Tagebuch 4 aus dem Libanon
Am frühen Morgen ist das eine wunderschönen Fahrt: hinauf auf die höchsten Gipfel des libanesischen Gebirges, über den Pass und hinunter auf die Zwei-Millionen-Stadt Beirut zu. Dann am Mittelmeer entlang auf einer gut ausgebauten Autobahn nach Norden bis Tripoli. 500 000 Einwohner. Und jetzt. 50 000 syrische Flüchtlinge. Heißt es. Wir fahren als erstes hinunter zu den Hafenanlagen, nach Al Mina. Wieder ein Checkpoint. Wir dürfen nicht weiter. Am Rand sitzen sieben Männer, Syrer. Und eine Familie mit zwei Kindern. Der Soldat am Kontrollpunkt scheucht uns schnell wieder weg. Wir dürfen weder mit den Flüchtlingen reden, noch fotografieren. Nur eine hübsche junge Syrerin im dunkelblauen Hidschab mit ihrem Mann erzählt uns, dass sie auf ihre Eltern wartet, die für 2000 Dollar ein Ticket in die Türkei gekauft haben. Jetzt will sie ihnen noch ein paar Geschenke mitgeben. Sie selbst studiert Jura in Beirut und will im Libanon bleiben. Sichtlich eine vermögende Familie, die sich auf legalem Wege eine Ausreise leisten können. Warum zahlen dann die Eltern 2000 Dollar? Wo doch ein normales Schifstickt viel billiger zu haben ist??
Wir fahren weiter entlang des Hafens, vorbei an unzähligen Fischerbooten. Weit uns breit niemand, der wir ein Flüchtling aussieht auf der Suche nach einem Schiff.
Mir ist nach einem Chai, einem schwarzen Tee und Cecilia und Mohammed freuen sich auf einen türkischen Kaffee.
Ich frage den Mann, der uns die Getränke bringt, ob er weiß, wo wir Syrer finden könnten? „Ganz einfach," lacht er," ich bin Syrer. Vor drei Jahren aus Syrien geflohen, Wir sind alle hier Syrer. Ich bringe Ihnen meine Familie."
Und so erfahren wir, dass die meisten der syrischen Flüchtlinge in Tripoli in Häusern, in Wohnungen leben. Viele, so erzählt mir der 20jährige Ismael, haben jetzt aber Angst vor einer weiteren Reise nach Europa. Sie hätten gehört, dass so viele auf dem Weg schon gestorben seien. Vor allem zwischen der Türkei und Griechenland, wenn die Booten kentern.
Deshalb sind sie nicht unzufrieden, dass ihnen ein Libanese diese leerstehenden Räume überlassen hat. Ohne Miete. Sie könnten damit machen, was sie wollten. Und sie haben ein Cafe´ aufgezogen. Das jetzt nur von uns bevölkert wird- es ist auch keine Touristenzeit mehr.
Andere Syrer versuchen es auf ganz legalem Wege mit einem Antrag beim UNHCR. „Das ist sicherer", sagt Akic, der wie alle 20 hier in diesem Cafe´ aus Idlib vor den IS-Terroristen geflohen ist.
Wir erfahren aber auch, dass viele syrische Familien rund um die Universität von Tripoli leben, in den ehemaligen Studentenwohnheimen. Auch hier haben wir wieder Glück. Die 34jährige Maha bittet uns in ihre Zwei-Zimmer-Wohnung, die sie mit ihren sechs Kindern und ihrem Mann bewohnt. Mit einem Fernsehapparat plus Receiver und Arbeit in dem Mehrfamilien-Haus, dafür müssen sie keine Miete zahlen. Mit Whatsapp kommunizieren sie mir ihren Eltern in Syrien. Erfahren, dass dort der Krieg immer schlimmer wird. Aber jetzt kommt niemand mehr rüber in den Libanon. Was machen ihre Kinder ? Auch sie gehen nicht zur Schule, leider. Der Schulweg sei zu weit. Ich frage: "Wie weit?" –„45 Minuten- und außerdem ist es viel zu gefährlich." Das habe ich schon oft gehört. Das verwundert mich. Was sind schon 45 Minuten für einen Schulweg? In einem eigentlich sicheren Land?
Auch bei UNICEF kennen die Mitarbeiter diese Argumente und kommen schwer dagegen an.
Eine andere Mutter, Zeinab, würde in diesem Haus dagegen ihre drei schulpflichtigen Kinder gerne in die Schule schicken- aber das kostet zu viel, erzählt sie mir. Außerdem sei es schwer gewesen, dem englischen oder französischen Unterricht zu folgen, denn ihre Kinder hätten in Syrien am Anfang erst mal nur arabisch gesprochen. Und so sitzen auch sie zuhause herum. Was für ein Leben. Zurück will Zeinab nie mehr. Sie hat schon zwei Brüder in diesem Krieg verloren. Dazu kommt, dass ihr ältester Sohn schon im Libanon Arbeit hat. Das hilft ihnen, auch wenn die Schulden im kleinen Lebensmittelladen um die Ecke täglich mehr werden.
Der Ladenbesitzer sei ein kleiner, freundlicher Libanese, der lässt das zu und sagt nichts.
Nicht weit entfernt sitzen rund 25 Syrerinnen auf schmalen Bänken in den Räumen der Islamic Medical Association. Für wenig Geld werden sie hier behandelt, erzählen sie mir. Gekleidet in farblich abgestimmten Hidschabs, alle mit einem Mobiltelefon in der Hand und eleganten Geldbeuteln. Ihre Männer, so sagen sie, haben alle Jobs gefunden. Am Bau, im Hafen. Einige in einer Schreinerei. Ihre Kinder gehen zur Schule, die 100 Dollar im Monat können sie sich leisten. Keine von ihnen will weg aus dem Libanon. Es geht ihnen gut hier, sagen sie, sie leben in Frieden, und müssen nicht mehr Angst vor den verschiedenen kriegerischen Parteien in Syrien haben. Das sind dann doch mal positive Töne, die ich hier höre. Der Arzt will diesen Frauen ein wenig mehr Wissen in Sachen Hygiene und Ernährung beibringen. Und wie steht es um Empfängnisverhütung, frage ich? Fehlanzeige, erklärt er mir. Die syrischen Familien, die zu ihm in das Medizincenter kommen, wollen nicht verhüten. Ganz im Gegenteil, sie wollen viele Kinder haben, damit die schrecklichen Verluste dieses Krieges sich eines Tages wieder ausgleichen. Das ist auch eine Sichtweise- mein Beispiel aus Afrika, wo die Frauen am liebsten nur die Kinder zur Welt bringen, die sie auch ernähren können, zählt hier nicht. Die Familien schaffen das hin und manche erwarten das zehnte, das elfte Kind.
Ganz zum Schluss an diesem sonnigen Spätsommertag in der Hafenstadt Tripoli mit dem unsäglichen Verkehrschaos kommt dann doch ein nachdenkliches Thema auf: der Arzt erzählt mir, dass inzwischen weniger die Syrer auf einen Platz auf einem Schiff in die Türkei warten, als die Libanesen. Denn durch die Millionen billigen Arbeitskräfte hätte sich die Arbeitslosigkeit bei den Libanesen erhöht. Die wollen jetzt weg aus ihrem Land, weil sie es so schwer eine Arbeitfinden, die dann auch die Familie ernährt. Das ist bitter und macht traurig.
Am Spätnachmittag zurück nach Zahle´- ein Verkehrstau nach dem anderen. Wir brauchen gefühlt viermal so lange wie auf dem Hinweg. Da frage mich auch Mohammed, ob es denn schwierig sei ein Visum nach Deutschland zu bekommen. Er habe einen Bachelor in Business Management gemacht und suche seit drei Monaten nach einem Job. Das ist wohl das Thema der Jugend in diesem Land. Eine Jugend, die keine Zukunft sieht. Auch vor den Problemen ihres eigenen Landes.