24.07.2012, Teil 2 :Wo bitte geht´s zum UN-Compound?

Mein afghanisches Tagebuch

„50 Afghanen – 50 Meinungen!“ Genervt erklärt mir unserer wunderbarer Fahrer Muhammad Omar, warum wir seit über einer Stunde die Jalalabad Road rauf und runter fahren, aber den UN Compound mit den UNICEF Büros einfach nicht finden. Nun gibt es auch keine Schilder, keine Hausnummern. Überall Stacheldraht und Sicherheitsleute- 17 Mal telefoniere ich mit Alistair, eine afghanische Mitarbeiterin versucht Muhammad zu erklären, wo die schmale Einfahrt ist in das riesige Gelände, wo sich die Vereinten Nationen und ihre Mitarbeiter in Afghanistan niedergelassen haben. Endlich tut sich eine holprige, schmale Einfahrt auf. Drei Sicherheitsschleusen müssen  durchfahren und durchgangen werden, dann erst sehe ich das UNICEF-Zeichen.“ We made it!“ 

 

UNICEF investiert 120 Millionen Dollar im Jahr für Kinder und Frauen

Peter Crowley ist der UNICEF-Repräsentant in Afghanistan. Sein Etat: 120 Millionen Dollar im Jahr. Für Gesundheits-, Ernährungs- und Ausbildungsprojekte. In einer knappen Stunde erhalte ich ein umfassendes Briefing. Dann stemmen wir die schweren Türen der gepanzerten UN-Autos auf und los geht es  nach Norden.
In die Mädchen-Schule, die von UNICEF mit unterstützt wird, kommen wir zu spät. Es ist Examenszeit, die Mädchen sind alle schon nach Hause. Aber die Kinder, die wir in einem anderen kleinen Ort in einer Klinik finden, die können nicht weg laufen.
Die winzige Chausa mit den übergroßen dunklen Augen ist  schon vier Monate alt. Aber sie wiegt nur ganze zwei Kilogramm. Das kleine Mädchen in der Klinik in der Provinz Parwan gehört zu den über 50 Prozent  afghanischer Kinder, die zu klein sind, die nicht wachsen. Weil sie zu wenig zu essen bekommen. Weil die Mütter keine Milch haben. Weil sie „mangelernährt“ sind.  

 

Über die Hälfte aller Babys sind mangelernährt.....

Chausas Mutter ist seit sieben Tagen mit der Kleinen im Krankenhaus. Die Ärzte füttern das winzige Baby mit sogenannter „therapeutischer Spezialnahrung“. Finanziert von  UNICEF. 20 Tage dauert im Durchschnitt  so eine Notfalltherapie. Chausa wird überleben. Sagen zumindest die Ärzte.
Das hofft auch ihre Mutter Amina. Sie erzählt mir aber auch:“Ich mache mir große Sorgen um meine anderen fünf Kinder.“ Die werden jetzt Zuhause von der 14jährigen Tochter versorgt.  Es ist in Afghanistan  immer noch normal, dass 14jährige Mädchen nicht mehr in die Schule gehen, sondern der Mutter zu Hause helfen. Wenn sie nicht schon vom Vater früh verheiratet wurden.
Doch immer mehr junge Frauen wehren sich. Auch gegen ihre Väter. Die 23jährige Physiotherapeutin Farchunda Nesjatu hat Glück. Ihre Eltern, erzählt sie,  haben sie ermutigt, einen Beruf zu erlernen. Ihr Vater würde sie nie gegen ihren Willen verheiraten, beteuert sie. „Aber es ist schwer in Afghanistan einen Mann zu finden, der eine berufstätige Frau akzeptiert,“ fügt sie dann noch lachend hinzu. Sie kümmert sich liebevoll um die winzigen, unterernährten Babys in der Klinik. Aber vor allem unterstützt sie die Mütter. Die zusammen  mit ihren Kindern Tage und Wochen in einem einzigen schmuddeligen Bett liegen. Die ihre Babys trösten, sie stillen, wenn sie genug Milch haben und die verzweifelt hoffen, dass ihre Kinder durchkommen. Wir kaufen für alle Frauen Eis. Viele haben ihre größeren Kinder mit dabei, weil sie nicht wissen, wer sie betreuen könnte. Ziemlich erschüttert verlasse ich die Klinik. Und frage mich nicht das erste Mal: wohin gehen die Milliarden Dollar der Länder,wenn nicht in solche Projekte?

 

Die jungen Frauen wollen nicht mehr von ihren Vätern verheiratet werden

Mich wundert es nicht, wenn mir vo allem junge Frauen erzählen, dass sie nichts wie raus wollen aus dem Land. Vor allem junge, gut ausgebildete Afghaninnen . „Brain drain“, der Weggang der Intelligenz, schreckt inzwischen auch die sonst eher gelassene Regierung auf.
 Zum Beispiel die 20jährige Adiba und ihre 14jährige Schwester Sabrina aus Charikar: Geprägt von der Gesellschaft, lassen sie sich von unserem Fotografen nicht von vorne ablichten. Sie tragen große Tücher um den Kopf und um die Schultern, den  Hidschab. Sie  gehen begeistert in die Schule, eine gute Ausbildung ist ihr Ziel. Und ein Beruf von dem sie sich eines Tages ernähren können. Auch wenn es sein muss im Ausland.

Die Mutter trägt die Burka-die Töchter lehnen sie ab

Wir reden nur unter uns Frauen: die zwei Mädchen, meine Übersetzerin und ich. Die Männer, die in das Klassenzimmer drängen, werden von mir gebeten, draußen zu warten. Das sind sie sichtbar nicht gewohnt…aber die Mädchen lachen und fühlen sich dann freier. Erzählen, dass ihre Safia nur  in der Burka einkaufen geht.“ Ich habe sie früher nicht getragen, weil ich davon immer Kopfschmerzen bekommen habe“, erzählt sie. Aber die Nachbarn haben sich den Mund über sie zerrissen. Seitdem zieht sie wieder dieses blaue Totalgewand mit dem kleinen netzartigen Augenausschnitt über ihren Kopf, um sich vor  männlichen Blicken zu verhüllen.
Ich habe mal eine solche Burka übergezogen. Darunter ist es unsäglich heiß, das Oberteil sitzt fest und presst Dir die Haare an den Kopf, das winzige Gitter erlaubt nicht mal einen Blickwinkel von 180 Grad. Ich könnte damit nicht sicher eine Straße überqueren. Nirgendwo im Koran steht, dass Frauen so rumlaufen müssen. Es ist aus meiner Sicht eine reine Schikane von intoleranten Männern.  

Afghanische Gastfreundschaft ist wunderbar

Die beiden Schülerinnen laden mich dann zu sich nach Hause ein. Ihre Mutter Safia freut sich. Wir sitzen barfuß bei ihr auf dem Boden. Ich achte darauf, dass meine Fußsohlen auf niemanden zeigen. Das wäre sehr unhöflich. Weil wir nur Frauen sind, umhüllt die Hausfrau ihr schönes, dunkles Haar nur noch mit einem Tuch. Auch die Mädchen ziehen sich hübsch an und legen dann sogar ihre Tücher beiseite.  Auf  meine Frage, ob sie auch später eine Burka tragen würden, schütteln sie energisch den Kopf und lachen mich an. Ich wünsche mir, dass sich diese jungen Frauen eines Tages besser in der Männer-Gesellschaft durchsetzen können als ihre Mutter jetzt.
Afghanische Gastfreundschaft heißt auch immer: große Teller und Schüsseln. Auch wenn der Gast, wie ich, unangemeldet ins Haus gebeten wird. Schnell steht  ein riesiger Teller mit herrlichen Wassermelonenstücken vor mir auf dem Boden. Die anderen sehen zu, während ich esse. Nicht alles aufessen, das ist der Brauch. Sonst wird sofort noch mehr aufgetischt.

In einem Mädchenprojekt klären die jungen Frauen die alten Männer auf

Adiba und Sabrina machen Mut. So wie  20 andere Mädchen im Jugend- Kontakt- Zentrum in Parwan. Auch dies unterstützt UNICEF.  Sie gehen in die Familien. Wollen die Eltern überzeugen, ihre Mädchen länger als bisher in die Schule zu schicken. Damit die einen Schulabschluss machen und einen Beruf erlernen. Die 16jährige temperamentvolle Rakhsar erzählt von einem erst uneinsichtigen Vater: “Eine Stunde mußte ich auf ihn einreden, damit er seine Tochter wieder in die Schule schickt.“, erzählt sie mit blitzenden Augen. Dann sei sie richtig wütend geworden. Kaum zu glauben, wenn man die patriarchale Gesellschaft in Afghanistan zu kennen glaubt. Aber Rakhsar hat power, ist durchsetzungsstark und will eines Tages Journalistin werden. Und: aufgeben gilt nicht. Schon gar nicht im Afghanistan der jungen Frauen.

Keiner hält sich an Regeln- eines der großen Probleme!

Die Rückfahrt dauert lange. Von Verkehr am späten Nachmittag kann  man nicht reden, das ist der totale Stillstand. Denn viele Fahrer brechen einfach aus, kehren im Pulk um und fahren einfach in die andere Richtung, quasi die Einbahnstraße falsch herum.“Keiner hält sich in diesem Land an die Regeln“, erklärt mir Muhammad. Das sei eines der ganz großen Probleme hier. Aber an den folgenden Tagen werde ich noch ganz andere kennenlernen.