26.02.2016, Vierter Tag

Lesbos

Nach dem die BILD-Zeitung von der "Insel der Toten" schreibt, will Ich auf dem Friedhof von Mitilini einmal sehen, wieviele Flüchtlinge dort tatsächlich begraben sind. Geht aber nicht so einfach. Wir dürfen nur mit einer schriftlichen Erlaubnis von der Friedhofsverwaltung hinein. Die bekommt man in der Stadtverwaltung, aber immer nur zwischen 10 und 11 Uhr. Das ist jetzt vorbei. Also dann erst morgen.
So treffe ich mich zuerst noch mit ein paar tüchtigen Lesbierinnen in einer kleinen Kneipe. Im Herbst 2015 haben sie angefangen für die Flüchtlingskinder zu stricken, kleine Mützchen und Schals, immer hübsch zusammen passend. Inzwischen sind es 20 Frauen auf der Insel, die sich jeden Sonntag Nachmittag treffen, sich austauschen und ansonsten jeden Tag in der Woche Mützen stricken. Sie zeigen mir voll gefüllte Plastiktüten mit den kleinen Kunstwerken. Am Anfang haben Sie im Morgengrauen am Strand gestanden um den frierenden Kindern die frisch gefertigten warmen Mützen und Schals anzuziehen. Aber die Frauen haben schnell erkannt, dass die Hilfsorganisationen professioneller helfen und bringen darum jetzt ihre Tüten direkt in die Lager, damit sie dort verteilt werden. 150 Sets schaffen Sie pro Woche...das macht die Frauen glücklich und gibt Ihnen das Gefühl, etwas Sinnvolles in dieser schlimmen Situation zu machen. Inzwischen sind es in ganz Griechenland mindestens 400 Frauengruppen, die für die Flüchtlingskinder stricken. Über Facebook haben Sie sich alle vernetzt, geben sich bei YouTube Tipps, zum Beispiel wie am besten ein Bommel gelingt. Eine kleine Aktion- aber auch ein Beispiel für das Mitgefühl der Menschen in Griechenland.

Gestern, so erfahre ich, sind 2000 Flüchtlinge im Hotspot Moria registriert worden. Dann ziehen sie alle hinunter in die Stadt, warten auf Parkbänken und auf den Kaimauern auf die Abfahrt der großen Schiffe nach Piräus oder nach Kavala. Wenigstens hier auf Lesbos gut versorgt von den Hunderten von Helfern der Organisationen, die ihnen rund um den ehemaligen Militärstützpunkt Moria Kleidung und Wasser, Lebensmittel ,Pflaster und Medikamente geben. Dazu aber haben sich auch kleine Geschäftsmodelle entwickelt: Imbissbuden, Stände mit Sim-Karten oder Rucksäcken. Auch in der Stadt machen die Bürger von Lesbos Geschäfte: Schlafsäcke gibt es da plötzlich zu kaufen, Regenschirme, Powerladegeräte für Mobiltelefone und Regenüberhänge. Nichts was früher zu den Hochzeiten des Tourismus gegangen wäre... und das ist ein bitteres Kapitel für die Menschen auf Lesbos, die früher gut vom Tourismus gelebt haben. Denn der ist für den kommenden Sommer bereits um 70 Prozent nach unten gesunken. Vor allem die Pauschal-Reiseveranstalter hätten ab gesagt. Andererseits belegen all die Hundertschaften von Frontex-Polizisten und die vielen europäischen Helfer die Hotelzimmer. Für die Hotelbesitzer im sonst ruhigen Februar sicher gut- aber die Angst vor dem Einbruch "danach" bleibt ist groß.

Einen Tag später gelingt es uns dann tatsächlich, die Erlaubnis für den Friedhof zu bekommen. Mir zwei Fotokopien, einmal der ID der Übersetzerin und von meinem Pass. Wir gehen still durch den imposanten griechischen Friedhof. Ganz oben, am hintersten Rand hoch über Mitilini liegen sie, die muslimischen Toten, zum Teil ohne Namen. Irgendwie: verscharrt. Rund herum Matsch und Dreck, sogar eine Müllhalde. Ich entdecke zwei Kinder nebeneinander, zwei und sieben Jahre alt, daneben Ihre Mutter, die nur 30 Jahre wurde. Der Vater, höre ich später, hat als einziger die Überfahrt überlebt. Wie mag er damit fertig werden?
Bitter wird es zudem für die muslimischen Verwandten der Toten, dass in Griechenland nach drei Jahren die Grabstätten aufgelöst wird. Aber ein Muslim darf nach dem Koran nicht mehr umgebettet werden. Das ist jetzt aber hier nicht so vordringlich. Noch gibt es andere Probleme auf der Insel Lesbos. Mit dicken, feuchten Erdbatzen an den Schuhen gehen Angela und ich wieder hinunter zum Eingang. Rund 100 ertrunkene Flüchtlinge liegen hier. Wieviele werden es noch werden bis endlich niemand mehr flüchten muss ? Es ist ein Drama, überall auf der Insel. Auch die Bewohner leiden. Sie leiden mit den Menschen. Letzter Blick über das Meer auf die alte, schon ziemlich verfallene Burg. Auch hier, wie an fast allen Stränden: Rettungswesten, in allen Größen und Farben. Wo, frage ich mich, sind die Menschen die sie getragen haben, abgeblieben? Abends in den Nachrichten sehe ich, dass wütende Afghanen und Pakistaner die Autobahn zwischen Athen und Thessalonki blockieren. Weil sie in Mazedonien nicht mehrdurch gelassen werden. Rückstau. Ab Österreich bis hier her. Bis in Griechenland. Es regnet, es ist kalt. Wie geht dieses menschliche Drama weiter?