Tagebuch 5 aus Kurdistan
Noch einmal in das Camp, noch einmal zu den Frauen. Diesmal habe ich auch ein Tüte mit kleinen Geschenken aus Deutschland dabei: Bonbons, Kekse, Feuchttüchter Schokolade. Noch schmilzt sie nicht. Es ist früh.
Seve ist gerade beim Arzt- aber die anderen Frauen bitten uns herein. Alles wie ist schon beim ersten Mal. Pickobello sauber und aufgeräumt. Die Decken säuberlich gefaltet und hinter einer anderen Decke gestapelt. Sie haben auch einen Kühlschrank und den Ventilator, der bei diesen Temperaturen ein wenig hilft. Seve kommt in einem auffälligen roten Kleid, mit langen Ärmeln, knöchellang, eigentlich viel zu warm. Wie sie das aushält. Noch dazu wo sie immer wieder ihr jüngstes Kind stillen muss.
Ich erzähle, was ich in Mardin und in Diyarbakir von den Kommunen erfahren habe. Wass eine jesidische Mitarbeiterin des Bürgermeisters für sie plant. Das aber regt sie richtig auf. Sie wollen keinesfalls hier bleiben, lieber sterben. Sie wollen nach Europa, warum dürfen die Syrer rein – und nicht wir, höre ich wieder und wieder. Alle Frauen sind sich einig und nach einer Stunde und vielen Argumenten meinerseits kommen auch vier Männer ins Zelt. Einer kann ein wenig englisch und auch er erklärt: sie wollen nach Europa und nicht in ein Dorf. Sie fühlen sich nicht sicher bei den Muslimen. Sie haben Angst. Große Angst.
Wie sagte mir Leyla Ferman: „Die Menschen sind alle schwerst traumatisiert“.
Auch Sari im Zelt gegenüber schüttelt den Kopf. “Lieber sterben wir alle hier- aber wir ziehen in kein Haus hier ein, wir gehen nicht in ein Dorf gehen.“. Er ist zum Verzweifeln.
Das Argument, dass hier im Camp die Kinder nicht in die Schule gehen, versuche ich umzudrehen: sie könnten doch alle ihre Kinder unterrichten? Da sind so viele Helferinnen aus Diyarbakir und Mardin und Batman im Camp- sie alle helfen , kümmern sich und viele können doch auch Lesen und Schreiben weiter geben?
Nach zwei Stunden tun mir nicht nur meine Knie weh, sondern auch mein Kopf. Dass Leyla Ferman als Jesidin ihnen nichts Böses will, hilft auch nichts. Sie wollen nicht weg, sie wollen nach Europa und keinesfalls in diesem Land in einem Dorf leben...und wenn der Winter kommt, dann sterben wir eben, sagen sie alle einstimmig. Und: ich solle ihnen nie mehr kommen und von einem festen Haus und einem Dorf erzählen. Notfalls, sagt dann eine Schwiegertochter bei Seve, gehen wir illegal, auch wenn wir sterben. Allmählich gehen mir die Argumente aus.
Allmählich bin auch in verzweifelt.
So schnell wie der Winter kommt, wird Europa sie keinesfalls aufnehmen. Was dann? Sie stecken mit ihrer Verweigerungs-Haltung zwischen allen Fronten. Man kann jetzt nur noch hoffen, dass es kein allzu kalter Winter wird. Sonst werden ihn einige der Kinder nicht überleben. Denn die vorhandenen Decken helfen dann auch nichts mehr.
Ziemlich deprimiert schleichen wir, der Fotograf, die Übersetzerin Feray , und ich aus dem Lager. Die Menschen hier haben auch alle Ersparnisse längst ausgegeben. Für einen Reise an die bulgarische Grenze, die ihnen den Eintritt nach Europa ermöglichen sollte. Wurde aber nichts. Das haben die türkischen Soldaten verhindert, erzählt mit Mahmood, einer der letzten Männer im Lager.
Jetzt bleibt nur die Hoffnung, dass die jesidischen Gemeinden in Deutschland helfen. Ihre Glaubensbrüder und-Schwestern nicht alleine lassen in dieser Not. Wenn Hundertausende es nach Europa schaffen, sie aber in den Lagern festsitzen. Das ist so bitter.