01.12.2012, Es gibt in der Kleiderkammer der Caritas mehr als nur Kleidung

Bild der Frau

Motto: 23 Millionen Deutsche haben ein Ehrenamt – Maria von Welser ist eine von ihnen. Regelmäßig hilft die TV-Journalistin in einer Caritas-Kleiderkammer. Verteilt Pullis, Trost, freundliche Worte – und lernt die reiche Stadt Hamburg von ihrer armen Seite kennen.

"Sie stehen oft schon ab acht Uhr da. Drücken sich ein wenig verschämt an die Säulen des Vordaches des Caritas-Gebäudes neben dem Hamburger Mariendom. Es sind Obdachlose, Hartz-IV-Empfänger und viele der Arbeitslosen dieser Stadt. Sie warten auf Nummern. Nummern, für die es eine Kleiderspende gibt. Jeden Mittwoch von zehn bis 12 und von 14 bis 16 Uhr ist die Ausgabe geöffnet. Es gibt 20 Nummern pro Tag. Fünf in einer Stunde –  das macht zwölf Minuten für einen bedürftigen Menschen.

Hinter dem Holztresen stehen Hamburgerinnen. Aus allen gesellschaftlichen Schichten. Sie machen das ehrenamtlich, mit Leidenschaft und enormem Stehvermögen: Die 68-jährige Lisa ist Witwe und lebt von einer kleinen Rente. Die74-jährige Susanne scheint keine finanziellen Probleme zu haben. Aber sie ist einsam. Und darum jetzt hier. Die 46-jährige Jeannette ist gerade erst neu ins Team gekommen und hat wohl eine nicht so schöne Scheidung hinter sich. Ihr hilft die Arbeit hier im Keller.

Hassan nimmt jeden Job

Dieser Job ist nicht immer nur einfach. Denn da kommen  die Alkoholabhängigen genauso wie die Afrikanerinnen, die eine sehr klare Vorstellung haben von den Blusen, Pullovern oder Hosen, die sie an sich selbst sehen möchten. Es kommen vollkommen verloren wirkendende junge Menschen. Wie der 18-jährige Hassan aus dem Norden Afrikas. Über Lampedusa hat er es nach Monaten geschafft ins gelobte Land Deutschland. Aber seit drei Tagen darf er  nicht mehr im Männer-Wohnheim schlafen. Jetzt braucht er für seinen Platz unter einer Brücke einen Schlafsack, eine Matte, warme Kleidung, weil er so friert. Aber noch mehr wünscht er sich eine Arbeit. „Ich mache jeden Job“, sagt er.

Ein Euro für drei Teile...

Wer in die Kleiderkammer kommt muss etwas bezahlen: Für drei Teile 50 Cent, für sechs Teile einen Euro….und so weiter. Wer kein Geld hat, dem wird es gestundet. Deshalb führen auch die jetzt 12 Frauen darüber Buch. Vermerken, ob eine arbeitslos ist oder ob er Rente bekommt, ob er oder sie in einer Wohnung lebt oder auf der Straße. Das klingt bürokratisch, ist aber nötig wegen der Gerechtigkeit.

„Zappzerapp“ – das ist mein neuestes Fremdwort. Es heißt: Mir wurde alles geklaut. Ich habe einfach gar nichts mehr, kein Geld und nicht mal einen  Schlafplatz. Diese Männer gucken einen mit großen verzweifelten Augen an. Auch die nächste Frage nach einem Ausweis wird mit Kopfschütteln beantwortet. Klar, dass diese Menschen trotzdem das Mindeste erhalten: Unterwäsche, Socken, Pullover, Hemden.

Wenn etwas passt freuen wir uns wie verrückt

Dann kenne ich jetzt einen Super-Trick: um eine Hose ohne sie anzuziehen zu prüfen,  ob sie auch passt! Ganz einfach: Die Faust bis zum Ellenbogen in den Hosenbund stecken. Wenn das okay ist- dann passt auch die Hose! Ansonsten ist unsere Grundregel: alle müssen anprobieren. Wir wollen helfen. Wir wollen aber auch, dass die Frauen und Männer Kleidungsstücke mitnehmen, die sie wirklich tragen. Und: Wir freuen uns wie verrückt, wenn eine Frau glücklich strahlt, weil eine Bluse oder die Strickjacke genau ihrem Geschmack entspricht.

„Freiwillige Helferin in der Kleiderkammer“ – das ist aber auch ein Lehrstück über unsere Gesellschaft. Da erlebe ich, was Hamburger meinen, an Bedürftige abgeben zu können. Immer dienstags vor dem Ausgabe-Mittwoch werden die Spenden aussortiert. Wir tragen dabei Plastik-Handschuhe. Ein Drittel geht dabei sofort in den Schredder. Weil es so dreckig, so zerrissen, so abgetragen ist, dass es aus unserer Sicht keinem Menschen zugemutet werden kann. Ein weiteres Drittel kommt in ein Sozialkaufhaus. Entweder zur Reinigung. Oder dort zum Verkauf. Nur ein Drittel der angelieferten Kleidungsstücke können wir guten Gewissens in die Regale einsortieren. Das ist die bittere Realität. Aber wenigstens gibt es sie, die Menschen, die abgeben. Für die, die nichts haben, für Menschen in Not – und die werden immer mehr.