07.12.2013, Indien

3. Tag (Teil 2)

Ein schwerer Termin. Mr. and Mrs. Badrinath, die Eltern des Vergewaltigungsopfers vom Dezember letzten Jahres haben zugestimmt, daß wir sie besuchen dürfen. Sie wohnen ebenfalls in einem Vorort Delhis, in einem Apartmenthaus. Dorthin sind sie nach dem Tod ihrer 23jährigen Tochter Nirbhaya gezogen, zusammen mit dem 14jährigen Sohn. Es sollte dort besser sein, nicht so voller Erinnerungen.

Der Vater führt uns in den Wohnraum. Es ist karg hier. Alles andere als luxuriös. Helle Plastikstühle, kleine Bambuspflanzen auf dem schwarzen Couchtisch. „Es ist alles wie ein schrecklicher Sturm über uns gekommen,“ beginnt der Vater. Seine Frau steht noch draußen im Gang. Er komme schon eher zu Recht. Sein Job am Flughafen hilft ihm, die Kollegen, die Pflichten. Aber seine Frau hat nur noch Tränen in den Augen. Sie, so sagt er , leidet noch mehr.

Nach der Gruppenvergewaltigung am 16.Dezember 2012 ist das in ihrem Inneren schwerst verletzte Mädchen nach Singapur in das renommierte Mount-Elisabeth-Krankenhaus geflogen worden. Ihre Eltern, ihre beiden Brüder mit dabei. Nur einmal noch war sie fähig ihrer Mutter etwas zu sagen: “Rette mich, ich will leben“. Aber sie hat es nicht geschafft. Alle ihre Organe haben aufgegeben. Zu schwer und dramatisch die inneren Verletzungen. Die Vergewaltiger hatten sie mit einem rostigen Stock malträtiert, sie stundenlang in dem geliehenden Bus mitten in Delhi vergewaltigt. Und dabei auch ihren Freund brutal zusammen geschlagen.

Den Eltern geht es inzwischen vor allem um Vergeltung. Der Vater fühlt sich von der indischen Justiz betrogen. Will in Berufung gehen gegen das aus seiner Sicht zu harmlose Urteil gegen den Jüngsten der sechs Täter. Weil der noch nicht 18 Jahre alt ist, kommt er mit einer Jugendstrafe von drei Jahren davon. Vier wurden zum Tode durch Hängen verurteilt. Vor dem Prozess ist einer der Gang schon im Gefängnis ums Leben gekommen. Ob es Selbstmord war oder Mord ist nicht klar. Die Justiz hält sich bedeckt. Mit der Verhängung der Todesstrafen versucht sie jedenfalls die Welle der Gewalt in den Griff zu bekommen. Wobei allen klar ist, dass die Ursachen tiefer liegen. Auch in den patriarchalischen Traditionen.

Inzwischen kommt auch die Mutter ins Wohnzimmer. Setzt sich mit starrem Gesicht neben ihren Mann. Immer mehr Journalisten drängen jetzt plötzlich herein. Mit Kameras, Fotoapparaten, Lichtkoffern, Blöcken und Stiften. Die Eltern haben sich wohl für diesen Tag zu einer Presseoffensive entschlossen. Nirbhaya macht das nicht mehr lebendig. Aber der Vater sieht in der aufgeregten Öffentlichkeit eine Chance mit seiner Berufung gegen das Urteil des 17jährigen durchzukommen. „ Wir haben für unsere Tochter Land verkauft, damit sie eine gute Ausbildung machen konnte. Sie war eine beliebte und erfolgreiche Physiotherpeutin. Hatte einen netten Freund. War in der Schule immer die Beste. Nur ein einziges Mal auf dem zweiten Platz!“

Jetzt muss er Pause machen, stoppen, aus dem Fenster in die Ferne sehen. Er hat zusammen mit Freunden und Rechtsanwälten einen Trust gegründet. Im Namen seiner Tochter. Das alles und der Prozess halten ihn aufrecht. Aber die Mutter sieht verzweifelt und hoffnungslos ins Leere. Auch der jüngste Sohn, der noch bei den Eltern lebt, scheint da nicht helfen zu können. Er will sowieso keine Fotos und kein Interview. Ihm ist das sichtbar zu viel.

Die Eltern und ihre Söhne werden mit Freunden, Verwandten und vielen Indern am 16. Dezember eine große Messe für Nirbhaya abhalten. Da werden dann auch sicher wieder Tausende Frauen auf die Straßen gehen. Damit die Regierung endlich kapiert, dass die Gesetze zum Schutz der Frauen dringend geändert werden müssen. Und dass es nicht hilft, ein paar Täter zu hängen. Millionen laufen dagegen immer noch frei herum im Land.