Tagebuch Nr. 3 aus dem Kongo
Es sind nur acht Kilometer, auf löchrigen Wegen, hinauf in die Berge oberhalb von Bukavu: hier liegt Panzi, das berühmte Krankenhaus nur für Frauen und Kinder, die Vergewaltigung und andere schlimmste Formen sexueller Gewalt erlebt haben.
Auf der Fahrt dorthin sehe ich immer wieder am Strassenrand Aufrufe: „Gemeinsam gegen Gewalt!"
„Nein zu sexueller Gewalt". Es scheint nichts zu nützen.
Die erste bittere Erkenntnis wenige Minuten nach der freundlichen Begrüßung durch die schwedische Projektmanagerin Ellinor Ädelroth und die Ärztin Dr. Nadine Neuma Rukunghu: die Gewalt gegen Frauen und Kinder nimmt zu. Jeden Tag kommen neue Fälle, immer mehr. Ärzte und Krankenschwestern sind fassungslos, oft hilflos und wissen oft nicht, wie sie die Patientinnen unterbringen sollen. Die oft nach taglangen Fußmärschen vor dem hohen Eisentor ankommen. Schwer verletzt, blutend, und meist tief traumatisiert....Es ist ein Horror.
Panzi ist 1999 gegründet worden von Dr. Denis Mukwege, dem charismatischen Arzt, der sich als erster nach dem ruandischen Genozid und den Kriegen zwischen den Rebellen und der kongolesischen Armee den Frauen und Kindern helfen wollte. Immer wieder und auch hier im Kongo ist Vergewaltigung eine Kriegswaffe. Wie schon in Bosnien zerstören die Vergewaltiger nicht nur die Frauen und Kinder, sondern die Familien und dörflichen Strukturen. Auch im Kongo gehen die Rebellen und auch die kongolesischen Soldaten systematisch vor. UNICEF musste feststellen, das in der Region Süd-Kivu jeden Tag zehn Kinder Opfer sexueller Gewalt werden. Bis heute- ja, bis heute!
Wer es als Frau oder Kind ins Hospital nach Panzi schafft, hat Hoffnung. Inzwischen gibt es dort auf dem weit verstreuten Gelände 450 Betten, davon 250 als Spezial-Projekte gegen sexuelle Gewalt. Die Frauen und Kinder leiden neben ihrer Traumata an Fistula, Gebärmuttervorfall, an zerstörtem Beckenboden und Unfruchtbarkeit. Oft ist die Vagina total zerrissen, der Blasenausgang zerstört und ebenso der Anus. Die 230 Spezialisten und die derzeit 208 Auszubildenden Mediziner im Krankenhaus Panzi sind bis aufs Äußerste gefordert. Ganz zu schweigen von den Psychotherapeuten und Sozialarbeitern. Gynäkologie, Psychatrie, Kinderheilkunde- das ist die Basis der Hilfe für die Frauen und Kinder.
Aber viele Dörfer sind weit weg. In der Region Süd-Kivu leben über 6 Millionen Menschen. Verteilt auf ein Gebiet so groß wie die Bundesrepublik. Deshalb ist die „Clinique Mobile" so wichtig. Aus den Dörfern kommen die Notmeldungen über systematische Vergewaltigungen der Rebellen oder Soldaten. Dann startet das Klinik-Mobil. Mit einem Arzt, Krankenschwestern, Psychologen, und den nötigsten Medikamenten. Um eventuelle HIV-infektionen festzustellen und zu behandeln. Mit Abtreibungspillen, damit nicht aus diesem Gewaltakt heraus auch noch ein Kind geboren wird. PEP-Kit nennen die Panzi-Mitarbeiter ihre Ausrüstung: post exposure prophylaxis. Zur Zeit ist das Team drei Wochen im Monat in den Dörfern unterwegs. Wie gesagt: die Gewalt nimmt zu. Das macht mich fassungslos.
UNICEF finanziert unter anderen das Klinik-Mobil. Die Kosten pro Jahr ca. 500 000 Dollar. Bisher konnten 3 814 Frauen behandelt werden, 320 haben sie mitgenommen nach Panzi.
Hier sitzen sie, auf ihren Betten, im Garten, im großen Gemeinschaftsraum auf Holzbänken. Rose, 30 Jahre alt, sagt mir: „Ich habe immer gedacht, das ist alles nur mir passiert. Aber hier sehe ich: es trifft so viele Frauen. Das hilft mir ein wenig..."
Was tun diese Männer den Frauen und Kindern nur an? Justine zum Beispiel war schon einmal in Panzi. Nach einer Totaloperation und psychologischer Unterstützung ging sie wieder zurück in ihr Dorf. Ihr Mann hat sich inzwischen eine Zweitfrau geholt, sie durfte sich noch um ihre Kinder kümmern. Da kamen die Rebellen zum zweiten Mal. Sie haben sie erkannt, wussten um ihren Aufenthalt in Panzi- und haben sie als erste im Dorf noch einmal vergewaltigt. Jetzt ist sie schon zwei Monate wieder im Krankenhaus. Ohne jede Hoffnung, mit leeren Augen, langsamen Bewegungen, ein Bild des Jammers.
Kabene ist 28 Jahre und kommt aus Bunyakiri, im Norden Süd-Kivus. In ihrem Dorf sind alle Männer und Kinder von den FDLR-Rebellen getötet wurden. Sie haben die Häuser verbrannt, alles gestohlen was nicht niet- und nagelfest war. Manchen haben sie die Hände abgeschlagen, die Füße abgetrennt und die Penisse den Männern abgeschnitten. „Wir hatten gar nicht so viele Gräber, um alle Toten zu beerdigen", erzählt sie mir. Aber das pure Grauen kommt ihr erst später ganz leise über die Lippen: Die Männer haben eine Schwangere in einen Wassereimer gesetzt, und ihr das Kind bei lebendigem Leib aus dem Bauch geschnitten. Mehr kann sie nicht erzählen. Es schüttelt sie wieder und wieder. Ihrem Mann, sagt sie dann beim rausgehen, haben sie nur einen Arm abgehakt. Jetzt ist er zwar behindert- aber wenigstens am Leben. Und sie hofft auch bald ein wenig stabiler zurück in ihre Familie zu kommen.
Eine Geschichte ist grausamer als die andere. Diese Rebellen scheinen eher Tiere als Menschen. Aber alle Frauen flehen mich am Ende unserer Gespräche immer wieder an: Die FDLR muss weg. Das seien die Hutus, die diese Grausamkeiten begehen. Erst dann komme wieder Frieden, erst dann können sie wieder ihre Felder bestellen und in Ruhe mit ihren Familien leben.
Solange aber die über 40 Rebellengruppen im Ost-Kongo über die Bodenschätze und ihre Produktion die Gewalt haben, wird sich nichts ändern. Vor allem das begehrte Coltan für Mobile Phones bringt Millionen Dollars. Die wiederum in Waffen wandern, mit denen die Bevölkerung terrorisiert wird.
Endlich sind die Hersteller der Mobiltelefone sensibilisiert. Apple und Nokia achten angeblich darauf , woher das Coltan kommt. Es sollte nicht mit dem Blut der armen Menschen hier im Kongo erkauft sein. Doch Ruanda ist der große Exporteur. Die aber haben gar keine Coltan-Minen. Das Coltan aus Ruanda kommt von den Rebellen aus dem Ost-Kongo. So wird sich dieser schlimme Kreislauf erst ändern, wenn die Rebellen keine Absatzmärkte finden und die Weltgemeinschaft aufwacht.
Mit diesen nicht gerade sehr ermutigenden Gedanken sehe ich auf den Kivu-See, hinüber auf die größte Binnen-Insel der Welt. Da gibt es keine Rebellen, keine Bodenschätze- dafür Armut, Krankheit und kaum Zugang zu den Errungenschaften der Zivilisation. Was ist besser?
Bis morgen, aus Ciriri hoch über Bukavu. Aus und über das Hospital des großen UNICEF- Spenders Gustav Rau. Endlich eine positive Geschichte!