Tagebuch 3 aus Suruc
Die beiden hoffnungslosen, älteren Frauen sind mir in der Nacht nicht aus dem Kopf gegangen. Eine, die ganz in Weiß, zeigte mir ihren Oberarm. Mit ihrem Namen, eintätowiert. Feray übersetzt: “Damit andere noch meinen Namen kennen, wenn die ISIS-Terroristen meinen Kopf abgehakt haben“....was für eine Perspektive!
Am nächsten Morgen springen wir schon um sieben Uhr früh in unseren Wagen. Suruc ist unser Ziel. Etwa 300 Kilometer entfernt, direkt an der syrischen Grenze.
Suruc war auch der Ort des verhängnisvollen Selbstmordattentates eines jungen Mannes. Er riss 31 Kurden mit in den Tod, überwiegend Flüchtlinge, die sich im Sozialzentrum versammelt hatten. Als Reaktion griffen daraufhin PKK-Kämpfer zwei türkische Soldaten an und töteten sie. Die Spirale der Gewalt dreht sich seitdem immer weiter. Der türkische Präsident Erdogan packt die Chance mit beiden Händen, um die erfolgreiche Kurden-Partei HDK zu diskriminieren. Er will sie bei Neuwahlen im kommenden November wieder aus dem Parlament zu drängen. Der Osten der Türkei brodelt, das ist an allen Ecken zu spüren.
Jetzt aber fahren wir noch friedlich und entspannt durch das Land. Auf perfekten gut ausgebauten Autobahn-ähnlichen Straßen. Durch moderne Städte mit vielen Baustellen und eleganten Hochhäusern. Vor Suruc sehen wir die klassischen türkischen Flüchtlingslager, ein wenig heruntergekommener als rund um Diyarbakir. Jetzt aber wollen wir erst mal an die Grenzen, nochmals zehn Kilometer südlich von Suruc. Das Thermometer klettert auf 40 Grad. Wir passieren Polizeikontrollen, Metallzäune und schließlich eine lange Schlange von kleineren Lastwagen. Vollgepackt mit Betten, Schränken, Matratzen, Kisten und Koffern. Wollen die alle zurück in das ehemalige Kriegsgebiet?
Wir können bis ganz vorne zur Grenze fahren. Staubig ist es hier. Ganz nah das zerstörte Kobane. Zerschossene Dächer, Ruinen und Häuser ohne Fenster und Türen.
Vor der Grenze bieten drei große Bäume den Menschen ein wenig Schatten. Vor allem Frauen mit ihren Kindern sitzen da. Seit fünf Uhr morgens warten sie hier. Oft bis zu zwölf Stunden. Sara sitzt hier mit ihren Baby, stillt es zwischen durch. Ein Jahre habe sie jetzt in der Türkei gelebt, ist nach den Angriffen der ISIS dorthin geflohen. Hat alles zurückgelassen. Aber gut haben sie es, erzählt die 18jährige Meyisa, nicht gehabt hier im Osten der Türkei. Sicher, die Menschen hätten ihnen Lebensmittel gegeben, Decken, Zelte oder Wohnungen. Aber auch wenn ihr Vater im Kampf mit die ISIS-Terroristen ums Leben gekommen ist- sie will wieder zurück. Zusammen mit ihrer 55jährigen Mutter Rachmed. Das Mädchen spricht fließend englisch. Sie hofft, dass sie in Kobane als Englisch-Lehrerin arbeiten kann und damit sich und ihre Mutter ernährt. Ihr Haus ist kaputt, die Wohnung ausgeraubt. Sie müssen vollkommen neu anfangen. Aber das macht ihnen nichts aus. Es ist allemal besser als hier in der Türkei bleiben., erzählt sie mir.
Alle Frauen berichten das gleiche: sie wollen zurück, haben über ein Jahr im kurdischen Teil in der Türkei gelebt. Aber sie haben sich nicht wohl gefühlt. Obwohl sie auch Kurdinnen sind. Plötzlich tauchen erst zwei, dann vier Polizisten auf. Junge, starke Männer, mit kurzgeschorenen Haaren und äußerst selbstbewusstem Auftreten. Was wir hier wollen, wir haben keine Erlaubnis, wir sollen verschwinden- und der Kameramann Peter Müller solle alle Fotos und Filmaufnahmen löschen. Wir holen unsere internationalen Presseausweise heraus, Peter Müller seine Bild-Visitenkarte- hilft nichts. „Delete“ schreien ihn die zwei der Männer an. Aber Peter Müller will nicht. Whrt sich und fragt immer wieder: Warum? Unsere kurdische Übersetzerin versucht zu schlichten, sie hat sichtlich Angst. Ich ziehe mich mit meiner Kamera in die zweite Reihe zurück, setze den Schutzdeckel auf das Objektiv und hoffe, dass sie nicht auch meine Bilder gelöscht haben wollen. Aber die vier konzentrieren sich auf Peter Müller. Umringen ihn mit ihren breiten Oberkörpern. Dabei ist mein Fotograf schon noch ein wenig breiter und größer als sie. Aber eben: vier Männer. Nach heftigen Worten zeigt er ihnen ein Bild- das könne er löschen, schlägt er vor. Nach vielem Hin und Her, und Diskussionen sind die zivilen Polizisten zufrieden. Lassen sich erstaunlicherweise nicht alles zeigen, was wir fotografiert haben- Glück gehabt! Einer lässt jetzt seine aufgestaute Wut an einem jüngeren Mann aus, der vor will zur Schlange vor der Passkontrolle. Unglaublich aggressiv geht er ihn an, schiebt ihn wütend mit beiden Armen zurück, brüllt ihn an. Kein schöner Eindruck, wie sich die türkische Polizei den Kurden gegenüber verhält.
Wir ziehen uns langsam zurück, bleiben noch vor dem eingezäunten Areal stehen. Jeder noch so kleine Schatten ist uns recht. Es sind jetzt 45 Grad. Während wir an der Grenze gewartet haben, ist kein einziger LKW durchgekommen. Die Menschenschlange hat sich nicht bewegt. Was machen sie da drin? Warum dauert das so lange? Ein paar Väter sagen „Inshallah“, und wollen es morgen um fünf Uhr früh wieder versuchen. Niemand wird sie mehr aufhalten auf dem Weg zurück in ihre zerbombte Heimatstadt. Wir fahren zurück nach Suruc, finden ein kleines Lokal voller Männer, wo wir große Platten Fleisch und Gemüse bekommen. Ich kaufe mir am Obst-Stand eine der berühmten kurdischen Wassermelonen- mehr geht bei mir nicht, bei dieser Temperatur.
Es gibt sogar türkischen Kaffee, was nicht überall in diesem Land der Fall ist. Die anderen kriegen den bekannten Tee, den Tschai, im Glas. Kurden trinken mehr Tee als Kaffee lerne ich.
Wir halten dann noch auf dem Weg zurück nach Diyarbakir in dem Flüchtlingslager am Straßenrand, das aus auf dem Hinweg schon aufgefallen war. Ein paar Kurden empfangen uns freundlich, wir dürfen ohne Probleme rein und mit den Flüchtlingen sprechen. Die resolute Resmis bittet uns zu sich ins Zelt. Auf beiden Seiten sind die Planen hochgeschlagen, und innen drin surrt ein Ventilator. Wir ziehen wie immer die Schuhe aus und setzten uns im Schneidersitz zu ihr und ihren Kindern: zu Jala, 11 Jahre, Hilava ist 15 Jahre und der behinderte Servan 9 Jahre alt. Sie wohnt hier auf den klassischen 15 Quadratmetern mit ihrer Nachbarin Dicle zusammen. Sie alle wollen so bald als möglich wieder zurück in ihre Heimatstadt Kobane, sie sind fest überzeugt, dass sie ihre Häuser wieder aufbauen können. Die Ehemänner haben in Suruc Arbeit gefunden, es wird also ein wenig Geld da sein, wenn sie sich aufmachen über die Grenze. Zwar ist über die Trümmer ihres zerstörten Hauses in Kobane eine Straße gelegt worden, aber Resmis ist zuversichtlich: „Wir bekommen da sicher ein wenig Entschädigung“, sagt die 42jährige und wirkt alles andere als deprimiert. Nicht hoffnungslos, sondern voller Zuversicht- nicht zu vergleichen mit den jesidischen Frauen in dem anderen Camp.
Resmis Mann war früher Mechaniker in einer Autowerkstatt, und Autos gibt es immer und kaputt gehen sie auch. Ansonsten ist sie überzeugt, dass jetzt nach den Kämpfen um Kobane die Frauen das Zepter übernehmen. Sie will eine Frauen-Revolution, notfalls würde sie auch selbst in eine Frauen-Armee eintreten und gegen die ISIS kämpfen. Immer noch, erzählt sie, seien 1000 Mädchen in der Gewalt der Terroristen. Resmis und ihre Mitkämpferinnen wollen sie befreien und sie sind sicher, dass sie das schaffen. „Notfalls lasse ich meine Kinder bei meiner Schweigermutter“, sagt sie energisch.
Um diese Flüchtlingsfrauen muss man sich also nicht so viele Gedanken machen. Sie sehen nach vorne, und nicht zurück. Sie sprechen über alles, was sie in diesem Krieg erlebt haben, über all das Grauen und die Gewalt. Was ihren Töchtern widerfahren ist und ihnen selbst: Vergewaltigung, der erzwungene Anblick getöteter Mitbürger. Sie haben darum auch Hoffnung auf eine Zukunft. Sie gehen darum heim in ihre zerstörte Stadt.
Versunken in viele Gedanken fahren wir zurück. Lächeln den Polizeibeamten im weißen Golf zu, die uns „versteckt“ unter einem Baum beobachtet haben und nun ein kleines Stück hinter uns herfahren. Morgen werde ich in den Stadtverwaltungen mehr zur politischen Seite dieser Flüchtlingstragödie hören. In Diyarbakir und in Mardin. Bin schon gespannt.