01.08.2012, Die ganz andere Seite der Stadt in der Kleiderkammer der Caritas

Für Bild Hamburg

Zappzerapp. Das ist mein neuestes Fremdwort. Gelernt in der Caritas-Kleiderkammer im Schatten des Hamburger  Mariendoms . Es heißt: alles geklaut, kein Geld, kein Pass - einfach gar nichts mehr. Bisher waren es drei Männer, die mich dann mit großen Augen und ein wenig verzweifelt angeguckt haben. Denn dann war auch klar: sie können sich weder ausweisen, noch den einen Euro für sieben Teile in der Kleiderkammer bezahlen. Wenn sich aber das Team einig ist, dann gehen die gewünschten Hosen, Hemden, Pullis, Socken und Schuhe aber auch so über den Tresen. Dafür sind wir ja da.

Freiwillige Helferin in der Kleiderkammer. Das ist ein Lehrstück über unsere Gesellschaft, über unser Land, unseren Staat. Am Karfreitag im Gottesdienst fand ich in meiner Bank einen Flyer:“ Wir suchen Menschen, die kommunikativ sind und sich mit Kleidergrößen auskennen“. Warum nicht zupacken, anstatt jedes Jahr die abgelegten Kleidungsstücke nur abgeben? Meine Bewerbung bei der Caritas wurde angenommen und seitdem bin ich Mittwochs ab 10 Uhr dort im Keller.

Zusammen mit 11 anderen engagierten Menschen. Einer Deutsch-Rumänin, arbeitslos, der sonst die Decke zuhause auf den Kopf fällt. Einem ehemaligen LKW-Fahrer, der einfach helfen möchte.

Erste Erkenntnis: die Kleiderkammer muss gut organisiert sein. Sonst findet man in der Kürze der Zeit nicht das Richtige. Also Jeans und T-Shirts,  Unterwäsche und  Jacken   immer korrekt einsortieren.

Zweite  Lehre: Bei den Afrikanerinnen  muss es schick sein, modisch. Die gucken genau hin. Andere, wie die Russin beim letzten Mal, ist glücklich über alles, was wir ihr bringen. Vor allem über den Koffer. Für ihre erste  Reise wieder in die Heimat. Sie würde uns am liebsten umarmen und wirft beim Hinausgehen Kusshändchen zu.

Beim letzten Mal habe ich verzweifelt versucht für einen übergewichtigen Arbeitslosen eine Hose zu finden. Hoffnungslos. XXXL- ich wusste gar nicht, dass es das gibt. Aber auch die letzte passte nicht. So kam er kopfschüttelnd aus der Umkleidekabine und zeigte mir  verzweifelt seinen dicken, weißen Bauch: „Ich krieg die Hose da einfach nicht drüber…“. Wenigstens zwei Polohemden konnte ich in seiner Größe entdecken.

12 Frauen und Männer kommen am Vormittag, 12 am Nachmittag. So ist das geregelt. Immer einer alleine. Wir sollen uns Zeit nehmen für den Menschen. Viele, die nicht gut deutsch sprechen, können auf Zeichnungen anzeigen, was sie dringend brauchen. Ein älterer Mann, der auf der Strasse lebt, möchte seinen Sohn besuchen. Aber er war in diesem Monat schon einmal da gewesen.“Riechen sie doch mal, wie alles stinkt“, argumentiert er.  Klar, er bekommt Hemd, Hose, Pulli und Jacke, zusammen mit frischer Unterwäsche.  Geld hat er auch keines, dann das nächste Mal.

Sieben Teile kosten einen Euro, neun bis 12 Teile 1.50 Euro.  Am Tag vor der Ausgabe kommen ebenfalls Freiwillige zum Einsortieren. In großen Tüten liefern die Hamburger ihre abgelegten Sachen ab. Einiges ist darunter, das man beim besten Willen niemandem mehr geben kann. Das kommt in den Kleiderschredder. Aber manche Teile sehen aus wie nie getragen, einige haben noch die Schildchen dran. In welch einer Überflussgesellschaft wir leben, geht mir dann immer durch den Kopf. Wenigstens geben manche doch was ab. Für die, die nichts haben. Denn die werden im Hamburg immer mehr.