29.08.2011, Dringend benötigt: weibliche Weisheit

Impulsrede auf dem Victress-Day in Berlin

( es gilt das gesprochene Wort)

Wenn Sie den Titel hören „Weisheit ist weiblich“-
dann sagen wir Frauen: Ganz schön frech, aber recht hat sie ja. Und die Herren: so ein Schwachsinn. Wo sind sie denn, die weisen Frauen?

In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Frage. Ist Weisheit wirklich auch weiblich? Wer fällt uns ein, wenn wir an weise Frauen denken- und an weise Männer? Sind Weise auch Mächtige? Gerade haben wir erfahren, dass auf der Liste der mächtigsten Frauen unsere Kanzlerin an der Spitze zu finden ist. Gefolgt von Hillary Clinton und Dilma Rousseff, der Präsidentin Brasiliens. Diese Forbes-Liste ist jetzt einfach das Pendant zu den Männerlisten. Von Männern erfunden und geführt.  Denn die Frage in der heutigen Zeit ist für mich mehr denn ja: nutzt uns Macht? Oder wäre nicht Weisheit viel hilfreicher? Sind diese 100 mächtigsten Frauen der Welt auch weise? Geeignet für die Aufgaben und Probleme dieser Welt? Wie sähe eine Liste aus: die 100 weisesten Menschen dieser Welt? Wo kämen sie da vor, die Frauen?

Obama lobt Merkel "weise"

Ich bin dabei auf erstaunliche Geschichten gestoßen: Weisheit ist in der Literatur  vor allem männlich besetzt. Weise Frauen lebten dem nach nur im Mittelalter und Weisheit ist vor allem immer eines: alt. Nie würden irgendwo Babys als weise bezeichnet werden. Ganz selten junge Menschen.

Erinnern Sie sich noch: Barack Obama hat bei seinem ersten Treffen unsere Kanzlerin als „weise, offen, pragmatisch“ gelobt. Einigen hier stockte da doch der Atem. Haben wir eine weise Frau an der Spitze?

Ich fürchte aber, dass gerade  die zweite Amtszeit von Angela Merkel nicht gerade als ihre gelungenste, ihre weiseste bezeichnet werden darf.
Weder heute noch später von der Geschichtsschreibung. Wo blieben Klugheit, Weisheit während der Bankenkrise, im Kampf um den Euro, beim Verfassen des Koalitionsvertrages mit der FDP und bei der Verabschiedung des Wortmonsters „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“?  Jetzt habe sie, so schreibt die Süddeutsche Zeitung letzte Woche, die Zeichen der Zeit verstanden, und wird zitiert mit dem Satz: „ Ich fürchte nichts. Angst ist ein schlechter Ratgeber“. Das klingt nicht schlecht, das klingt nach Klugheit, Weisheit. Erkenntnis und Reife.

Geschichtsschreibung ist seit Jahrhunderten männlich

Aber wieder allgemein zum Thema: Zuerst einmal erkannte ich bei der intensiven Beschäftigung mit dem Thema weiblicher Weisheit: Die Geschichtsschreibung ist über Jahrhunderte hinweg männlich – und über was schreiben Männer am liebsten? Über sich. Also darf es einen nicht wundern, wenn wir wenig von der Weisheit der Weiber in der Geschichte finden. Nur  in der Welt der Märchen und Mythen teilen sich Männlein und Weiblein die Rollen. Frau Holle oder Gandalf, des Teufels Großmutter oder Meister Yoda.

Heute dagegen können alle Menschen in den Industrienationen  gleichermaßen lesen und schreiben, Männer wie Frauen.  Es müsste sich also viel geändert haben,oder ? Aber: in meinem Gewerbe, im Journalismus schreiben zwar viele Frauen, aber die Entscheidungspositionen bei den Zeitungen, im Radio, Fernsehen, öffentlich-rechtlich wie privat und vor allem im Internet- sie alle sind überwiegend von Männern besetzt. Sie sagen, was gedruckt wird, welche Themen aufgegriffen werden, welche Reportagen gedreht und wer kommentieren darf in TT oder heute. Die vielen Frauen die Sie sehen, haben sehr oft wenig oder nichts zu sagen, zu entscheiden.

Zwei Intendantinnen, eine Programmchefin machen noch keinen Morgen..
Sie ahnen es: ich fordere auch hier in allen Ebenen eine Quote. Sonst ändert sich nichts.

Es werden gleich viel kluge Buben und Mädchen geboren

Denn nicht nur meiner Meinung nach ist Weisheit sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen gleichermaßen, also gleich verteilt. Das wissen auch alle Forscher: er werden gleich viele kluge Jungen und kluge Mädchen geboren…und wo bleiben die Mädchen dann ab??

Aber: blicken Sie mit mir heute wir doch mal auf das Feld der aktuellen Politik: diese wird weltweit von Männern gemacht. Und von weise ist da nicht viel zu sehen, zu spüren, zu lesen.

Zudem ist klar, dass Männer und Frauen Macht und Stärke aus ganz unterschiedlichen Positionen heraus erleben. Macht wird von Männern durch Selbstbehauptung und Aggression erlangt, während Frauen ihre Stärke durch Fürsorglichkeit zu erreichen versuchen. Männer neigen zum Angriff, Frauen zu Intuition, Hingebung, geistiger Wachsamkeit und Liebe.

All das ist erforscht. Doch bedauerlicherweise ergänzen sich diese beiden Felder keineswegs zum Wohle der Menschheit.

Lösung Matriarchat?

Als Gegenpol zur männlichen Politik wird ja immer das Matriarchat bemüht.( lat. Mater, Mutter, griechisch arche, Beginn, Ursprung).  Eine Gesellschaftsstruktur, in der entweder die Frauen die Macht innehatten, oder wo sich die Gesellschaft um die Frauen herum organisiert hat. Heute wissen nicht nur die Wissenschaftler, sondern auch die Feministinnen, dass in den Zeiten des Matriarchats in der Ur- und Frühgeschichte der Menschheit die Frauen gesellschaftlich prägend waren, aber nicht geherrscht haben. Also hat es das Gegenmodell zur männlich ausgerichteten Gesellschaft, dem Patriarchat, so nicht gegeben.

Aber dennoch: Da bis heute matriarchale Völker in Indien, den USA, Nordafrika und China existieren, lohnt es sich die Grundsätze dieser gesellschaftlichen Ordnung genauer zu beleuchten.
Da ist einmal die Vaterschaft zweitrangig, die Familie lebt im Haus der Mutter. Das politische System basiert auf Konsens der verschiedenen Sippen, des Dorfes und der Menschen in der Region. Matriarchale Gesellschaften sind meist Acker- und Gartenbaugesellschaften, Land und Haus verbleiben im Besitz der Sippe und nicht im  privaten Eigentum. Die Frauen besitzen die Kontrolle über die wichtigen Lebensgüter, alle erhalten anteilig Ware. Macht Sinn, oder?

Vor allem, wenn man weiß, dass auch heute in den Südländern, in der so genannten Dritten Welt, die Männer nur zu 24 Prozent bereit sind, eigenes Geld für ihre Frauen und Kindern auszugeben, Frauen dagegen zur 96 Prozent,(UNICEF).

Kriege machen Männer stärker

Dennoch:  das Matriarchat heißt noch lange nicht, dass die  Frauen tatsächlich auch die politische Macht besitzen. In all diesen Gesellschaften ist es selbstverständlich, dass Männer alle repräsentativen Aufgaben außerhalb der Sippe wahrnehmen.  Zum Beispiel bei den Irokesen in den USA ist die Verantwortung  auf  Mann und Frau verteilt, wird auf vier Schultern getragen. Daraus ergibt sich ganz zwangsläufig:  man muss miteinander reden, sich absprechen, und die Führungsrolle regelmäßig wechseln. Eine Gesellschaftsform, die aus meiner Sicht die einzig zukunftsfähige sein kann.

Denn noch eine ganz andere wichtige Tatsache ergibt sich aus diesem Abstimmungs- und Gesprächszwang: organisierte Kriege sind absolut untypisch für matriarchale Gesellschaften. Es gibt Fehden im Sinne von Blutrache. Die Gefahr für einen Krieg nimmt zu, wenn sich diese Gesellschaften, wie zum Beispiel auch die Tuareg in Nordafrika, gegen eindringende, kriegerisch organisierte patriarchale Völker zu verteidigen haben. Und daraus folgt die bittere Erkenntnis: jeder Krieg unterhöhlt die matriarchalen Strukturen in der Gruppe, die Stellung der kriegführenden Männer wird stärker, die Macht der Frauen untergraben.

Sicher, wenn es um weise Politik geht, um weibliche Verhaltensweisen die alles andere als kriegerisch veranlagt seien, dann tauchen sofort als Gegenbeweise die Namen von weiblichen Politikerinnen auf: die Eiserne Lady Margaret Thatcher, die gegen Argentinien und um die Falkland-Inseln  für die Briten zu retten 70 Schiffe und 28 000 „boys“ in den Krieg schickte.
Oder die ehemalige israelische Präsidentin Golda Meir.  Die ukrainische Emigrantin hat sich in der zionistischen Bewegung der USA engagiert, ist dann wesentlich beteiligt an den Vorbereitungen zu einem Aufbau eines jüdischen Staates in Palästina. Golda Meir wird 1948 eine der Gründerinnen Israels. In der Arbeiterpartei wählen sie die ersten Siedler zur Führerin, später wird sie Arbeitsministerin, Außenministerin und 1969 für fünf Jahre Regierungschefin des jungen Staates.

So viele werden gar nicht erwähnt

In ihre Amtszeit fällt der Yom-Kippurkrieg, der mit einer schweren außenpolitischen Krise einhergeht. Sie muss trotz der gewonnenen Wahl 1974 ihr Amt als Regierungschefin niederlegen. Ihre Rolle während des Krieges wird von einer parlamentarischen Untersuchungskommission als  nicht immer mit dem Gesetz vereinbar festgestellt.

Margaret Thatcher und Golda Meir sind weibliche Ausnahmen auf der politischen Bühne der vergangenen Jahrzehnte. Über sie wurde geredet, geschrieben. Sie kamen und kommen bis heute vor.
Doch es gibt so viele beeindruckende wirklich weise Frauen  in der Geschichte , die sich wehren, die handeln, aber später von den männlichen Geschichtsschreibern kaum erwähnt werden. Dieses “nicht erwähnt werden, nicht vorkommen, nicht mal ignoriert werden“, das wollte ich gerne mit dem Buch “Weisheit ist weiblich“ wieder gut machen.

Eine von diesen tollen Frauen ist Olympe de Gouges. Olympe wer? Robespierre, Danton und Mirabeau kennen wir alle. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, glänzender Auftakt und Vermächtnis der französischen Revolution, ist ebenso berühmt wie deren Umschwung in die Schreckensherrschaft berüchtigt ist. Aber wer weiß, dass es eine „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ gab, und dass ihre Verfasserin der Guillotine zum Opfer fiel?

Dass wir so wenig, wenn nicht gar nichts wissen, verdanken wir der immer wieder festgestellten „männlichen“ Geschichtsschreibung. Noch 200 Jahre später fehlt in einer Biographie über Persönlichkeiten aus Geschichte und Politik keiner der oben genannten  Revolutionäre-dazu drei Aristokratinnen, nämlich Marie-Antoinette, Charlotte Corday und Madame de Stael. Olympe de Gouges und ihr unvergleichlicher Kampf um die Gleichberechtigung und die Menschenrechte für Frauen wird -  verschwiegen.

Schon früher fehlte es an weiblicher Solidarität

Es kommt noch bitterer von den Herren Geschichtsschreibern: Sie behaupten doch glatt, eine „feministische Bewegung während der Revolution habe es nicht gegeben.“ Was mehr als falsch ist: von Anfang an haben sich die Frauen aktiv an der Revolution beteiligt. Sechs- bis siebentausend Pariserinnen sind nach Versailles aufgebrochen um dem König und der Nationalversammlung ihre wirtschaftliche Not vor Augen zu führen. Sie waren außerordentlich erfolgreich, erreichten erschwingliche Festpreise für Brot und Fleisch und die Unterschrift des Königs unter die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Allen voran Olympe de Gouges. Aber das Blatt wendet sich: das männliche Imperium schlägt zurück. 

Olympe sieht die Gefahr, beklagt sich immer wieder über fehlende weibliche Solidarität. Jetzt heißt es öffentlich: Frauengesellschaften seien gefährlich, sie werden verboten – und vier Tage später wird die Kämpferin Olympe de Gouges auf dem Schafott hingerichtet. Es ist der Anfang vom Ende der ersehnten Gleichberechtigung. Aber es kommt noch schlimmer. Was Olympe vorausgesehen hatte und so vehement in ihren Schriften anprangerte, tritt ein: die Frauen verlieren jetzt auch noch die meisten der bürgerlichen Rechte, die ihnen auch durch den Einsatz von Olympe de Gouges während der Revolution zugestanden worden waren.

Lediglich die Volljährigkeit mit einundzwanzig Jahren und die Erbberechtigung der Töchter bleiben bestehen. Ab jetzt stehen die Frauen ihr Leben lang unter der Vormundschaft von Männern, zuerst des Vaters, dann des Gatten. Sie dürfen weder Urkunden allein unterzeichnen, noch als Zeuginnen Akten bestätigen. Über ihren Besitz darf die Frau nur mit Zustimmung des Mannes verfügen. Für Ehebruch wird sie schwer bestraft, der Ehemann mit einer Geldbuße belegt.  Von Olympe des Gouges kein Sterbenswörtchen mehr. Für zwei Jahrhunderte versinkt die Kämpferin um Frauenrechte in den Annalen der Geschichte.

Denn die Geschichte der Kämpfe und Kriege ist eine Geschichte der männlichen Politik und Herrschaft. Auf 14 DIN-A-4-Seiten reihen sich engbeschrieben seit der Antike Kriege an Kriege. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind mindestens weltweit 25 Millionen Menschen durch Kriege gestorben. Im 20. Jahrhundert sind es etwa 100 bis 185 Millionen tote Menschen: Zweiter Kongokrieg, Koreakrieg, Vietnamkrieg,, die Kriege in Afghanistan, im Golf, Nigeria und Ruanda – es ist das schlichte Grauen.  Aktuell im 21. Jahrhundert bekämpfen sich in großen Kriegen im Nahen Osten, in Afghanistan, an der Elfenbeinküste, im Irak, in Darfur, in Kivu, Südossetien, im Libanon und in Pakistan die Menschen. 42 aktuelle Kriegsschauplätze.

Dabei leiden vor allem Kinder, Frauen und alte Menschen. Ich war in vielen Kriegsgebieten, habe darüber als TV-Journalistin berichtet.

Fatalerweise schaffen Kriege Raum für Frauen

Nach der französischen Revolution bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 stehen nur Männer den Staaten vor. Dass da einige als „weise“ bezeichnet werden könnten, findet sich in keinem der Geschichtsbücher. Fatalerweise sind es wohl die beiden Weltkriege 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945 die den Frauen erst wieder die Möglichkeiten geben , wieder mehr auch an politischen Aufgaben zu übernehmen, da die Männer an der Front, in Kriegsgefangenschaft oder gefallen  sind.

Untrennbar mit den politischen Veränderungen dieser Zeit und für Frauen verbunden ist der Name Rosa Luxemburg. Ihr Satz: „Freiheit ist vor allem die Freiheit der Andersdenkenden“, dieser visionäre Satz ist  großes politisches Bekenntnis. Eine Kämpferin, die sich selbst und andere zu befreien versuchte. Die sich wütend und mutig gegen Militarismus und Kaiserreich stellt, mit ihren revolutionären Theorien hofft, die Lebensbedingungen vor allem der Arbeiterfamilien zu verbessern. Eine Revolutionärin, eine deutsche Kommunistin! Noch heute wenden sich manche mit Grausen.
Als Kind bringt sie sich mit fünf Jahren während eines einjährigen Krankenaufenthaltes Schreiben und Lesen bei, übersetzt als Neunjährige deutsche Gedichte ins polnische und schreibt schon früh diesen Satz: “Man soll sein wie eine Kerze, die an beiden Ende brennt“. Weise erscheint das nicht. Da fehlt jegliche Gelassenheit. Aber Rosa Luxemburg hat in ihrem kurzen Leben bis zum brutalen Mord an ihr durch Freikorps-Soldaten im Berliner Landwehrkanal Geschichte geschrieben.

Da gelingt dann nicht mehr, was  einer Olympe de Gouges geschah: Rosa Luxemburg kann nicht übersehen werden, nicht vergessen. Historiker setzen sich daran  und recherchieren ihren Lebenslauf, schreiben alles akribisch auf:  Das Leben einer Revolutionärin und Gegnerin des kapitalistischen Wirtschaftssystems, aber auch einer mutigen Kämpferin für Freiheit und Demokratie. Unbestritten bis heute ist Rosa Luxemburg eine große Frau der Zeitgeschichte. Die nur ein Jahr den 17. November 1918 überlebt, den Tag an dem die deutschen Frauen das Stimmrecht erhalten. Denn dafür ist sie auch auf die Strasse gegangen. Wenngleich ihr die Klassenfrage stets wichtiger ist, als die Gleichberechtigung der Geschlechter – das will ich nicht verhehlen.

Wahlrecht endlich 1918 !

Noch aber ist es ein weiter Weg- bis heute !- damit Frauen teilhaben können an der Macht, damit sie Macht und Politik auf ihre Art und Weise und mit ihren Begabungen umsetzen können. Nachdem sich die Frauen in Deutschland dann 1918 das Wahlrecht erstritten haben, dürfen sie  im Januar 1919 zur Wahl gehen. Ein überwältigender Tag: 82 Prozent aller in Deutschland lebenden Frauen geben ihre Wahlzettel ab – im Vergleich zu 77 Prozent der Männer. Das ist der Weg in die Parlamente, an die Stellen, in denen über Geld und Gesetze, Rechte und Räson entschieden wird.
Eine, die die Gelegenheit am Schopf packt und es gleich 1919 versucht mit einer Kandidatur für ein Gemeindeparlament ist die Juristin und Sozialdemokratin Elisabeth Selbert. Fast 30 Jahre, bis nach dem Zweiten Weltkrieg, sollte es aber dauern, bis sie endlich da ist, wo sie wirklich etwas ändern kann: im Parlamentarischen Rat, der eine Verfassung für die Bundesrepublik erarbeiten soll und diesen Auftrag später mit der Formulierung des Grundgesetzes verwirklicht.  Elisabeth Selberts erklärtes Ziel: die gesetzlich verankerte Gleichberechtigung von Mann und Frau. Aber das ist alles andere als selbstverständlich und klar.

Auch wenn Elisabeth Selbert damals in ihr Tagebuch schreibt: “ die Festschreibung der Gleichberechtigung der Frau in der Verfassung ist ganz selbstverständlich, nachdem die Frauen so viel geleistet hatten in zwei Weltkriegen und ihre Gleichstellung im gesellschaftlichen Leben ja längst praktisch und faktisch anerkannt war“. Von wegen.  Die Männer im Parlament sind sich längst einig: das brauchen sie wirklich nicht, diesen „Grundrechtskatalog mit einem neuen Artikel zu bereichern“, so der Vorsitzende und SPD-Politiker(!) Carlo Schmid.

Elisabeth Selbert wächst über sich selbst hinaus

Jetzt beginnt Elisabeth Selbert über sich selbst hinaus zu wachsen. Jahrzehntelange juristische Arbeit und Parlamentstätigkeit stärken ihren Willen.

Sie droht – nicht mehr unerfahren im politischen Geschäft – mit der „gesamten Öffentlichkeit“ und dass unter Umständen dann die Annahme der Verfassung gefährdet ist. Damals hilft ihr auch, dass durch den Zweiten Weltkrieg wesentlich mehr Frauen als Männer in Deutschland leben. „Wir haben einen Frauenüberschuss von sieben Millionen, also auf 100 männliche Wähler kommen 170 weibliche Wähler!“.

Doch das hilft erst mal nichts. Die Mehrzahl der Abgeordneten stimmt gegen den Antrag von Elisabeth Selbert. Aber jetzt bricht sich Empörung richtig Bahn: von Elbe und Isar, dem Rhein und der Spree melden sich die Frauenverbände in Bonn. Waschkörbeweise kommen Briefe, die Mitglieder des Hauptausschusses konstatieren „einen wahren Sturm“. Theodor Heuss, der spätere Bundespräsident redet diesen Sturm zwar später zu einem „Quasi-Stürmlein“ herunter, aber letztendlich stimmt auch er zu. Es soll dann allerdings noch  zehn Jahre(!) dauern, bis das Gesetzesvakuum auch vor den Gerichten umgesetzt wird. Elisabeth Selbert ist glücklich – endlich.

Sie nennt diesen Moment die „Sternstunde für die bundesrepublikanischen Frauen“.

Die Frauenfrage- längst nicht erledigt

Wobei sie stets auch mahnt: „die Frauen sollten selbst nie vergessen, dass es ihre Sache ist, für die Gleichberechtigung zu sorgen“. Denn die faktische Gleichstellung ist zwar der Auftrag an den Gesetzgeber. Die Möglichkeit der Ehefrau, ihren Geburtsnamen zu behalten nützt nichts, solange die Mehrzahl der Frauen darauf verzichtet. Das Recht der Ehefrauen, auch nach der Heirat in ihrem Beruf zu arbeiten, wird zur Belastung, wenn sie dennoch die Mehrzahl der häuslichen Pflichten übernimmt. Die Politikerin und Juristin Elisabeth Selbst hat das alles ganz klar gesehen. Sich selbst daran gehalten – hoffend, dass das Gesetz den Frauen Mut und Halt gibt.

Ohne den Einsatz und den Erfolg solcher Frauen wie Elisabeth Selbert hätte es wohl die erste Generation der Europäerinnen, die uneingeschränkten Zugang zu Bildung und Beruf hatten, nie so weit gebracht.  Simone de Beauvoir gehört unbestritten zu ihnen. Philosophin, Schriftstellerin und politisch engagiert. Sie, wie auch die Philosophin Hannah Arendt, die Schriftstellerin Mary McCarthy haben dann den Weg bereitet für die emanzipierten, kämpferischen neuen Frauen des 20. Jahrhunderts. Die die Frauenfrage eigentlich für erledigt halten, und sich erst Jahrzehnte später bewusst werden, wo die Grenzen zwischen Mann und Frau unverändert gezogen sind.

Weise sind Menschen mit männlichen UND weiblichen Eigenschaften

Denn auch Simone de Beauvoir setzt sich in den späteren Jahren ihres Lebens mit dem Konflikt auseinander, den Olympe de Gouges und Rosa Luxemburg, und nach ihr so viele engagierte Frauen erleben und erleiden: die mangelnde Solidarität anderer Frauen. Vor allem der intellektuellen Frauen. Verhindern also die Geschlechtsgenossinnen selbst den Erfolg, die Nachhaltigkeit und die historische Präsenz in den Schriften von erfolgreichen Kämpferinnen?

Fazit: diejenigen in der Politik, die weise entscheiden, sind wohl Männer und Frauen mit Alternativen. Sie versuchen sich auf die Vorstellungen, Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse anderer Menschen einzustellen, sie haben Strategien um ihre Ziele umzusetzen ohne dabei anderen zu schaden. Weise Menschen zetteln keine Kriege an. Das vor allem.

Machtstreben, Gier und Geweinnmaximierung sind keineswegs weise

Bleibt die Frage: ist Weisheit weiblich? Ich habe versucht mit Geschichten von engagierten Frauen in der Relation zur männlichen Politik der wahren Weisheit näher zu kommen. Beschrieben, dass weise Politik keinesfalls alleine  männlich ist. Wenn Machtstreben, Gier und Gewinnmaximierung auf Menschen und Umwelt keine Rücksicht nehmen.

Weisheit, das habe ich bei meiner Suche danach begriffen, hat immer auch mit sozialem Engagement und Glauben zu tun. Ethik, Moral- all das verbindet sich unter dem Dach der Weisheit. Die Nonnen und Äbtissinnen in den Klöstern, die Fürstinnen und Prinzessinnen in den mittelalterlichen Krankenanstalten, die Legionen von Töchtern aus reichen Häusern, die die Ehe verweigern, um sich der Medizin, der Wissenschaft, der Menschheit insgesamt zu widmen.  Eine Rania von Jordanien, die für den Frieden mit den Palästinensern kämpft, während die Männer an Verhandlungstischen poltern und notfalls Waffen in Stellung bringen.

Klar wurde mir auch: Weisheit und Wissen sind eng verwandt. Es gibt wohl keine Weisheit ohne Wissen. Wobei es viel zu wenige Frauen in der Wissenschaft gibt. Was nicht heißt, dass die zu vielen Männer weise wären….nicht alle, nein.

Was ist es also? Bis auf den Dalai Lama, der schon als Kind als Reinkarnation entdeckt wird, sind weise Menschen vor allem ältere, erfahrene  Menschen. Oder sie sind jung und haben eine alte Seele. Weisheit hat allemal mit Lebenserfahrung, aber auch mit innerer Ruhe, und Gelassenheit zu tun. Gepaart mit Moral, Ethik, sozialem Engagement. Dazu ergänzt von den wesentlichen Anteilen weiblicher Eigenschaften. Und das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen. Vor allem, wenn es gelingt, die Welt mit Ratio und Emotio zu betrachten und daraus zu handeln.
Es ist immer die Mischung aus männlichen und weiblichen Elementen.

So wird klar, warum bei den Griechen die Weisheit weiblich ist, Sophia, so  heißt sie. Glücklich darum diejenigen Männer, die ihre weiblichen Anteile einbringen können in ihr Sein.
So ist Weisheit also doch: weiblich.