02.09.2015, Es sind die Frauen, die sich um die Flüchtlinge kümmern - auch in Diyarbakir

Tagebuch 1 aus Kurdistan

Zwei Millionen Flüchtlinge sollen es sein, die die Türkei aufgenommen hat. Menschen, die aus Syrien und aus dem Nordirak vor dem Krieg, vor den Assad-Truppen und vor allem vor den ISIS-Terroristen geflohen sind. Überwiegend Frauen und Kinder. Die Männer und Söhne, die Väter und Brüder scheinen es dagegen zu einem großen Teil schon nach Europa geschafft zu haben. Stimmt das alles so? Stimmen die Zahlen ,die Fakten?

Gute journalistische  Grundregel, die mich mein ganzes Leben lang begleitet: selbst recherchieren, selbst hinreisen. Sehen,  was los ist. Vor allem will ich wissen: warum bleiben die Frauen zurück? Und vor allem: unter welchen Umständen?

 

Also mach ich mich auf zu einer lange geplanten und organsierten Reise nach Diyarbakir. Der 1,6 Millionen-Stadt im Osten der Türkei. Nochmal fast zwei Stunden Flug über das Land, von Istanbul aus. Erst entlang der unglaublich langen Schwarzmeer-Küste, dann  über  karges Land. Da wächst nicht viel, kaum grün, nur grau. Mäandernde trockene Flußtäler, baumlose Bergketten. Mein ipad zuhause hat mir die September-Durchschnitts-Temperatur in Diyarbakir mit 38 Grad angezeigt. Ich werde bald merken dass das nicht stimmt.

 

Wie schon in Afghanistan ist Peter Müller mit an Bord. Für die BILD. Kai Diekmann ist an der Geschichte interessiert.

In der Abendsonne sanfte Landung, kleiner Flughafen, alles geht schnell und dann die Fahrt ins Hotel. Mansur holt uns ab, der wird uns auch die nächsten Tage begleiten. Das Hotel liegt innerhalb der pittoresken sechs Kilometer langen berühmten Basaltmauer der Römer. Zwischen Moscheen und Kirchen, kleinen und großen Geschäften. Gleich sehen wird die berühmten gigantischen Wassermelonen. Die größte sei angeblich 50 Kilogramm  schwer gewesen. Der Tigris, der sich im Osten um die Stadt schlängelt und ein großes Tal bewässert, sorgt für das Wachstum dieser erfrischenden Früchte.

 

Mit whatsapp, so lerne ich, kann man in allen Ländern der Welt kostenlos telefonieren. Und jeder sei bei whatsapp., behauptet jedenfalls Peter Müller. Erster Versuch: tatsächlich-  ich erreiche Feray, die Übersetzerin und wir treffen uns am nächsten Tag um 10 Uhr zur Fahrt in das erste Flüchtlingslager. Bis jetzt klappt alles prima. Wir sind´s zufrieden und fallen ins Bett. Erfreulicherweise haben alle Zimmer Air Condition, denn noch am späteren Abend sind es 38 Grad....

 

Am nächsten Morgen machen wir erst noch bei Kardelen, einem Zentrum für Frauen und Kinder unseren Antrittsbesuch. Die Chefin Mukaddes  hat uns im Flüchtlingslager angekündigt. Es sind auch hier im Osten der Türkei die Frauen, die sich um Menschen in Not kümmern. Die Frauen- und ihre Organisationen. Mukaddes erklärt, dass die Frauen aus Kobane und Singal panische Angst vor Muslimen haben. Denn die einstigen friedlichen Nachbarn hätten nicht zu ihnen gestanden, als die ISIS-Terroristen eingefallen wären in ihre Dörfer, als sie vor ihren Augen ihre Männer und Söhne umgebracht hätten. Das Schlimmste sei für sie alle aber gewesen, ihre Toten zurücklassen zu müssen. Sie nicht ordentlich begraben zu können. Ihnen nicht ihren Respekt erweisen zu dürfen. Mukkades wünscht uns viel Glück bei unseren Begegnungen. Und erwähnt noch wie nebenbei, dass keine der Frauen und Mädchen vor allem auch aus religiösen Gründen von ihren persönlichen Erlebnissen, von Gewalt und Vergewaltigung sprechen würde.

 

Wir fahren hinaus aus Diyarbakir, Richtung Süden. Am Anfang entlang des Tigris. Nach 30 Minuten erscheint auf einem großen Areal eine graue Zeltstadt, umgeben von gerolltem  Stacheldraht. Zwei Männer schieben das lockere Tor auf, wir sind angemeldet und können unverzüglich weitergehen. Vor einem Jahr, gleich nach den ersten Angriffen auf die nordirakischen Städte und Dörfer, seien es 7000 Menschen gewesen, die hier im Lager Fidanlik Zuflucht gefunden hätten. Heute sind es „nur“ noch 4 500.

Untergebracht in großen Armeezelten, aber auch in hölzernen Hütten ohne Wände. Denn da zieht im brütend heißen Sommer eher ein leichter Wind durch.

 

Insgesamt sind es 1 600 Jesidinnen, die hier noch übrig geblieben sind. Mit ihren Kindern. Der erste Eindruck: ein sehr ordentliches Lager, aufgeräumt, sauber. Zwischen den Zeltreihen Steinfliesen, eng verfugt, damit das Gehen leicht fällt. Vor jedem Zelt die Schuhe, wie sich das in diesen Ländern gehört. Innen drin Teppiche, ordentlich gestapelte Decken, friedliche Kinder und viele Babys in kleinen Holzwiegen. Kein Geschrei oder Lamentieren. Die Frauen sitzen im Schneidersitz, mit Tüchern über dem Haar, irgendwo immer ein Kind an der Hand oder im Arm oder gelehnt an die Schulter. So viele Frauen- und so wenige Männer. Und so viele erstaunliche helle und blonde Kinder. Ich werde freundlich in ein Zelt gebeten. Ein zelt voller Frauen und Kinder. Morgen mehr.