichkeit und dringend nötig.

Sie sind aus auf Jungfrauen. Je jünger, je besser. Die Männer aus Dubai zahlen bis zu 8000 Dinar- das sind 10 000 Euro! Und so manche geflüchtete Witwe gibt in finanzieller Not ihre hübsche junge Tochter dafür her- weil dann die anderen in der Rest-Familie wieder ein paar Wochen weiterleben können.

Es sind nur wenige Frauen und Mädchen, die sich aus solchen Situationen heraus alleine auf eine weitere Flucht wagen. Gar bis nach Europa. Ohne männlichen Schutz ist das ein lebensgefährliches Unterfangen. Wenn es starke und mutige Frauen bis auf die unsicheren Boote schaffen, dann sind sie nach der Fahrt über das Mittelmeer in Lampedusa in Italien landen,  sehr oft schwanger.