22.10.2011, Am Ende wünscht Du dir nur noch den Tod

Vortrag auf der Tagung "Die Alleingelassenen-Frauen in Kriegen" in Halle

Im Geschichtsunterricht haben wir es immer in allen Beschreibungen über Kriege gelesen und gelernt: die Eroberer folterten, brandschatzten, mordeten und vergewaltigten. Die Vergewaltigung ist uns im Unterbewusstsein gegenwärtig als ganz normales Kriegsgeschehen. Normal?
Es geht die Sage, dass die Männer, die soviel Schrecken und Angst an der Front durchleben mussten, es „brauchen“, und die Geschichtsschreibung scheint es ihnen „zuzugestehen“.

Frauenverachtend

Wie viel Frauenverachtendes steckt da drin, mir ist das so richtig bei der bitteren Reportage über die Massenvergewaltigungen im Krieg in Bosnien klar geworden.
Gerade am Beispiel dieses grausamen Krieges- welcher ist das nicht?- wird klar, dass es in jedem Krieg andere Begründungen für Vergewaltigung zu geben scheint:

O Nanking 1937: Die Stadt wird von den Japanern eingenommen. Im ersten Monat der Besatzung kommt es zu 20 Tausend Vergewaltigungen. Ausländische Missionare berichten, dass sie jeweils mindestens zehn Gruppenvergewaltigungen pro Tag beobachten hätten.
O Italien 1943: In der französischen Restarmee kämpfen marokkanische Söldner. Diesen wird ausdrücklich das Recht zugestanden, zu plündern und zu vergewaltigen. Es kommt zu Massenvergewaltigungen und Schwangerschaften. Die italienische Regierung gesteht den betroffenen Frauen nach dem Krieg eine kleine Rente zu.
O Berlin 1945 – der Film Anonyma erzählt von den Russen, die so heißt es 900Tausend Frauen vergewaltigt hätten .
O Korea 1939-45: Zwischen 100 und 200 Tausend Koreanerinnen werden von den Japanern verschleppt und sexuell versklavt. Erst 1992 bekommen diese Frauen vor japanischen Gerichten Recht und erhalten finanzielle Entschädigung.
O Nürnberg 1948: Der französische Ankläger bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen beweist, dass Vergewaltigung als Mittel zu militärisch-politischen Zwecken eingesetzt wurde.
O Bangladesh 1971: bei Kriegsende werden 200Tausend Frauen vergewaltigt. Ihre eigenen Familien verstoßen sie daraufhin, sie wandern ohne Ziel durch das Land, landen in von der Regierung eingerichteten Lagern, bis heute. Sie werden aber kaum mit dem Nötigsten versorgt.
O Kuweit 1991: Die Zahl der von den Irakis vergewaltigten und sexuell gefolterten Frauen wird auf mindestens 5Tausend geschätzt

Anders im Krieg in Bosnien: die Botschaft von Mann zu Mann

Dennoch unterscheiden sich diese Vergewaltigungen von denen in Bosnien. Denn auf dem Balkan ging es auch ganz bewusst um die Botschaft von Soldat zu Soldat, von Mann zu Mann: Deine Frau gehört jetzt mir, Du kannst sie nicht beschützen. Hier wird Vergewaltigung auch bewusst als Mittel eingesetzt, die Moslems und Kroaten aus den eroberten Gebieten endgültig zu vertreiben.
Denn weder die geschändeten Frauen und Mädchen, noch die männlichen Mitglieder der Familien wollen je wieder an den Ort dieser Erinnerungen zurückkehren.
Mir hat die Zagreber Feministin Asija ganz nüchtern gesagt:“ Mit Vergewaltigung spart man Bomben. Man erreicht eine ethnische Säuberung wirksamer, mit weniger Kosten. Vergewaltigung ist eine Ökonomie des Krieges“.

50 000 Frauen als Kriegsziel vergewaltigt

Später wird die UN-Expertenkommission auch zu dieser Schlussfolgerung gelangen. Auch die EU-Mission räumt ein, dass Vergewaltigungen auf dem Balkan vor allem ein strategisches Ziel verfolgten. Die untersuchenden Kommissionen bestätigen, dass es mindestens 50 Tausend Frauen und Mädchen getroffen hat.
Die Vergewaltiger erzählen später in allen Verhören und Interviews nach ihrer Verhaftung, dass sie „auf Befehl“ vergewaltigt hätten. Auch die Frauen erzählen dies. Wie sonst, sagten sie mir, hätten dies ihre Nachbarn und Freunde ihnen je antun können? Viele hätten auch weiße Pillen eingekommen, die sie stimuliert hätten. Wenn eine neue Gruppe von Männern unter einem neuen Führer eintraf, dann hätten sogar manche von den Soldaten aus der anderen Gruppe versucht die Mädchen zu beschützen. „Keine Sorge, die sind schon dran gewesen“, sollen da einige dann doch gesagt haben….

Solidargemeinschaft Vergewaltiger

Später erklärt der Kroate Dr. Mladen Loncar, dass die Vergewaltigungen unter den Serben so etwas wie eine Solidargemeinschaft haben entstehen lassen. So würden alle positiven Gefühle der serbischen Soldaten ihren ehemaligen Nachbarn und Freunden gegenüber auf alle Zeiten zerstört. Und so könne- wenn wieder Frieden im Lande ist- das schlechte Gewissen der Soldaten weiterhin jeden Kontakt zu bosnischen und kroatischen Dorfbewohnern verhindern.

Ich habe es ja zu Beginn meines Vortrages schon erwähnt: die Geschichtsschreiberlinge tun immer so, als wenn es die Soldaten während und nach einem Krieg brauchen, als ob sie nicht anders können als zu vergewaltigen. Als ob sie wie ein Dampfkessel ihre sexuelle Not „ablassen“ müssten.
Dabei, so schreibt nach dem Krieg auf dem Balkan, die Sozialwissenschaftlerin Ruth Seifert vom Institut der Bundeswehr, ist die Dampfkesseltheorie wohl der beliebteste und wirkungsvollste Mythos, Vergewaltigung hätte etwas mit einem unbezwingbaren männlichen Trieb zu tun.
Der sich, da nicht kulturell kontrolliert, zwar bedauerlicher- aber andererseits unvermeidlicherweise austoben müsse.
Männer seien also nicht Herr im eigenen Haus, willenlosen Opfer ihrer gewalttätigen und triebhaften Natur. De Vorteil dieser Theorie liegt darin, dass sie die einzelne Person des verantwortlichen Handelns enthebe und als Entschuldigung für sexuelle Gewalt dienen kann.

Von wegen Dampfkessel- das ist ein Mythos

Das alles ist aber großer Unsinn. Denn Vergewaltigungen haben weder mit der Natur noch mit der Sexualität zu tun. Sie sind und bleiben ein extremer Gewaltakt, der sich- das ist richtig- sexueller Mittel bedient. Das belegen inzwischen alle Vergewaltigungsstudien aus den USA und auch in Deutschland.
Sie zeigen, dass Vergewaltigung kein aggressiver Ausdruck von Sexualität ist, sondern ein sexueller Ausdruck von Aggression. Sie dient in der Psyche des Täters nicht sexuellen Zwecken, sondern der Artikulation von Wut, Gewalt und Herrschaft über eine Frau. Es geht darum eine frau zu erniedrigen, zu demütigen und zu unterwerfen.
Das gewalttätige Eindringen in das Innere des  Körpers bedeutet den schwersten denkbaren Angriff auf das intimste Selbst und die Würde des Menschen. Es ist in aller Regel ein Kennzeichen schwerer Folter. Denn die Folge sind körperlicher Schmerz, der Verlust der Würde, ein Angriff auf die Identität und den Verlust der Selbstbestimmung über den eigenen Körper.

Es geht nur um Gewalt, Macht  - und nie um Sex

Erstaunlich ist, dass bei Vergewaltigungen das Ausmaß von Gewalt, von Schlägen, Würgen oder anderen Mißhandlungen oft weit über das Ausmaß der Gewalt hinaus geht, das zum Erreichen der Vergewaltigung nötig gewesen wäre.
Jeder dritte Vergewaltiger hat übrigens sexuelle Funktionsstörungen bei der Tat…was die Täter bei Verhören dann selbst artikulieren, sind Gefühle der Feindseligkeit, der Aggression, der Macht und Herrschaft. Das gilt noch mehr bei Gruppenvergewaltigungen.

Vergewaltigungsarme und vergewaltigungslastige Gesellschaften

Interessant ist auch, dass es sogenannte „Vergewaltigungsarme und vergewaltigungslastige Gesellschaften „ gibt. Die islamischen Gesellschaften gelten für uns sicher erstaunlich als Vergewaltigungsarm, das wird sie wundern nach den Berichten über Afghanistan, aber dort ist die männliche Vormachtstellung gesichert. Auch Gesellschaften, in denen die Frauen Anerkennung genießen und in der jeweiligen Kultur einen respektablen Status genießen, da wird auch sehr viel weniger Gewalt angewendet.
Vergewaltigungslastig aber sind Gesellschaften in denen die männliche Macht nicht mehr stabil ist, oder in denen die Frauen untergeordnet sind und gering geschätzt werden. Dazu gehören, da wird Sie erstaunen, fast alle modernen westlichen Gesellschaften.

Kommunikationsstrategie: Du hast Deine Frau nicht beschützt

Aber heute ist ja vor allem der Krieg, die kriegerische Situation unser Thema. Hier sind Vergewaltigungen stets der letztmögliche symbolische Ausdruck der Demütigung des- ja - männlichen Gegners. So ist der Beschützermythos “ Frauen und Kinder im Krieg zu schützen“ nichts anders als eben ein Mythos.
Keineswegs ein kulturelles Anliegen. Denn wie wir alle wissen: es sind immer die Frauen, die den Folgen von Kriegen am schlimmsten ausgesetzt sind.
Dazu trägt die Vergewaltigung eine ganz klare Botschaft in ich: Sozusagen von Mann zu Mann ergeht die Mitteilung, dass die Männer im Umkreis der betroffenen Frauen nicht imstande sind ihre Frauen zu beschützen. Damit werden sie in ihrer Männlichkeit getroffen und desavouiert.
Diese Kommunikationsstrategie zeigt sich besonders zynisch im Krieg auf dem Balkan, als Busse mit Frauen im sechsten, sieben oder höheren Schwangerschaftsmonat über die feindlichen Linien zurückgeschickt wurden. Meistens auch noch mit üblen Aufschriften über die zu gebärenden Kinder auf den Fahrzeugen.
Wir haben gerade gehört, dass in Bangladesh die vergewaltigten Frauen aus der Familie ausgeschlossen wurden. Genau das ist der Sinn und Zweck einer solcher Vergewaltigung. Die Spaltung der Gesellschaft. Wenn es dann noch von oben angeordnet wird, als Kriegsziel, dann ist es besonders perfide…..