25.10.2010, Frauen und Armut

Konferenz des europäischen Parlamentes in Luxemburg am 25. März 2010

Wenn wir uns auf das dritte Millenniumsziel konzentrieren, können wir den Hunger und die Armut in der Welt bekämpfen

Ich bedanke mich für die Einladung und freue mich sehr, dass ich hier das Wort ergreifen darf. Mein ganzes journalistisches Leben lang haben mich die Themen Gleichberechtigung, Gender equality, empowerment of women und vor allem auch Frauen-Armut  bewegt. So will ich auch mit einer vielleicht für Sie ungehörigen These beginnen: die acht Milleniumsziele,

  • Bekämpfung von extremer Armut und Hunger
  • Primarschulbildung für alle
  • Senkung der Kindersterblichkeit
  • Senkung der Müttersterblichkeitsrate um drei Viertel
  • Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderen schweren Krankheiten
  • Ökologische Nachhaltigkeit, also z. b. Zugang zu sauberem Trinkwasser
  • Aufbau einer globalen Partnerschaft

Und last, but not least das in der Aufstellung sogenannte Dritte Milleniumsziel:

  • Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Rolle der Frauen

All das wird wohl nicht bis zum Jahr  2015 erreicht werden können.

Aber: Könnten sich aber die Völker, die Zivilgesellschaften, die Regierungen weltweit darauf konzentrieren, das dritte Ziel, nämlich Ausbildung und Geschlechtergleichheit, Juristische Umsetzung dieser Gleichheit und die vehemente Einsetzung für Kinderrechte als vordringliche Ziele zu behandeln, würden sich viele der anderen Milleniumsziele im Zuge dessen mit erfüllen.

Armut und Hunger reduzieren, Bildung durchsetzen, Kindersterblichkeit bekämpfen, die Müttergesundheit verbessern, HIV/Aids, Malaria reduzieren. Den Menschen  Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen  ermöglichen, die Umwelt zu stärken und zu erhalten.

Sie denken ich bin eine Traumtänzerin? Gerne würde ich Sie vom Gegenteil überzeugen.

Wir wissen: Überall auf der Welt arbeiten Frauen länger und oft auch härter als Männer- aber sie bekommen weniger dafür. In Zahlen liest sich da so:

Zwei Drittel der Arbeit weltweit, inclusive der unbezahlten Arbeit, wird von Frauen erledigt. Frauen aber produzieren 50 Prozent der Nahrung - in den Entwicklungsländern bis zu 80 Prozent der Grundnahrungsmittel. Dafür erhalten sie Zehn Prozent der Weltlohnsumme und besitzen weniger als zwei Prozent der Bodenrechte - das sind die neuesten Zahlen.

Frauen bekommen weltweit weniger Geld

Aber: Mehr als 70 Prozent der 1,4 Milliarden Armen der Welt sind Frauen. Zwei Drittel der Analphabeten sind Frauen. Immerhin gehen laut UNESCO inzwischen 78 Prozent der Mädchen in den Entwicklungsländern in die Schule.

Insgesamt werden –weltweit-Frauen schlechter bezahlt. In den Entwicklungsländern erhalten sie gerade mal 30 bis 50 Prozent des Einkommens der Männer. In den Industrieländern immerhin 60 Prozent. Aber auch bei uns in Deutschland 22 Prozent weniger als die Männer. Hinweis EU----

In allen Parlamenten weltweit haben Männer das Sagen: nur gerade mal 17 Prozent Frauen sitzen da wo es um Macht und Kontrolle geht.

Wenn aber Frauen eigenes ausreichendes Einkommen haben, wenn sie entscheiden können in den kommunalen Ebenen oder auf Länderebenen,

dann verbessert sich nicht nur ihr, sondern vor allem der Ernährungszustand der Kinder deutlich.

Allein in Südasien würde der Anteil unterernährter Kleinkinder um bis zu 13 Prozent sinken. 13,4 Millionen Kinder erhielten dann ausreichend Essen. Es ist erwiesen und wissenschaftlich belegt, dass Frauen in der Regel ihre eigenen Bedürfnisse und andere Investitionen  zurück stellen und der Ernährung der Familie Vorrang einräumen.

Auch und gerade wenn Nahrungsmittel knapp werden. Nach einer UNICEF-Umfrage in Kamerun geben Frauen aus dem eigenen Einkommen 74 Prozent aus, um die Lebensmittelvorräte der Familie aufzustocken. Männer dagegen wollen hier höchstens, 22 Prozent ihres eigenen Einkommens abgeben.

Frauen schicken ihre Kinder in die Schule. Auch ihre Töchter. Weil sie wollen, dass diese bessere Chancen haben als sie selbst. Wenn Eltern in den Entwicklungsländern wenig Geld haben und nur ein Kind in eine Schule schicken können, dann ist das immer der Junge. Und das wird immer von den Vätern so entschieden.

Denn Mädchen sollen ja sowieso mal heiraten, und zuhause sind sie auch sehr nützlich: beim Babysitten der kleineren Geschwister, bei der Hausarbeit- da lernen sie ja auch gleich was fürs Leben.

Die Chance der Mädchen auf Bildung ist in den Entwicklungsländern dramatisch schlechter als die der Jungen.

An dieser Stelle nochmals zur Verdeutlichung: Von den 774 Millionen Erwachsenen weltweit, die nicht lesen und schreiben können, sind zwei Drittel Frauen. Das dürfen wir so nicht lassen.

Denn Selbstbewusste und gut ausgebildete Frauen und Mädchen können sich  wehren :

  • gegen Zwangsehen, sexuelle Verstümmelung und Prostitution.
  • gegen den Druck von Ehemännern und Familien, die zur Abtreibung zwingen, weil das zu erwartende Baby weiblich ist.

Mit Ultraschall oder Fruchtwasseruntersuchung lassen zum Beispiel in Indien alle, die es sich halbwegs leisten können, das Geschlecht des Babys vor der Geburt bestimmen – und treiben Mädchen ab.

Das geschieht auch in China wegen der Einkindpolitik….inzwischen fehlen den jungen Männern die jungen Frauen- und was geschieht: ganze Banden entführen Mädchen auf dem Land um sie in den Städten an die jungen Männer zu verkaufen….

Weltweit fehlen  bis  zu 200 Millionen Frauen….und wieder sind sie die Opfer.

Und noch ein paar wichtige Punkte, warum gute Ausbildung von Mädchen und Frauen weltweit auch im Hinblick auf das Bevölkerungswachstum so wichtig ist:

Gut ausgebildete Mädchen und Frauen heiraten später, und bekommen weniger Kinder. Sie nehmen Einfluss auf ihre Lebensplanung, sie können verhüten und überlassen dies nicht ihren Männern.

Gut ausgebildete Mädchen und Frauen gehen auch zum Arzt –mit ihren Kindern. Nicht so wie in Nepal  oder in Bukina Faso und Nigeria zum Beispiel, wo 70 Prozent der Männer entscheiden, wo Geld für Medikamente ausgegeben wird. Sie ahnen, wie die Entscheidungen ausfallen…

Aber: wenn Frauen mitentscheiden können, sterben deutlich weniger Kinder in den ersten Lebensjahren. Sie leiden seltener an Wachstumsstörungen aufgrund chronischer Unterernährung und wachsen insgesamt gesünder auf. Auch das ist in UNICEF-Untersuchungen belegt.

Warum Frauen nicht bei der Geburt eines Kindes sterben müssen

Und noch eine alarmierende Zahl: allein im letzten Jahr starb eine halbe Million Frauen bei der Geburt eines Kindes. Zu 99 Prozent in den Ländern des Südens. 

In Afrika südlich der Sahara – so ist in einem UNICEF Report nachzulesen – ist das Risiko bei der Geburt des Kindes zu sterben 1 zu 22, in den Industrienationen 1 zu  8000.

Es kommt noch bitterer: Babys haben ohne ihre leibliche Mutter sehr viel schlechtere Überlebenschancen. Die meisten sterben in den ersten zwei Jahren.

Wir mögen emotional unberührt diese Zahlen abspeichern – aber es kann doch nicht sein, dass wir einfach nur zusehen und es geschehen lassen, dass Mütter und Kinder sterben, nur weil in so vielen Ländern die  Männer es verhindern, dass ihre Frauen und Kinder  ärztliche Hilfe bekommen.

Ein Blick an dieser Stelle, wenn es um Armut in der Welt geht, auf das Bevölkerungwachstum: Unverändert bekommt laut Statistik eine Frau in Afrika durchschnittlich fünf Kinder. Die Bevölkerung dort wird sich also von heute 940 Millionen auf zwei Milliarden in 2050 verdoppeln. Jetzt hat zwar fast jedes afrikanische Land eine Politik zur Verlangsamung des Bevölkerungswachstums eingeführt. Aber in den Ländern südlich der Sahara zum Beispiel haben nur ganze 16 Prozent der verheirateten Frauen moderne Verhütungsmittel zur Verfügung.

Hier schließt sich wieder der Kreis: keine Frau der Welt will Kind auf Kind bekommen, wenn sie diese nicht ernähren kann und für sie eine Zukunft sieht. Also müssen Frauen dringend ausgebildet werden, damit sie sich und ihre Kinder ernähren können.  Damit sie Geld haben, um Verhütungsmittel zu erwerben. Aufklärung schon in der Schule ist überlebensnotwendig.

Aber auch  Männer müssen rechtszeitig geschult werden. Sie müssen  um die Gefahren von mangelnder Gesundheitsvorsorge wissen, für ihre Frauen und Kinder.

Den Regierungen in den Südländern fehlt zudem Geld, um ein funktionierendes Gesundheitssystem aufzubauen und die dringend benötigten Verhütungsmittel zu kaufen. Weltweit können 200 Millionen Frauen nicht verhüten…die aber verhüten wollen.

Ich behaupte: Wenn alle Frauen, die freiwillig die Zahl ihrer Kinder beschränken möchten, dies auch könnten, dann würde sich das Bevölkerungswachstum um ein Fünftel verringern…um 188 Millionen Menschen, die weniger zur Welt kämen, und unter Armut und Hunger zu leiden hätten….

Was muss also außerdem geschehen. Wie kann dieser Teufelskreis zwischen dramatischem Bevölkerungswachstum in Ländern, die zu wenig Nahrungsmittel bereitstellen können und der Situation der Frauen, die nicht über ihr Leben, ihr Einkommen, die Zahl ihrer Kinder bestimmen können durchbrochen werden?

Da gibt es das Projekt der Grameen Bank in Indien. Mikrodarlehen, kleine Kredite für Frauen, die statt der üblichen Sicherheiten nur ihre hohe Rückzahlungsmoral einbringen. Das funktioniert.

Das Konzept von Muhammed Yunus

Inzwischen arbeiten nach der Methode von Muhammed Yunus auch die Weltbank, der Sparkassenverband und viele andere Entwicklungsorganisationen. Das ist wirksame Hilfe gegen extreme Armut, Hilfe von unten, indem die Kleinbauern besseres Saatgut und Düngemittel finanzieren können und die Ernährung ihrer Familien damit sichern. 

Damit können sich auch  93 Prozent Frauen aus Armut und Unterdrückung befreien. So viele gehen in Bangladesh zur Grameen Bank. Diese Frauen setzen  mit einer Rückzahlungsquote von 98,6 Prozent ein Zeichen für Moral und Integrität in einer korrupten sonstigen Geschäftswelt.

Die Weltbank, die die Frauen schon immer für eine „untergenutzte Ressource“ gehalten hatten, macht aus den kleinen Dorfprojekten milliardenschwere Entwicklungsprogramme.

Das mach Muhammed Yunus zusehends Angst. Aber: Forschungen ergeben, dass ein Drittel der Kreditnehmerinnen den Aufstieg schafft, ein weiteres Drittel kann die eine oder andere Not lindern. Also immerhin eine Chance für zwei Drittel der Frauen in diesen Ländern.

Dennoch: das ist erst ein Schritt.

Bildung muss der andere sein. Bildung für alle, Mädchen wie Jungen müssen in die Schule gehen dürfen, können…

In Afghanistan ist die Situation unverändert auch nach der Entmachtung der Taliban für Mädchen dramatisch: nur 18 Prozent der jungen Frauen dort können lesen und schreiben…60 Prozent aller Mädchen gehen nicht in die Schule. Ein großes UNICEF-Projekt ist: in den kommenden drei Jahren zusätzlich 2,64 Millionen Mädchen den Schulbesuch zu ermöglichen. Zudem sollen in sogenannten  Alphabetisierungszentren den 15 bis 24jährigen Frauen, die zwar ein wenig Lesen und Schreiben können, weitere Bildungsangebote gemacht werden.

Dabei ist eines klar: Geschlechtergleichheit und eine positive Zukunft für Kinder ist untrennbar miteinander verbunden. Besonders sichtbar wird das bei der tödlichen Seuche HIV/AIDS. Die von den erkrankten Müttern an die Kinder weitergegeben wird. Im südlichen Afrika, in Nord Afrika und im Mittleren Osten und in der Karibik sind mehr Frauen als Männer, jeweils über 50 Prozent,  mit dem Virus infiziert.

Ich erwähne dies in meiner Rede über Frauen-Armut weil  sich das 6.Milleniumsziele  genau dem Stopp der Verbreitung von HIV/Aids widmet.

Mehr Frauen in die Parlamente

Zum Ende zu  aber noch ein anderer wichtriger Punkt, der von uns Frauen in den Industrienationen für die Frauen in den Entwicklungsländern gefordert werden muss: Mehr Frauen in die Parlamente. 17 Prozent weltweit ist eine Lachnummer. Wir sind 52 Prozent!! Wir müssen überall dahin, wo die Entscheidungen fallen, ob Schulen oder Strassen gebaut werden, ob es neue Brücken gibt und Gleise, oder Kindergärten. Frauen in politischer Verantwortung- egal auf welcher Ebene- verbessern die Lebenssituation für sich und für ihre Kinder – und damit für die Zukunft der Welt.

Ich bin eine deutsche Journalistin, darum doch noch ein kurzer Blick auf mein eigenes Land, dem ja immerhin eine f rau vorsteht. Bei uns sieht es nicht gut aus, beim Thema Armut und vor allem beim Thema Kinderarmut. Zur Zeit werden deutsche Frauen arm, weil sie

  • erwerbslos sind
  • Kinder haben und es kaum Ganztagskindergärten oder Ganztagsschulen gibt, - ohne Job keinen Kita-Platz und umgekehrt
  • weil sie unbezahlte Arbeit leisten- und darum kaum Renteansprüche erwerben
  • weil sie zu Billilöhnen arbeiten, weit mehr als Männer
  • O weile jede dritte Ehe auf dem Land, jede zweite Ehe in der Stadt geschieden wird, und sich jedes Jahr 500 000 Männer drücken, Unterhalt zu zahlen. Der Alleinerziehende ist in Deutschland weiblich und lebt zu 40 Prozent von Hartz IV….

Jetzt hoffe ich, dass ich Ihnen gute Argumente liefern konnte, warum das Erreichen des Millenniumsziels Nr 3 „Gleichstellung der Geschlechter, Stärkung der Rolle der Frau“ alle anderen Ziele positiv beeinflussen kann. Armut, Hunger, das Leben der Kinder, Müttergesundheit,

Bildung für alle, der Kampf gegen HIV/AIDS, Malaria und – nicht zu übersehen – auch um die Umwelt für unsere Kinder zu sichern.

Es ist höchste Zeit, dass wir uns auf den Weg machen. 14 Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking. Und zehn Jahre nach der Milleniumserklärung der Vereinten Nationen.