08.10.2008, Damit Frauen nicht die Verlierer sind - von der Rolle der Zivilgesellschaft

Rede am 8. Oktober 2008, Forum Eine Welt - Armut bekämpfen - Entwicklung finanzieren

Ich bedanke mich für die Einladung und freue mich sehr, Frau Ministerin, dass ich hier das Wort ergreifen darf. Für die Frauen. Sie wissen vielleicht, dass mich das Thema Gleichberechtigung, gender equality und empowerment of women ein Leben lang, als Journalistin und Frau beschäftigt hat.

So will ich auch mit einer vielleicht für Sie ungehörigen These beginnen: die Milleniumsziele werden ja wohl nicht bis 2015 erreicht werden können.

Könnten sich aber die Völker, die Zivilgesellschaften, die Regierungen weltweit darauf konzentrieren, das dritte Ziel, nämlich Ausbildung und Geschlechtergleichheit, Juristische Umsetzung dieser Gleichheit und die vehemente Einsetzung für Kinderrechte als vordringliche Ziele zu behandeln, würden sich viele der anderen Milleniumsziele im Zuge dessen mit erfüllen.

Armut und Hunger reduzieren, Bildung durchsetzen, Kindersterblichkeit bekämpfen, die Müttergesundheit verbessern, HIV/Aids, Malaria reduzieren. Den Menschen zu Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen zu ermöglichen, die Umwelt zu stärken und zu erhalten.

Sie denken ich bin eine Traumtänzerin? Gerne würde ich Sie vom Gegenteil überzeugen.

Frauen arbeiten mehr aber bekommen weniger

Wir wissen: Überall auf der Welt arbeiten Frauen länger und oft auch härter als Männer- aber sie bekommen weniger dafür. In den Entwicklungsländern gerade mal 30 bis 50 Prozent des Einkommens der Männer. In den Industrieländern immerhin 60 Prozent.

In allen Parlamenten weltweit haben Männer das Sagen: nur gerade mal 17 Prozent Frauen sitzen da wo es um Macht und Kontrolle geht.

Wenn aber Frauen eigenes ausreichendes Einkommen haben, wenn sie entscheiden können in den kommunalen Ebenen oder auf Länderebenen, dann verbessert sich der Ernährungszustand der Kinder deutlich.

Allein in Südasien würde der Anteil unterernährter Kleinkinder um bis zu 13 Prozent sinken. 13,4 Millionen Kinder erhielten dann ausreichend Essen. Es ist erwiesen und wissenschaftlich belegt, dass Frauen in der Regel ihre eigenen Bedürfnisse und andere Investitionen eher zurück stellen und der Ernährung der Familie Vorrang einräumen. Auch und gerade wenn Nahrungsmittel knapp werden. Nach einer UNICEF-Umfrage in Kamerun geben Frauen aus dem eigenen Einkommen 74 Prozent aus, um die Lebensmittelvorräte der Familie aufzustocken. Männer dagegen wollen hier höchstens, 22 Prozent ihres eigenen Einkommens abgeben.

Frauen schicken ihre Kinder in die Schule. Auch ihre Töchter. Weil sie wollen, dass diese bessere Chancen haben als sie selbst. Wenn Eltern in den Ländern des Südens, und ich sage bewusst nicht Entwicklungsländer, wenig Geld haben und nur ein Kind in eine Schule schicken können, dann ist das immer der Junge. Und das wird immer von den Vätern so entschieden.

Mädchen haben weltweit schlechtere Chancen

Denn Mädchen sollen ja sowieso mal heiraten, und zuhause sind sie auch sehr nützlich: beim Babysitten der kleineren Geschwister, bei der Hausarbeit- da lernen sie ja auch gleich was fürs Leben.

Die Chance der Mädchen auf Bildung ist in den Entwicklungsländern dramatisch schlechter als die der Jungen.

Von den 771 Millionen Erwachsenen weltweit, die nicht lesen und schreiben können, sind zwei Drittel Frauen. Das dürfen wir so nicht lassen.

Denn Selbstbewusste und gut ausgebildete Frauen und Mädchen können sich nicht nur besser wehren:

  • gegen Zwangsehen, sexuelle Verstümmelung und Prostitution.
  • gegen den Druck von Ehemännern und Familien, die zur Abtreibung zwingen, weil das zu erwartende Baby weiblich ist.

Mit Ultraschall oder Fruchtwasseruntersuchung lassen zum Beispiel in Indien alle, die es sich halbwegs leisten können, das Geschlecht des Babys vor der Geburt bestimmen – und treiben Mädchen ab. Das geschieht auch in China wegen der Einkindpolitik. Inzwischen fehlen den jungen Männern die jungen Frauen - und was geschieht: Ganze Banden entführen Mädchen auf dem Land, um sie in den Städten an die jungen Männer zu verkaufen.

Weltweit fehlen bis zu 200 Millionen Frauen - und wieder sind sie die Opfer

Und noch ein paar wichtige Punkte, warum gute Ausbildung von Mädchen und Frauen weltweit auch im Hinblick auf das Bevölkerungswachstum so wichtig ist:

Gut ausgebildete Mädchen und Frauen heiraten später, und bekommen weniger Kinder. Sie nehmen Einfluss auf ihre Lebensplanung, sie können verhüten und überlassen dies nicht ihren Männern.

Gut ausgebildete Frauen und Mädchen erheben das Wort gegen Männer, wehren sich gegen Kriege und flüchten rechtzeitig. Wer lesen und schreiben kann lässt sich nicht so leicht einschüchtern und sucht auch in schwierigen Situationen nach Auswegen.

Ich will jetzt nicht behaupten, dass Frauen dann nicht trotzdem vergewaltigt werden. Aber sie werden sich, jung schwanger geworden, nicht so leicht in einer dörflichen Gemeinschaft ausgrenzen lassen, wenn sie aus einem solchen schrecklichen Geschehen heraus ein Kind erwarten. Sicher: davon sind die Frauen in Afrika, Südamerika und Asien nicht wirklich sicher. Noch nicht…..es ist unverändert eine Männerwelt in der sie leben.

In Nepal zum Beispiel entscheiden zu  51 Prozent  Männer  ob ihre Frauen zum Arzt gehen dürfen und ob und wie ihre  Kinder ärztlich versorgt werden. In Bukina Faso und Nigeria sind es gar über 70 Prozent.

Auch die Frage, ob Geld für Medikamente ausgegeben wird, entscheiden südlich der Sahara, in Ostasien, Lateinamerika, Südasien und im mittleren Osten und Nordafrika die Männer – und nicht die Betroffenen, die Mütter, Frauen, und diese für ihre Kinder.

Aber: wenn Frauen mitentscheiden können, sterben deutlich weniger Kinder in den ersten Lebensjahren. Sie leiden seltener an Wachstumsstörungen aufgrund chronischer Unterernährung und wachsen insgesamt gesünder auf. Auch das ist in UNICEF-Untersuchungen belegt.

Und noch eine alarmierende Zahl: allein im letzten Jahr starb eine halbe Million Frauen bei der Geburt eines Kindes. Zu 99 Prozent in den Ländern des Südens. In Afrika südlich der Sahara – so ist in einem UNICEF Report nachzulesen – ist das Risiko, bei der Geburt des Kindes zu sterben, 1 zu 22, in den Industrienationen 1 zu  8000. Es kommt noch bitterer: Babys haben sehr viele schlechtere Überlebenschancen , wenn die Mutter nicht mehr lebt. Die meisten sterben in den ersten zwei Jahren.

Wir mögen emotionale unberührt diese Zahlen abspeichern – aber es kann doch nicht sein, dass wir einfach nur zusehen und es geschehen lassen, dass Mütter und Kinder sterben, nur weil Männer es verhindern, dass sie  ärztliche Hilfe bekommen.

Unverändert bekommt laut Statistik eine Frau in Afrika durchschnittlich fünf Kinder. Die Bevölkerung dort wird sich also von heute 940 Millionen auf zwei Milliarden in 2050 verdoppeln. Jetzt hat zwar fast jedes afrikanische Land eine Politik zur Verlangsamung des Bevölkerungswachstums eingeführt. Aber in den Ländern südlich der Sahara zum Beispiel haben nur ganze 16 Prozent der verheirateten Frauen moderne Verhütungsmittel zur Verfügung.

Frauen wollen nur die Kinder bekommen die sie auch ernähren können

Hier schließt sich wieder der Kreis: keine Frau der Welt will Kind auf Kind bekommen, wenn sie diese nicht ernähren kann und für sie eine Zukunft sieht. Also müssen Frauen dringend ausgebildet werden, damit sie sich und ihre Kinder ernähren können. Aufklärung schon in der Schule ist überlebensnotwendig.

Aber auch  Männer müssen wissen um die Gefahren von mangelnden Gesundheitsvorsorge, für ihre Frauen und Kinder.

Den Regierungen in den Südländern fehlt zudem Geld, um ein funktionierendes Gesundheitssystem aufzubauen und die dringend benötigten Verhütungsmittel zu kaufen. Weltweit können 200 Millionen Frauen nicht verhüten…die aber verhüten wollen. Wenn alle Frauen, die freiwillig die Zahl ihrer Kinder beschränken möchten, dies auch könnten, dann würde sich das Bevölkerungswachstum um ein Fünftel verringern.

Hier läuft viel schief. Auch in Deutschland. Die Entwicklungshilfegelder müssen meiner Meinung nach neu diskutiert und zielgerichteter verteilt werden.

Was muss also außerdem geschehen? Wie kann dieser Teufelskreis zwischen dramatischem Bevölkerungswachstum in Ländern, die zu wenig Nahrungsmittel bereitstellen können und der Situation der Frauen, die nicht über ihr Leben, ihr Einkommen, die Zahl ihrer Kinder bestimmen können durchbrochen werden?

Da gibt es das Projekt der Grameen Bank in Indien. Mikrodarlehen, kleine Kredite für Frauen, die statt der üblichen Sicherheiten nur ihre hohe Rückzahlungsmoral einbringen. Das funktioniert. Die Bundeskanzlerin hat das in Mumbai besichtigt und lobende Worte gefunden. Inzwischen arbeiten nach der Methode von Muhammed Yunus auch die Weltbank, der Sparkassenverband und viele andere Entwicklungsorganisationen. Das ist wirksame Hilfe gegen extreme Armut, Hilfe von unten, indem die Kleinbauern besseres Saatgut und Düngemittel finanzieren können und die Ernährung ihrer Familien damit sichern. 

Damit können sich auch die 93 Prozent Frauen aus Armut und Unterdrückung befreien. Die mit einer Rückzahlungsquote von 98,6 Prozent ein Zeichen setzen auch in einer korrupten sonstigen Geschäftswelt.

Die Weltbank, die Frauen schon immer für eine „untergenutzte Ressource“ gehalten hatten, macht aus den kleinen Dorfprojekten milliardenschwere Entwicklungsprogramme. Das funktioniert. Forschungen ergeben, dass ein Drittel der Kreditnehmerinnen den Aufstieg schafft, ein weiteres Drittel kann die eine oder andere Not lindern. Also immerhin eine Chance für zwei Drittel der Frauen in diesen Ländern.

Dennoch: das ist erst ein Schritt. Bildung muss der andere sein. Bildung für alle, Mädchen wie Jungen müssen in die Schule gehen dürfen, können…

Dabei ist eines klar: Geschlechtergleichheit und eine positive Zukunft für Kinder ist untrennbar miteinander verbunden. Besonders sichtbar wird das bei der tödlichen Seuche HIV/AIDS. Die von den erkrankten Müttern an die Kinder weitergegeben wird.

Nur die Unterstützung der Frauen hilft gegen HIV/Aids

Vollkommen fassungslos habe ich bei einer Reise durch Namibia in einer Radiosendung gehört, dass die Weisen in den Stämmen den an AIDS erkrankten Männern empfehlen, Sex mit einer Jungfrau zu haben. Damit könne man die Seuche heilen.

Nun sagt mir bei dieser ganzen Thematik mein in Europa geprägter Verstand, dass auch die Männer mit einbezogen werden sollten in die Information über Bildung, Gesundheit, und die Zukunft ihrer Kinder.

Auf einer Podiumsdiskussion hat mir aber ein afrikanischer Bischof und Mitglied des Club of Rome die Augen geöffnet: auch er erreiche die Männer Afrikas in diesem Punkt  nicht. Die Präservative ablehnen, denn sie wollen es „natur“, wie er sich ausdrückte.

Zum Schluss aber noch ein anderer wichtiger Punkt, der von uns Frauen in den Industrienationen für Frauen in den Ländern des Südens gefordert werden muss: Mehr Frauen in die Parlamente. Dahin, wo die Entscheidungen fallen, ob Schulen oder Strassen gebaut werden, Brücken oder Kindergärten. Frauen in politischer Verantwortung- egal auf welcher Ebene – verbessern die Situation nicht nur für sich sondern für ihre Kinder und damit für deren Zukunft.

Die  gesetzlichen Grundlagen müssen für Frauen und Kinder geändert werden. Die Länder, in denen es dazu eine Quote gibt, haben mehr Frauen in politischer Verantwortung.  Sonst gelingt es nicht die Glasdecke männlicher Politiker zu durchstossen….wir erinnern uns, auch bei uns ist die Quotendiskussion gar nicht so lange her. Die Grünen haben es uns vorgemacht.

Jetzt hoffe ich, dass ich Ihnen gute Argumente liefern konnte, warum das Erreichen des Millenniumsziels Nr 3 alle anderen Ziele positiv beeinflussen kann. Armut, Hunger, das Leben der Kinder, Müttergesundheit, Bildung für alle, der Kampf gegen HIV/AIDS, Malaria und – nicht zu übersehen – auch um die Umwelt für unsere Kinder zu sichern.

Es ist höchste Zeit, dass wir uns auf den Weg machen.

Es geht uns doch so gut.