15.06.2008, Frauen stärken - Kinder schützen

Vortrag am 15. Juli 2008 bei Rotaract München-Bavaria, Forum Weltbevölkerungswachstum und nachhaltige Entwicklung

Weltbevölkerungswachstum - ein Wort-Ungetüm. Ganz sachlich, distanziert. So als ginge uns das nichts an.

Es geht uns gewaltig was an, vor allem uns Frauen. Und auf die Frauen – 52 Prozent der Weltbevölkerung  - will ich mit Ihnen gemeinsam heute den Focus lenken. Sie wissen, dass mich das Thema Gleichberechtigung mein ganzes auch berufliches Leben begleitet hat.

Ich möchte mit einer These beginnen: Wenn Frauen in der ganzen Welt gleichberechtigt sind, dann sind auch die Kinder geschützt und die Völker gesünder und wohlhabender. Dann hätten wir das Bevölkerungswachstum im Griff, weniger Jugendarmut und Kinder, die genug zu essen haben, zum anziehen und die in die Schule gehen. Jungen und Mädchen gleichermaßen. Warum- das möchte ich Ihnen hier erklären.

Denn: dies sind Visionen, die bei weitem nicht der Wirklichkeit entsprechen. Die sieht nämlich anders aus:

Überall auf der Welt arbeiten Frauen länger und oft auch härter als Männer- aber sie bekommen weniger dafür. In den Entwicklungsländern gerade mal 30 bis 50 Prozent des Einkommens der Männer. In den Industrieländern immerhin 60 Prozent.

In allen Parlamenten weltweit haben Männer das Sagen:nur gerade mal 17 Prozent Frauen sitzen da wo es um Macht und Kontrolle geht.

Wenn aber Frauen eigenes ausreichendes Einkommen haben, dann verbessert sich der Ernährungszustand der Kinder deutlich, weil Frauen mit entscheiden, wofür das Geld ausgegeben wird.

Allein in Südasien würde der Anteil unterernährter Kleinkinder um bis zu 13 Prozent sinken. 13,4 Millionen Kinder erhielten dann ausreichen Essen. Es ist erwiesen  und auch genetisch disponiert dass Frauen in der Regel ihre eigenen Bedürfnisse und andere Investitionen eher zurück stellen und der Ernährung der Familie Vorrang einräumen. Auch und gerade wenn Nahrungsmittel knapp werden. Nach einer UNICEF-Umfrage in Kamerun geben Frauen aus dem eigenen Einkommen 74 Prozent davon aus, die Lebensmittelvorräte der Familie aufzustocken. Männer sind dagegen bereit, 22 Prozent ihres eigenen Einkommens abzugeben.

Frauen schicken ihre Kinder in die Schule. Auch ihre Töchter. Weil sie wollen, dass diese bessere Chancen haben als sie selbst.

Immer noch gehen 115 Millionen Kinder im Grundschulalter nicht zur Schule. Und: unverändert ist die Chance der Mädchen auf Bildung in den Entwicklungsländern schlechter als die der Jungen.

Dafür gibt es viele Gründe: die Pflicht zur Mitarbeit im elterlichen Haushalt, die kleineren Kinder behüten, frühe Heirat, damit einer weniger in der Familie ernährt werden muss, oder oft ein zu weiter Schulweg. Ergebnis: zwei Drittel der rund 771 Millionen Erwachsenen weltweit, die nicht lesen und schreiben können, sind Frauen.

Gut ausgebildete Mädchen können sich beser wehren

Aber: Selbstbewusste, und besser ausgebildete Frauen und Mädchen können sich besser wehren, gegen Zwangsehen, sexuelle Verstümmelung und Prostitution.

Gegen den Druck von Ehemännern und Familien, die zur Abtreibung zwingen, weil das zu erwartende Baby weiblich ist.

Mit Ultraschall oder Fruchtwasseruntersuchung lassen zum Beispiel in Indien alle, die es sich halbwegs leisten können, das Geschlecht des Babys vor der Geburt bestimmen – und treiben Mädchen ab.

Das geschieht auch in China wegen der Einkindpolitik….inzwischen fehlen den jungen Männern die jungen Frauen- und was geschieht: ganze Banden entführen Mädchen auf dem Land um sie in den Städten an die jungen Männer zu verkaufen….

Weltweit fehlen 113 bis 200 Millionen Frauen….

Und noch ein paar wichtige Punkte, warum Bildung auch im Hinblick auf das Bevölkerungswachstum so wichtig ist:

Gut ausgebildete Mädchen und Frauen heiraten später, und bekommen weniger Kinder. Sie nehmen Einfluss auf ihre Lebensplanung, sie können verhüten und überlassen dies nicht ihren Männern.

Wenn wir hier über Bevölkerungswachstum sprechen, dann kann das in der logischen Folge ja nicht sein, dass keine Kinder mehr auf die Welt kommen sollten, damit es nicht zu viele Menschen gibt. Es geht um Steuerungsmechanismen und um Gesundheit.

Dass In Nepal und Bangladesh 51 Prozent und 48 Prozent der Männer entscheiden, ob ihre Frauen zum Arzt gehen dürfen, ihre Kinder versorgt werden, ist abenteuerlich. In Afrika sind es gar über 70 Prozent in Burkina Faso und Nigeria. Auch die Frage, ob Geld für Medikamente ausgegeben wird, entscheiden südlich der Sahara, in Ostasien, Lateinamerika, Südasien und im mittleren Osten und Nordafrika die Männer – und nicht die Betroffenen, Mütter, Frauen, und die für ihre  Kinder. Aber: wenn Frauen mitentscheiden können, sterben deutlich weniger Kinder in den ersten Lebensjahren. Sie leiden seltener an Wachstumsstörungen aufgrund chronischer Unterernährung und wachsen insgesamt gesünder auf.

Ganz bitter ist es, wenn Frauen nicht allein das Haus verlassen dürfen. Ihnen direkte Kontakte zu nichtverwandten Männern, wie Ärzten, untersagt sind.

Auch, wenn sie damit das Leben ihrer Kinder retten könnten. In Ägypten, Bangladesch oder Indien trifft das zu.

Warum Biosprit die Menschen arm macht

Vor drei Wochen habe ich in der Süddeutschen Zeitung einen kleinen Artikel gefunden: Benzin vom Acker macht arm. Und: Biosprit raubt 30 Millionen Menschen die Lebensgrundlage. Mehr als einem Drittel der Bevölkerung Deutschlands. Gerade in den Ländern des Südens müssen Menschen 50 bis 80 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben – jetzt hat sich das in den letzten drei Jahren verdoppelt.

Weil Europas Regierungen zehn Prozent Beimischung von Biokraftstoff zu Benzin und Diesel fordern. Weil die Produktion von Treibstoffen mehr einbringt als die Produktion von Lebensmitteln. Deshalb wird der Lebensmittelanbau gestoppt und werden neue Ackerflächen in Wäldern und Schutzgebieten gerodet. Mal ganz abgesehen von den dramatischen Auswirkungen auf die Treibhausgasentwicklung –dass wir, weil wir im Luxus leben, zwei Autos zu Hause stehen haben und Benzin und Diesel schlucken wir andere Wasser für den jetzt noch dramatischeren Hunger in den Südländern verantwortlich sind, macht mir schlaflose Nächte.

Denn: die Bevölkerung wächst. Darüber werden wir sicher gleich noch mehr hören.

Ich will es an den Frauen in den Entwicklungsländern festmachen: dort findet zu 99 Prozent das Wachstum statt. Nicht bei uns….

Die Bevölkerung der Industrieländer nimmt ab. Dort kommen durchschnittlich 1.6 Kinder pro Mutter zur Welt. Die demographische Entwicklung Afrikas aber ist einzigartig:  Dort bekommt eine Frau durchschnittlich fünf Kinder. Die Bevölkerung dort wird sich also von heute 940 Millionen auf zwei Milliarden in 2050 verdoppeln. Jetzt hat fast jedes afrikanische Land eine Politik zur Verlangsamung des Bevölkerungswachstums eingeführt. Aber in den Ländern südlich der Sahara zum Beispiel nutzen ganze 16 Prozent der verheirateten Frauen moderne Verhütungsmittel.

Hier schließt sich wieder der Kreis: keine Frau der Welt will Kind auf Kind bekommen, wenn sie diese nicht ernähren kann und für sie eine Zukunft sieht. Also müssen Frauen wie Männer Fortbildung erhalten, Aufklärung schon in der Schule ist überlebensnotwendig, Männer müssen wissen um die Gefahren von mangelnden Gesundheitsvorsorge, für ihre Frauen und Kinder. Den Regierungen in den Südländern fehlt zudem Geld, um ein funktionierendes Gesundheitssystem aufzubauen und die dringend benötigten Verhütungsmittel zu kaufen. Weltweit können 200 Millionen Frauen nicht verhüten…die aber verhüten wollen. Wenn alle Frauen, die freiwillig die Zahle ihrer Kinder beschränken möchten, die auch könnten, dann würde sich das Bevölkerungswachstum um ein Fünftel verringern…

Hier läuft viel schief. Auch in Deutschland. Die Entwicklungshilfegelder müssen meiner Meinung nach neu diskutiert und zielgerichteter verteilt werden.

Was muss also außerdem geschehen. Wie kann dieser Teufelskreis zwischen dramatischem Bevölkerungswachstum in Ländern, die zur wenig Nahrungsmittel bereitstellen können und der Situation der Frauen, die nicht über ihr Leben, ihre Kinder ihre Prioritäten bestimmen können durchbrochen werden.

Geld für die Armen von der Bank

Da gibt es das Projekt der Grameen Bank in Indien. Mikrodarlehen, kleine Kredite für Frauen, die statt der üblichen Sicherheiten nur ihre hohe Rückzahlungsmoral einbringen. Das funktioniert. Inzwischen tut es die Weltbank, der Sparkassenverband und viele Entwicklungsorganisationen.

Damit können sich Frauen aus Armut und Unterdrückung befreien. Die Weltbank, die Frauen schon immer für eine „untergenutzte Ressource“ gehalten hatten, macht aus den kleinen Dorfprojekten milliardenschwere Entwicklungsprogramme. Das funktioniert. Forschungen ergeben, dass ein Drittel der Kreditnehmerinnen den Aufstieg schafft, ein weiteres Drittel kann die ein oder andere Not lindern, aber krebst in einem ständigen Auf und Ab um die Armutsgrenze herum. Ein Drittel allerdings gerät in einen neue Verschuldungsspirale und bleibt arm. Die Allerärmsten würden nicht erreicht….

Dennoch: das ist ein Schritt.

Bildung ein anderer: Alle, alle Kinder, Mädchen wie Jungen müssen in die Schule gehen dürfen, können…

Schulen sollen mädchenfreundlich ausgestattet werden. Z.B. auch mit Mädchentoiletten…

Männer müssen mit eingezogen werden in die Information über Bildung, Gesundheit, Zukunft ihrer Kinder. Es kann nicht sein, dass zum Beispiel in einem indischen Bundesstaat Informationskampagnen nur für Mütter stattfanden, obwohl immerhin 20 Prozent der Väter zu Hause wesentlich über die Ernährung ihrer Kinder bestimmen. In Nepal zum Beispiel setzen sich Frauen und Männer gemeinsam gegen geschlechtsspezifische Gewalt ein.

Nepal - ein gelungenes Projekt für Babys und Eltern

Ich weiß, dass Sie speziell ein Jugendprojekt im nepalesischen Kathmandu unterstützten. Ein wunderschönes Land, mit 7 Achtausendern. Viel  Geld kommt rein durch den Trecking-Tourismus.

Aber ich bin auch fast vier Wochen dort bergauf bergab durch die Dörfer gewandert. Und habe mich gefragt: was, wenn eine Frau bei der Geburt eines Babys Hilfe braucht? Wenn was schief geht? Die nächste Entwicklungsstation war oft sechs Stunden Fußmarsch entfernt. Auf kleinen, schmalen Berg-Pfaden…. Hier sterben viele Frauen, weil die Blutarmut der Schwangeren, die Steißlage des Babys nicht erkannt werden kann. Im Nachbarstaat Bhutan unterstützt UNICEF Dörfer mit engagierten Freiwilligen. Jetzt inzwischen 300 Gesundheitshelfer und Hebammen erhielten Fortbildungen. Sie besuchen Schwangere zuhause und informieren sie über die Angebote des nächsten Gesundheitszentrums.

In einigen Dörfern gibt es jetzt insgesamt 142 Entbindungsbetten, die mit  Lastpferden dorthin transportiert wurden. Insgesamt wurde das Programm gegen die Müttersterblichkeit in Bhutan mit 150 000 Euro unterstützt.

Ein Tropfen auf den heißen Stein….

Das ist ja auch das Motto hier.

Jetzt hoffe ich, dass ich Ihnen gute Argumente liefern konnte, darum es für die Zukunft der Menschheit wichtig ist, Frauen gleichberechtigt an allem zu beteiligen. Damit Kinder eine Zukunft haben in die Schule gehen, einen Beruf ausüben, mit dem sie sich und ihre Familien später ernähren können. Damit Hunger und Armut begrenzt wird. Weil wir sonst und wenn nicht wir dann unsere Kinder die größte Völkerwanderung der Menschheitsgeschichte erleben werden: wenn die, die hungern und keine Zukunft haben sich aufmachen in die Welt der Industrienationen….und nicht nur 14 Afrikaner vor Lampedusa ertrinken auf ihrer Flucht genau davor.