Im Internet können Patienten jetzt ihre Ärzte bewerten. Das ist sicherlich ein spannender Weg um einen guten und passenden Arzt zu finden. Was aber, wenn ein kranker Mensch einen ganz besonderen, einen außergewöhnlichen Fachmann/ Fachfrau benötigt? Das Wort selten lässt Sie sicherlich aufhorchen: wenn eine seltene Kapazität gesucht wird, geht es meist auch um seltene Erkrankungen.
Das zweite Projekt, das heute ausgezeichnet wird, trägt den sperrigen Titel:
Qualitätsgesicherterer dynamischer Expertenrat für Betroffene von Cystischer Fibrose.
Was steckt dahinter? Cystische Fibrose ist besser bekannt als Mukoviszidose. Unvergessen für uns alle hat die verstorbene frau des ehemaligen Bundespräsidenten, Roman Herzog, Christiane Herzog, diese Krankheit in Deutschland bekannt gemacht.
Eine seltene Erkrankung. 8000 Menschen sind davon betroffen. Nur- so sagen Sie vielleicht. Aber: vier Millionen können diese Krankheit potenziell weitervererben.
CF ist die häufigste Stoffwechselerkrankung in unserem Land. Die Symptome werden übrigens oft mit Keuchhusten, Asthma, Bronchitis oder Zöliakie verwechsel. Darum glauben Fachleute an eine extrem hohe Dunkelziffer von 50 Prozent.
Ursache ist ein genetischer Defekt. Trotz intensivster Forschungsanstrengungen bislang nicht heilbar. Aber: behandelbar. Und das ist ja schon was.
Hier genau setzt das heute ausgezeichnete Projekt an.
„Expertenrat“ nennt es sich. Weil es nicht so viel Experten für diese Erkrankung gibt. Und: weil Betroffene seltener Erkrankungen oft nicht die Chance einer wirklich freien Arztwahl haben. Da medizinische Kompetenz und Wissen bei der Mukoviszidose nicht flächendeckend und in ausreichender Dichte gegeben ist. Patienten mit einer seltenen Erkrankung müssen meist schon dankbar sein, wenn sie überhaupt einen Arzt finden, der sich der besonderen Probleme ihrer Erkrankung annimmt.
Jetzt sind wir auch alle gewohnt, eine zweite Meinung einzuholen, die viel gerühmte second opinion. Das wird bei seltenen Erkrankungen aber dann schon schwierig.
Das heute ausgezeichnete Modellprojekt des „Expertenrates“, oder korrekt „ ECORN-CF“, bietet darum Mukoviszidose-Patienten webbasierte Expertenräte in deutsch. Und das ist das außergewöhnliche: in neun weiteren Sprachen.
Betroffene, Familienangehörige, Freunde, aber auch Ärzte, Betreuer- sie alle können in ihrer Muttersprache jede im Zusammenhang mit der Erkrankung stehende Frage stellen. Die zehn lokalen Expertenräte antworten. Jedes Team besteht aus unterschiedlichen Fachleuten:
Fachärzte für Innere Medizin, Pädiater, Genetiker, Mikrobiologen, Sozialpädagogen oder Physiotherapeuten. Jedes Team hat einen Moderator, der die eingehenden Fragen dann an den jeweiligen Experten weiterleitet.
Alle gestellten und beantworteten Fragen und Antworten summieren sich mit der Zeit zu einem Pool wertvoller Informationen, die dann wiederum von allen Interessierten mit Hilfe von Suchfunktionen im Internet durchsucht werden können.
Dann aber existiert da noch eine zweite Ebene: die Qualititätssicherungsebene. Dort sitzt ebenfalls wieder ein Team, dem alle relevanten Frage- und Antwort-Paare auf englisch zugeschickt werden. Wenn nötig, erfolgt auf dieser Ebene nochmals eine Verbesserung. Wenn dort andere Erkenntnisse, anderes Wissen bekannt sind.
Wichtig: das Expertenteam sieht sich keinesfalls als Ersatz für persönliche Beratung oder Betreuung durch den Arzt. Aber sie sehen sich als permanente Informationsquelle für alle die, die entweder von Mukoviszidose betroffen sind, oder im Umfeld von Erkrankten leben oder arbeiten.
Interessant dabei ist derinternationale Ansatz: an dem Projekt, das im April 2010 endete, waren insgesamt 16 Partner aus neun verschiedenen Ländern beteiligt.
Da die Versorgung der Mukoviszidose-Patienten innerhalb der EU-Mitgliedsländer äußerst unterschiedlich geregelt ist, schwankte bisher Expertise und Kenntnis je nach Standort.
Ein anderer Punkt für diesen Expertenrat: oft ist der richtige Mann, die richtige Frau, weit entfernt. Die Patienten und Angehörigen müssen reisen. Sind sie aber vorher schon gut informiert, haben viele fragen im Internet beantwortet bekommen, dann verkürzt sich entweder die Reisezeit, oder die Reise ist gar nicht mehr nötig.
Der Expertenrat hat zudem noch ein weiteres Ziel: man will den Betroffenen einer selten Erkrankung im Bereich der Gesundheitspflege Zugang zu spezifischen Hilfen erleichtern. Mit einem webbasierten, qualitätsgesicherten und vor allem grenzüberschreitenden Netzwerk von Experten.
Das Modell hat sich zudem der Nachhaltigkeit verpflichtet. Denn alle Betroffenen, Angehörigen, Ärzte und Betreuer könnenauch in Zukunft daran teilnehmen. Die gegebenen Antworten und gestellten Fragen bleiben im Netz in der jeweiligen Sprache auffindbar. Jeder kann alles nachlesen. Die Entwicklungen verfolgen. Sich stets auf den neuesten Stand von Wissenschaft und Forschung bringen. Dazu wächst im englischsprachigen Zentralarchiv ein immenser Pool an Wissen und Information heran.
Und last, but not least: keiner muss dafür etwas bezahlen. Die Informationen sind kostenlos. Aber dennoch und vor allem: höchst wertvoll.
Schaltstelle, Spiritus Rector, ist das Klinikum der J.W. v. Goethe Uni in Frankfurt. Mit Prof. Dr. Thomas Wagner an der Spitze.
Seine Spezialgebiete sind die Mukoviszidose der Erwachsenen, seltene Erkrankungen allgemein. Also der richtige Mann am richtigen Fleck.
Sehen wir uns einen Film über ihn und den Expertenrat Cystische Fibrose an:
Die Jury begründet ihren Preis:
Der Expertenrat erlaubt einen niedrigschwelligen Zutritt und damit Kontakt zu Experten für alle Nutzer. Beeindruckend findet die Jury die Evaluation der Expertenantworten durch ein Qualitätssicherungsteam. Dies dient zudem der Mehrung des Wissensstandes auf Seiten der Experten. Eine Win-Win-Situation, ein lernendes System entsteht zum Wohle der Patienten und der Wissenschaft.