24.05.2019, Elisabeth-Selbert-Preis 2019

Laudatio auf die Preisträgerinnen Brigit Schäfer und Anja

70 Jahre Grundgesetz, 70 Jahre Paragraph 3: Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Die Juristin Elisabeth Selbert hat das mit einem beispiellosen Kampf gegen die Männer durchgesetzt. Ihr ist ein Preis des Landes Hessen gewidmet und in diesem Jahr, 12 Jahre nachdem auch ich den Preis erhalten hatte, durfte ich die Laudatio auf die Preisträgerinnen 2019 halten:

Ich freue mich, dass ich heute die Laudatio auf zwei Preisträgerinnen halten darf, die sich wie kaum jemand zuvor für die Gleichberechtigung von Frauen stark gemacht haben, die in den nun 18 Jahren unglaublich viel erreicht haben-aber deren Thema sehr trocken daher kommt und, ehrlich, auch mir als Journalistin einiges abverlangt, es zu begreifen und zu erklären.
Es wäre so einfach: gleiches Geld für gleiche Arbeit auch und gerade in Behörden. Aber so einfach geht das nicht.
Die beiden Preisträgerinnen Birgit Schäfer und Anja Braselmann haben sich daran- fast - die Zähne ausgebissen.

Was wir alle wissen: der Gehalts-Gap zwischen Männern und Frauen in Deutschland liegt bei 22 Prozent. Auch und gerade weil viele Frauen geringbezahlte Berufe anstreben, oder Teilzeit arbeiten. Birgit Schäfer ist das im Kasseler Regierungspräsidium schon früh aufgestossen. Gerade auch in der Personalabteilung wenn es um Frauenförderung geht. Erste Aktion: sie zog den Frauenförderplan zu sich in die Abteilung. Und erinnert sich heute noch sehr gut: „Ich wurde erst gar nicht ernst genommen.“ Da war sie auch noch allein.

Zwei, drei Jahre später tat sie sich mit Anja Braselmann zusammen. Die auch bereits so ihre Erfahrung mit den Glasdecken gemacht hatte. Jetzt häuften sich die Konflikte. Der Frauenförderplan war noch nicht fertig, was tun? Die beiden erkannten sehr schnell – was viele Frauen in –Führungspositionen erkennen: Männer muss man an Bord holen, und das geht am besten mit Geld-Argumenten. Mit Zahlen, Daten, Fakten, ökonomisch und wettbewerbsorientiert. Die beiden Frauen aber wollten mehr Geld, für die Frauen. Und das Wort vom Gender-Budgeting entstand.

Jetzt muss ich aber auch noch ein wenig ausholen, damit wir alle wirklich begreifen, was sich da in Kassel im Regierungspräsidium angebahnt und so erfolgreich entwickelt hat. Ich frage Sie: wissen Sie, mit welche finanziellen Aufwand zum Beispiel hier in Wiesbaden der Sportplatz instand gehalten wird? Wieviel Geld in die städtische Bücherei fließt? Und wie die Gelder gleichermaßen zwischen Männern und Frauen verteilt sind? Birgit Schäfer und Anja Braselmann geht es genau darum. Um die faire - und EU-Recht-entsprechende -Verteilung der finanziellen Ressourcen.

In dem Fall bezogen auf das Regierungspräsidium Kassel, mit 1300 Mitarbeitern und davon 64 Prozent Frauen.
Also als erstes: eine Analyse. Wie verteilt sich das Geld auf die weiblichen und männlichen Beschäftigten. Und: welchen Einfluss hat das auf den beruflichen Aufstieg von Männern und Frauen. Ergebnis war: wir müssen in Kassel die Prioritäten neu setzen, die Mittel anders umverteilen. In Kassel gehen jetzt 60 Prozent der Gelder zu den weiblichen Beschäftigten- 40 Prozent zu den männlichen Beschäftigten.

Ich höre Sie jetzt schon murmeln: das ist doch ungerecht, was soll das mit Gleichberechtigung zu tun haben. Hat es aber. Denn diese Umverteilung gilt so lange, bis die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern aufgehoben sind. Mit dem Gender-Budgeting-Konzept seit 2001 hat sich das dramatisch verändert und im Sinne der Gleichberechtigung verbessert. Während im ersten Jahr also 2001, der Einkommensanteil der männlichen Beschäftigten um 18.50 Prozent höher als bei den Frauen lag, ist im Jahre 2018 der Einkommensanteil der Männer nur noch 6,71 Prozent höher als der der Frauen. ( ok, immer noch nicht gleich...aber auf gutem Wege...)

Das alles ist aber nur möglich gewesen, weil Vorgesetze, und zwar Frauen und Männer, Birgit Schäfer und Anja Braselmann unterstützt haben. Erst musste das Innen-
Ministerium Hessen Zeit einräumen. Dann die Sozialministerin gewonnen werden, damit die - wieder so ein Büro-technisches Wort - „Experimentierklausel“ ins Gleichberechtigungsgesetz aufgenommen wird. Mit dieser Klausel kann der Spielraum für die Frauenförderung in der öffentlichen Verwaltung vergrößert werden.

Jede Frau hier unter uns ahnt, welche Konflikte die beiden Preisträgerinnen auf diesem Weg ertragen, aushalten, durchstehen mussten. Es war “unschön, kränkend, demütigend“.. das sprechen sie nicht aus. Das habe ich in unseren Gesprächen zwischen den Zeilen so begriffen. „Durchgeknallte Emanze“ war da noch eine der harmloseren Etikettierungen. Aber hinschmeissen-nein, das wollte keine der beiden.
Aber irgendwann war auch klar: wir verhalten uns einfach nur noch professionell und distanziert. Wir haben keine Angst mehr, wenn wir Macht ausüben müssen. Und: Wir brauchen noch viele Frauen als Mitstreiterinnen.

Was mich bei der Recherche zu diesem Thema , beim Einarbeiten in das Gender-Budgeting, irritiert hat: Warum bitte ist das Regierungspräsidium Kassel die einzige Behörde, die das anwendet? Wie schreibt der Regierungspräsident bei der Bewertung der Leistung der beiden so bescheiden: „Trotz aller Ermutigungsversuche ist das die einzige Behörde in Hessen...“ Wo doch bereits 2007 auf einer Konferenz über Gleichberechtigung in Kopenhagen Anja Braselmann das Konzept zur Realisierung von Chancengleichheit vorstellen durfte.

Was auch auf dieser Konferenz vor allem die Teilnehmer bewegte: ist das dann nicht auch eine Diskriminierung der Männer? Wenn quasi per ordre de mufti nur noch Frauen Karriere machen können?
Ein Grund , dass auch die hessischen Behörden nicht mitmachen bei „Schäfer-Braselmann“ könnte sein, dass der alte Frauenförderplan bisher gut unterlaufen werden konnte. Also keine Not bestand, hier zu handeln. Dass das Gender-Budgeting eben doch ein zu heißes Eisen sei, zu strapaziös für die Mitarbeiter( ich füge einfach mal frech hinzu: Für die Männer...)

Dagegen sei im Gender-Budgeting kein Schlupfloch, haben mir die beiden Preisträgerinnen versichert. Vielleicht haben hier dann doch manche Männer erkannt, dass sie doch besser einfach alles beim Alten belassen. Hat doch aus ihrer Sicht bisher alles ganz gut geklappt...Da ist dann halt das große Digitalisierung-projekt wichtiger als die EU-gerechte Bezahlung der Frauen und Männer in einer deutschen Behörde...fehlendes Wollen, habe ich aus unseren Gesprächen als Neuschöpfung mitgenommen.

Liebe Birgit Schäfer, liebe Anja Braselmann, es ist also noch keineswegs vorbei mit den Kämpfen. Geben Sie nicht auf, machen Sie weiter...die Frauen in den deutschen Behörden, und nicht nur da, brauchen Sie dringend...
Gerade auch junge Frauen. Sie, liebe Frau Schäfer haben mir verraten, dass Sie hoffen, dass junge Frauen heute innehalten können, und die Prozesse der Gleichberechtigung überdenken sollten. Sie, liebe Frau Braselmann wünschen sich mehr Frauensolidarität gerade auch unter den jüngeren Frauen. Vorbildhaft haben Sie ihren Job bereits in die Hände einer jungen Frau gegeben.
Es bleibt uns allen noch viel zu tun. Jetzt aber vor allem: herzlichen Glückwunsch zum Elisabeth-Selbert-Preis 2019.