25.02.2016, Dritter Tag

Lesbos

Punkt 6 Uhr: raus, duschen und die SZ auf das iPad laden. Damit ich vor der Abfahrt noch alle Neuigkeiten vor allem zur Asylpolitik und zu den Diskussionen um Griechenland und die Türkei mitkomme.Vangelis ist pünktlich und wir fahren Richtung Süden. Sehen die ersten der unzähligen Freiwilligen Helfer. Diesmal vor allem den großen, weißen Wagen der Boat- Refugee Foundation, einer holländischer Organisation zur Rettung der Flüchtlinge. Dave erzählt mir, dass er gestern draußen in der Bucht von Skala Skamnias dabei war und den griechischen Küstenwächtern geholfen hat die Menschen auf dem Flüchtlingsboot aufzunehmen. Es seien lauter jesidische Frauen und Mädchen gewesen. Aufgefallen ist ihm das nur, weil sie alle keine Kopftücher getragen haben. Die Küstenwache brachte Sie dann nach Petra auf die Westseite der Insel und von dort mit dem Bus in den Hotspot Moria. So weit, so gut. Finde ich. Obwohl die vielen Freiwilligen natürlich auch enttäuscht waren, dass die Marmeladenbrote, der heiße Tee, die Pullis, Socken und Wärmefolien nicht zum Einsatz kamen.
Hier, wo wir jetzt gerade miteinander reden, entdeckt sein Kollege mit dem Fernglas ein Boot, das direkt auf uns zu steuert. Trotz des starken Gegenwindes. Die Spanier und die Holländer, die Briten und die griechischen Helfer organisieren sich hochprofessionell. Einige Männer ziehen eilig ihre Neopren-Anzüge an. Das Boot muss gleich näher ans Ufer gezogen werden. Meistens mit rund 60 Menschen drin. Und diesmal an einer sehr steinigen Küste. Noch zehn Minuten, fünf Minuten, die Helfer winken schon alle fröhlich den Flüchtlingen zu, ein"warm welcome", so muss es ihnen erscheinen.
Dann geht alles ganz schnell. Die Helfer ziehen das schwere, schwarze Schlauchboot so nah als möglich, legen dicke Steine zum einfacheren Aussteigen unter. Frauen und Kinder zuerst - auch hier funktioniert diese alte Seemannsregel. Blass sind Sie alle, dazu vollkommen durchnäßt. An Land bekommen sie erst mal warme und trockene Socken. Graue Decken sind ausgebreitet. Die Frauen mit den Kindern nehmen darauf Platz, erschöpft aber auch erleichtert. Den frierenden Menschen aus Afghanistan und Pakistan werden Wärmefolien unter die Pullover und Jacken gezogen. Ich lerne gleich, an einer Ecke einen Knoten zu machen, die Folie dem Flüchtling von hinter überzustülpen und ihn rundum damit zu bedecken. Dicke Jacke darüber, das ist die erste Hilfe. Eine nette Britin reicht heißen Tee in Plastikbechern, der UNHCR-Bus hält am Strassenrand. Alle sind froh, erleichtert und glücklich. Flüchtlinge wie die Helfer. Eine junge Ärztin verteilt Pflaster, Schmerztabletten und mahnt bei Verletzungen, gleich in die Ambulanz in Moria zu gehen.

Aber noch etwas anderes geschieht zur gleichen Zeit: Einheimische stürzen sich wie Geier auf das Gummiboot, auf die sinnlosen Rettungswesten, auf den Außenbordmotor, die Gurte und packen das Holzgitter des Schiffsbodens auf Ihr Autodach. So schnell kann man gar nicht schauen, wie alles verstaut ist in kleinen Pick-ups und auf großen Lastwagen. Die Motore verkaufen die Griechen dann übrigens wieder an die Türken. "Recycling" bekommt da eine ganz neue Bedeutung.

Inzwischen fängt es an zu regnen. Wie angekündigt. Die Flüchtlinge sitzen im Bus und ind damit auf dem Weg in das Aufnahmelager. Wir besuchen jetzt noch ein anderes Lager, im Norden von Mitilini: Kaka Tepe. Ein freundlicher junger Mann begleitet uns. Er heißt Aimar und kommt aus Libyen. Vor drei Jahren schon flüchtete er über die Türkei nach Lesbos und hat inzwischen in Griechenland Asyl erhalten. Seine Organisation "Actionaid " aus Großbritannien betreut vor allem allein reisende Frauen und Kinder. Uns begegnet Amal aus Homs in Syrien. Sie hält freundlich auf seine Bitte an, mit zwei Kindern an der Hand. Wirkt offen, froh und positiv. Dazu hat sie auch allen Grund. Ihr Mann ist bereits mit einem Kind in Saarbrücken angekommen. Jetzt wartet Sie hier, bis Sie alle Nachkommen können. Es sähe nicht schlecht aus, übersetzt mir Aimar. Wir dürfen Amal fotografieren und sie verspricht mir, so schnell als möglich deutsch zu lernen. Ihr Sohn in Saarbrücken könne es schon gut, erwidert sie lachend und macht sich mit großen Schritten fröhlich auf den Weg in die Stadt.

Wir haben um 12 Uhr noch einmal eine Verabredung im Lager Pikpa, diesmal mit Linda. Vorher kaufe ich noch mit Angela Gebäck ein für die Kinder dort. Die Ladenbesitzerin fragt wofür das alles sei ? Als wir von den Kindern erzählen, packt Sie noch eine große Tüte als Geschenk dazu. Wie wunderbar.... Linda, die Syrerin, ist 42 Jahre jung. In Latakia an der Küste zum Mittelmeer aufgewachsen. In vermögenden Verhältnissen. Sie musste nie arbeiten, wie sie sagt. Die Eltern waren vermögend. Aber durch den Krieg hat sich auch für die attraktive, sehr lebendige junge Frau alles verändert. Die Geschwister sind längst im Ausland, ihre Freunde auch. Der Krieg kommt immer näher. Da macht sie sich auch auf die Flucht. Über den Libanon und den Flughafen Beirut. Noch bevor das Land seine Grenzen verschloss. Von dort fliegt Linda nach Mersin in der Türkei. Der Bruder lebt in Izmir, das ist Ihr nächstes Ziel. Bis hier läuft alles unproblematisch. Nach drei Tagen funktioniert ihr Kontakt mit einem Schmuggler. Mit 47 anderen Menschen sitzt Linda dann bereits um Mitternacht in einem dunklen Gummiboot. 600 Euro verlangt der Händler. Das ist noch günstig im Vergleich zu den anderen Preisen, die ich von Flüchtlingen gehört habe. Aber da erscheint plötzlich die türkische Polizei. Versucht mit Stangen und Gewehren das Boot zu zerstören. Wasser fließt hinein, Linda beschreibt jetzt noch voller Panik, wie es ihr bis zur Brust steigt. Längst sind alle Taschen, Rucksäcke und Beutel unter dem Wasser. Da greift sie voller Angst nach Ihrem mobilen Telefon, zerrt es aus der oberen Jackentasche und ruft die "Ärzte-ohne- Grenzen" verzweifelt an - und die kommen. Vertreiben die Polizei und helfen den Flüchtlingen, das überflutete Boot wieder klar zu kriegen. Langsam und noch voller Angst gleiten die 48 Menschen nach Mitternacht hinaus auf das Meer und steuern Lesbos an. Im Morgengrauen dann das große Glück: der Motor hat durch gehalten- was oft nicht der Fall ist - das Boot ist nicht weiter voll Wasser gelaufen und keine türkische Küstenwache hat sie aufgehalten. Das griechische Rote Kreuz steht am Strand, empfängt sie alle auf, bringt Sie zum Registrieren und für Linda ist seitdem alles wieder gut. Mit blitzenden Augen und temperamentvollen Armbewegungen erzählt Sie Ihre Geschichte. Wie glücklich sie jetzt ist, hier in Pikpa. Wie sehr sie etwas zurückgeben möchte. Am liebsten beim griechischen Roten Kreuz. Linda spricht inzwischen fließend griechisch, dazu arabisch als Muttersprache und ist sich damit sicher, dass Sie helfen kann. Ihr Asylantrag in Griechenland wurde in einem Tag genehmigt, um eine Arbeitserlaubnis hat Sie eingegeben. Wenn die kommt, dann will Sie helfen, zupacken und dankbar sein. Wie jetzt auch schon. "Ich liebe Griechenland", sagt Sie strahlend und Angela, die Übersetzerin ist strahlt richtig glücklich.

Am Tag vorher hat der neue UNHCR-Direktor aus New York die Insel Lesbos besucht. Sich alles zeigen lassen: wo die Flüchtlinge nachts und im Morgengrauen ankommen, wie sie registriert werden, danach versorgt und schließlich auf die großen Schiffe gehen mit Ziel Piräus oder Kavala bei Thessaloniki. "Ich will Ihr Botschafter sein", versichert er dann dem Bürgermeister von Militlini, und weiter: "Wenn das Europa macht, welches ein Europa haben wir denn dann eigentlich geschaffen? Europa zeigt keine Solidarität, aber was wir hier auf Lesbos sehen, das ist die Solidarität der Menschen hier".

So erlebe ich das auch. Das sowieso gebeutelte Griechenland muss jetzt auch noch mit Hundertausenden von Flüchtlingen fertig werden - wie soll das ohne europäische Hilfe gehen? Alles was ich aus der Türkei hier höre, klingt nicht nach Kooperation. Eher nach dem Gegenteil. Warum dann dorthin 3 Milliarden Euro schaufeln- und nicht mit diesem Geld die geplagten Griechen unterstützen?

Wenn das Wetter mitspielt, will ich mir noch den größten Berg an Rettungswesten im Norden der Insel ansehen. Den Plastikberg , aus dem der chinesische Künstler Ai Weiwei eine Skultpur bauen will. Und vielleicht nochmals in Skala Skamnias vorbei sehen... Angela will mich mit einer Lesbierin( wie sagt man eigentlich zu den weiblichen Bewohnern dieser Insel?) zusammen bringen, die mit einer Frauengruppe für die Flüchtlinge näht und strickt. Auch so eine schöne Geschichte über persönliches Engagement in dieser humanitären Krise.