25.07.2012, Teil 3: Zum ersten Mal gehen die Frauen auf die Strasse

Mein afghanisches Tagebuch

In unserem Hotel, gesichert von drei Sicherheitsgürteln und Hunderten von Polizisten und privaten Sicherheitsleuten, hängt morgens ab 7 Uhr die „Afghanistan Times“ an der Zimmertüre. Wie viele Anschläge am gestrigen Tage in welchen der 20 Provinzen geschehen sind, lassen mich schaudern. Erklären auch, wenn mal wieder eine Straße abgesperrt ist, wenn nichts mehr geht in der 5-Millionen Stadt. Aber eine Meldung erstaunt mich unter all den anderen dann noch mehr: „Afghanische Frauen gehen in der Burka auf die Straße!“ Ich lese, dass  Hunderte von ihnen in der Provinz Parwan gegen das Selbstmord-Attentat auf die beliebte Politikerin und ehemalige Frauenministerin Hanifa Safi Freitag vor einer Woche demonstrieren. Unter ihrem Auto explodierte eine Bombe und tötete sie. 

 

86 Prozent der Frauen haben Angst vor dem Abzug der Truppen

Die Frauen fordern von der Regierung Hamid  Karsais Gerechtigkeit und strenge Strafen für die Täter. Denn im ganzen Land wächst die Gewalt gegen Frauen. Ebenfalls in der Provinz Parwan wurde ja gerade erst eine 23jährige Frau wegen vermeintlichen Ehebruchs hingerichtet.( Siehe Folge 1)
Laut jüngster Umfrage haben 86 Prozent der afghanischen Frauen Angst vor dem Abzug der NATO-Truppen. Sie fürchten, dass Präsident Karsai im Zug der Verhandlungen mit den Taliban die spärlichen Errungenschaften für die Frauen preisgeben wird: Das Recht auf Schule, auf berufliche Tätigkeit, auf Gesundheitsvorsorge und Unterstützung bei der Geburt.

Maryam Duran kämpft mit Worten im Radio und im Rat

Die 28jährige bildhübsche dunkelhaarige Maryam Durani kämpft darum umso mehr für die Rechte der Frauen. An zwei Fronten: einmal in dem von ihr gegründeten Radio und dann als Mitglied  des Provinzrates in Kandahar. Ausgerechnet da, wo täglich Tausende von Nato-Truppen Kämpfe mit den Taliban ausfechten. Ihre Waffen aber sind die Worte. Sie prangert an, wenn Unrecht geschieht, sie macht ganze Stunden-Sendungen zu häuslicher Gewalt oder wenn ein Mädchen an einen alten Afghanen als Ehefrau verkauft wird.
„Ich habe eher indirekte Beziehungen zu den Taliban, wir reden hinter den Kulissen“, erzählt mir die im schwarzen Hidschab gekleidete junge Frau bei uns im Hotel in Kabul. Sie kommt mit ihrem Vater zum Interview:“Das ist sicherer“. Denn sie ist erklärtermaßen ein Ziel der Taliban. Jeder von ihnen mit einem Internetzugang kann sich das Video ansehen, auf dem sie zwischen Michelle Obama und Hillary Clinton stehend, den internationalen Preis für „Frauen mit Mut“ erhielt. Hat sie Angst? „Nein, das hilft auch nicht weiter“, sagt sie auf ihre freundliche Art. Ihr nächstes Ziel ist die Einrichtung einer Frauenklinik in Kandahar. Um die hohe Sterberate von Müttern endlich zu bekämpfen.

Nur 20 Prozent der Babys kommen in einer Klinik zur Welt

In Guldara, nördlich von Kabul, hockt die 39jährige Rogol mit 18 anderen Frauen auf einem verschliessenen blauen Teppichboden in einem kleinen Haus. Acht Fehlgeburten hat sie durchlitten, erzählt sie mir. Aber ihre Familie hat sie nie zum Arzt gehen lassen. Erst als das Frauenprojekt in der DehNow Klinik auch mit Hilfe von UNICEF eingerichtet wurde, stellten die Ärzte dort fest, dass eine einfache Impfung helfen könnte. Ihre fünf folgenden Kinder kamen daraufhin alle ohne Komplikationen zur Welt. Zuhause, wie bei über 8o Prozent aller Frauen in Afghanistan. Die Hausgeburt mit meist folgenden Infektionen  ist aber  einer der Hauptgründe, warum so viele Frauen wie sonst nirgendwo auf der Welt bei einer Geburt sterben. „Meine Schwiegermutter hat mich in das dunkelste Eck im Stall gesteckt, damit niemand meine Schreie hören sollte. Überall Dreck, Abfälle und Tiere. Mit ihrem Knie hat sie mir immer wieder fest in den Rücken gestoßen oder mich an den Schultern hochgezogen und geschüttelt. Das war alles so schrecklich“. Rogol lächelt zwar bei ihrer Erzählung, aber ihre Not, ihre Angst sind immer noch spürbar.

Sie können nicht lesen und nicht schreiben-Aufklärung mit Bilderbüchern

Damit es anderen Müttern nicht so geht wie ihr, arbeitet sie freiwillig mit den anderen 18 im Frauenzentrum. Geht an den Wochenenden in die Familien rundum in ihrer Gemeinde, versucht den Männern klar zu machen, wie wichtig es für ihre Frauen und ihre Babys ist, dass sie in einer sauberen Umgebung gebären können. Die eigenen meist schlimmen Erfahrungen motivieren diese Frauen.
Sie können zwar alle weder lesen noch schreiben. Aber UNICEF hat ihnen Bilderbücher malen lassen. Die zeigen sie dann den Frauen und ihren Männern. So erreichen sie, dass die Babys in einer Mütterstation mit Unterstützung einer ausgebildeten Hebamme zur Welt kommen. Und eben nicht in einem dreckigen Eck im Stall.

Wer keine Burka trägt wird vom Mann oder Sohn geschlagen

Sie alle tragen außerhalb ihres Hauses die hellblaue Burka. „Sonst schlägt mich mein Mann“, sagt die schon 55jährige Safi. Damit leben sie wohl alle, die Frauen auf dem Land in Afghanistan, mit der Gewalt der Männer und auch der erwachsenen Söhne. Die die Gewalt von den Vätern erlernt haben.
Aber es gibt auch Verbesserungen seit dem Sieg über die Taliban vor nun 11 Jahren: IhreTöchter können in die Schule gehen, sie selbst dürfen das Haus verlassen. Das empfinden sie schon als Fortschritt. „Wenn dann keine mehr von uns bei einer Geburt sterben muss, dann ist schon viel gewonnen“, sagt mir  auch die 31jährige Farzana Maruf Sadat, die die Frauenprojekte betreut. Die Regierung Karsai jedoch hat sich bei diesem wichtigen Thema noch nicht engagiert.