05.09.2015, Die kurdischen Kommunen wollen den Jesiden Häuser bauen

Tagebuch 4 aus Mardin und Diyarbakir

Sie ist in Celle geboren, hat in Hannover in Politik promoviert und arbeitet heute in der Stadt Mardin im Osten der Türkei als Beraterin des Bürgermeisters: Dr. Leyla Ferman. Sie ist Jesidin, wie die meisten dieser Frauen sehr hübsch und zudem aber: kämpferisch. Das hat sie vermutlich aus Deutschland mitgebracht.

Wir treffen uns in der Stadtverwaltung in ihrem super-schicken weißen Büro. Weiße Schwinger-Stühle, ein eleganter Schreibtisch. “Wir mussten auch richtig um dieses Büro kämpfen“, erzählt sie lachend. Wir- damit meint sie ihre zwei Kolleginnen, mit denen sie sich das Büro teilt.

Ihr Thema: die jesidischen Flüchtlinge- und was soll, was kann mit ihnen geschehen. Die meisten der noch verbleibenen 3 800 Flüchtlingsfrauen kommen aus der 500 000-Einwohner Stadt Sengal. Der inzwischen ja weltweit bekannte Berg Sindschar ist zwar auf der einen Seite wieder in kurdischer Hand, aber auf der Westseite regieren unverändert die ISIS-Terroristen.

Das, was mir als Nicht-Jesidin diese Frauen alles nicht erzählen wollten, erfahre ich jetzt von Leyla Ferman. Sie erzählt von den schweren Traumata der Frauen und Mädchen, von der starken Fixierung der jesidischen Gesellschaft auf die Männer. Von den Entführungen der Mädchen, der Tötung der Babys vor den Augen ihrer Mütter, den Köpfungen der Männer vor den Augen ihrer Familien. Sie versteht, dass diese Flüchtlingsfrauen mit ihren Kindern keinesfalls zurück wollen in die alte Heimat. Dass sie Angst haben vor den Muslimen. Die sie aus deren Sicht an die ISIS verraten haben. Leyla Ferman kennt auch den Wunsch der Familien, aus dem Osten der Türkei wegzugehen. Auch hier, so sagen mir später die Frauen in den Camps immer wieder, fühlen sie sich umgeben von Muslimen und nicht sicher. Schließlich habe genau hier in dieser Region im Osten der Türkei vor 100 Jahren der letzte Genozid gegen die Jesiden stattgefunden.

Leyla Ferman verfolgt nun ein anderes Projekt. Sie möchte zusammen mit anderen 50 internationalen Mitgliedsvereinen der Föderation der Jesiden weltweit für die Flüchtlinge ein Dorf bauen. Jetzt vor dem Winter erst mal schnell mit Fertighäusern. Das Geld, so sagt sie, kriegt sie schon zusammen. Da helfen auch die kurdischen Städte hier mit.

Am Herzen liegt ihr auch, mir zu erklären, warum sie ein vielgerühmtes Projekt aus Baden-Württemberg für fatal hält.: Das Land bietet traumatisierten Frauen an, für drei Monate einzureisen  und an einer Therapie teilzunehmen. Aber Leyla Fermans Argument ist einsichtig: die Frauen dürfen nach drei Monaten entscheiden, ob die Familien nachkommen sollen. So entsteht gewaltiger Druck in der Familie. Druck auf die Frauen, die sich outen müssen, damit die Familie eine Chance hat nach Deutschland zu kommen.

Alles verständlich- so sind bis jetzt auch nur ganze wenige Frauen nach Baden-Württemberg ausgereist.

Leyla Ferman schreibe gerade an einem Bericht über die Situation der jesidischen Frauen. Erzählt sie mir. Am Abend, verspricht, ist er fertig. Und tatsächlich: um 22 Uhr kommt die Mail mit dem Anhang. Sehr deutsch. Sehr zuverlässig.

Wir sind am Nachmittag nach einem ausführlichen Spaziergang durch das besonders hübsche Mardin beim Berater für internationale Angelegenheit der Stadt Diyarbakir, bei Harun Ercan. Auch er setzt sich dafür ein, dass die Flüchtlinge hier  in der Türkei bleiben, dass für sie Dörfer aufgebaut werden, ihnen Land überlassen wird. Auch er ist zuversichtlich und voller Schwung.

Morgen will ich nochmals mit all den neuen Erkenntnissen zu den Flüchtlingsfrauen in das Camp bei Diyarbakir gehen. Mal sehen, was sie jetzt sagen....

Peter Müller und ich gehen wie am ersten Abend nur kurz um die Ecke vor  unserem Hotel in der Altstadt in nettes Straßenlokal. Die Bürger der Stadt spritzen ihre Bürgersteige mit Wasser ab. Aber es wird nicht kühler...das Essen aber ist einfach und gut: Hühner-Kebab mit Reis. Bier gibt es nicht, und auch keinen Wein. Dafür Cola in der Blechdose.... Wir sind schließlich in einem muslimischen Land. Auch gut. Es geht auch so.