Mein Thema sind heute: die Millenium Developpment Goals, kurz MDG´s genannt, oder auf deutsch: Milleniumsziele. Sie sollten, sollen bis 2015 erreicht werden. Aber eines gleich vorweg: das wird nicht passieren. Diesem Novum in der Weltgeschichte, dass sich auf einem UN-Gipfel im September 2000 alle, ja alle Staats- und Regierungschefs der Welt auf einen gemeinsamen Weg zur Überwindung von Armut und Hunger, von globaler Ungerechtigkeit, von Epidemien und der Zerstörung der Umwelt geeinigt haben- dieses elementare Ziel der Menschheit wird wohl Schiffbruch erleiden.
Nachdem Sie sich heute an diesem Morgen alle hier einfinden, gehe ich davon aus, dass Sie Interesse an diesem Thema haben. Aber, ehrlich: die acht Milleniumsziele. Wer kann sie so mal schnell aufsagen? Und bevor ich Ihnen von den bisher erreichten Erfolgen berichte, von Misserfolgen und von den Visionen was nach 2015 passieren kann, könnte….erst noch mal im Schnelldurchlauf zur Erinnerung; die acht MDG´s:
Alle acht Millenniumsziele sind aufs engste mit Kindern verbunden, und vor allem aus der Sicht der Kinder möchte ich Ihnen als Vertreterin von UNICEF Deutschland gerne einen Zwischenstand geben. Damit klar ist, wovon wir sprechen, möchte ich zu Beginn jedoch noch einige populäre Missverständnisse im Zusammenhang mit den Millenniumszielen ausräumen.
Die meisten der globalen Ziele wie die Halbierung der Armut und des Hungers gründen auf der Annahme, dass sich der Trend der 1970er und 1980er Jahre in den 25 Jahren nach 1990 fortsetzen würde. So soll also beispielsweise die Kindersterblichkeitsrate, wenn sie weiterhin in dem Tempo gesenkt werden könnte wie in den 1970er und 1980er Jahren, am Ende der Millenniumsperiode 2015 zwei Drittel weniger betragen als am Ausgangspunkt 1990.
Die Millenniumsziele sind global definiert. Die Frage, ob der Fortschritt ausreicht, ob die Ziele zu halten sind, kann daher einzig und allein auf globaler Ebene beantwortet werden. Es macht wenig Sinn und es zeigt auch unfaire Tendenzen, einzelnen Staaten oder Regionen vorzuhalten, sie seien nicht „on track“, würden also dem Erreichen der Ziele hinterherhinken. Denn die Ziele wurden nicht für spezifische Regionen formuliert, sondern für die ganze Welt.
Oft wird beispielsweise lamentiert, Subsahara-Afrika hinke bei einer Vielzahl der Millenniumsziele hinterher. Im Umkehrschluss meinen Viele, wenn Afrika sich mehr anstrengen würde, dann würde die Welt die Ziele ohne weiteres erreichen. Selten wird aber zum Beispiel darauf hingewiesen, dass auch die Fortschritte in Asien seit 1990 längst nicht mehr so vielversprechend sind wie vor 1990, dass man also auch Asien in Bezug auf die Millenniumsziele als Bremse bezeichnen könnte.
Aber das wäre ebenso unfair. Es handelt sich um Ziele für die ganze Welt und nur die ganze Welt kann sie erreichen. Trotzdem schadet es natürlich nichts, auf Fehlentwicklungen hinzuweisen und auch auf Regionen, die vielleicht mehr Unterstützung zur Bekämpfung der Armut benötigen. Denn nur mit möglichst konkreten und möglichst hartnäckigen Hinweisen lässt sich politischer Wille entfalten. Also: Werden die Ziele erreicht? Ist die Welt „on track“? Vor allem Journalisten – und ich bin Journalistin -erwarten darauf eine kurze und knackige Antwort: ja oder nein?! Aber leider ist die Antwort vielschichtig.
Es ist einfacher festzustellen, ob ein Kind eingeschult ist als zu prophezeien, wie viele Kinder die Grundschule abschließen werden. Schulabbrüche, Rückkehr in die Schule, Klassenwiederholungen sind für eine solche Berechnung relevant. Die Abschlussrate ist also weniger verlässlich als die Einschulungsrate. Aber die Abschlussrate ist gleichzeitig der aussagekräftigere Indikator, um den Fortschritt zu messen. Es ist auch einfacher zu beobachten, ob ein Kind mangelernährt ist als festzustellen, ob es von weniger als einem Dollar pro Tag lebt. Um das herauszufinden, benötigt man eine große Anzahl von Informationen und komplexe Berechnungen, die fehleranfällig sind.
Einige Indikatoren sind also ihrem Wesen nach weniger gut geeignet für belastbare Aussagen als andere. Unter den 48 Indikatoren, die zur Messung des Fortschritts angelegt sind, sind die fünf aussagekräftigsten die folgenden:
2005 zeigten alle diese fünf Indikatoren, dass die Welt nicht Schritt hält mit ihren Zielen. Die Kindersterblichkeit war nur etwa zur Hälfte dessen reduziert, was nötig gewesen wäre, um bei gleichbleibender Entwicklung 2015 zum Ziel zu kommen.
Ähnlich sah es bei den Indikatoren für die Müttersterblichkeit und für die Mangelernährung von Kindern aus, etwas besser bei der Einschulung und der Geschlechtergleichheit.
Es ist nicht ganz klar, weshalb die „boomenden“ 1990er Jahre den weltweiten Fortschritt nicht wirklich beschleunigt haben. Rapidem Wachstum und rapider wirtschaftlicher Globalisierung in einigen Weltregionen standen nur langsame Verbesserungen der sozialen und ökonomischen Lage in den Entwicklungsländern gegenüber.
Verschiedene Faktoren helfen diese Ungleichzeitigkeit zu erklären, darunter die Diskriminierung von Frauen, und auf die will ich gleich noch umfassender eingehen, aber auch die stagnierende Entwicklungshilfe, Auslandsschulden, niedrige Rohstoffpreise, bewaffnete Konflikte, schlechte Regierungsführung und die AIDS-Epidemie.
Ein sehr wichtiger Faktor für die langsamen Fortschritte seit 1990 sind die wachsenden sozialen und ökonomischen Unterschiede innerhalb von Staaten. Eine UNICEF-Studie in verschiedenen Entwicklungsländern hat 2003 gezeigt, dass die Gefahr für ein neugeborenes armes Kind, vor dem fünften Geburtstag zu sterben, in den späten 1980er Jahren statistisch geringer war als Ende der 1990er Jahre. In der armen Bevölkerung konnte die Kindersterblichkeit praktisch nicht reduziert werden. Der Fortschritt hat die Ärmsten und Bedürftigsten ausgespart. Diese wachsende Ungleichheit ist die hässliche Kehrseite des rapiden Wachstums einiger Länder. Zusammenfassend bleibt auf die Frage, ob die Welt auf dem richtigen Weg sei, zu antworten:
Unter diesen Gesichtspunkten bitte ich sie, die folgenden Zahlen und Zusammenfassungen zu den einzelnen Millenniumszielen zu verstehen. Außerdem müssen Sie wissen, dass die jüngsten Zahlen, die uns vorliegen, aus dem Jahr 2008 stammen. Die globale Finanzkrise ist also noch nicht eingerechnet.Geschweige denn das Drama in Japan, und die Unruhen und Nordafrika. Alle diese Geschehnisse werden die Welt nachhaltig verändern.
1990 lebten 1,25 Milliarden Menschen von weniger als einem Dollar pro Tag. 2008 waren es immer noch knapp eine Milliarde Menschen. Aber all diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Wie aus dem Millenniumsbericht von 2008 hervorgeht, hat die Weltbank ihre Berechnungsgrundlage 2008 erneut angepasst und geht nun von 1,4 Milliarden Menschen in extremer Armut aus.
Diese Daten zeigen, dass die Armutsrate seit 1981 von 52 Prozent auf 42 im Jahr 1990 und 26 Prozent im Jahr 2005 gefallen ist. Das Millenniumsziel 1 kann auf Basis dieser Daten durchaus noch erreicht werden. Fraglich bleibt jedoch, mit welchen Rückschlägen durch die globale Finanzkrise zu rechnen ist. Ich bin da sehr skeptisch. Und es geht weiter:Während der Anteil mangelernährter Menschen seit den frühen 1990er Jahren zurückgegangen ist, stieg die Zahl der Menschen, die zu wenig zu essen hatten, sogar an. Schätzungsweise eine Milliarde Menschen leidet Hunger. Zwei Milliarden sind unterernährt.
Die Zahl der untergewichtigen Kinder unter fünf Jahre ist zwar gegenüber 1990 zurückgegangen. Doch noch immer sind 23 Prozent aller Kinder in den Entwicklungsländern untergewichtig. 1990 waren es 33 Prozent. Vor allem in Südasien und Subsahara-Afrika gibt es wenig Fortschritte. Setzt sich die Entwicklung im momentanen Tempo fort, dann werden 2015 noch immer etwa 30 Millionen Kinder an Hunger leiden.
Welche Faktoren begünstigen Armut und Hunger? Ohne mit der Reihenfolge eine Gewichtung vornehmen zu wollen, lassen Sie mich einige wichtige Ursachen nennen:
Was hilft gegen Armut und Hunger? Armut ist ein so facettenreiches Problem, dass es kein Patentrezept dagegen geben kann. Kaum ein Mechanismus, der in einem Land funktioniert, ist auf ein anderes 1:1 übertragbar. Eines der ganz wenigen Instrumentarien, die universell einsetzbar sind und Anlass zur Hoffnung geben, sind Mikrokredite. Die Grameen Bank („Dorfbank“) in Bangladesch hat damit aufsehenerregende Erfolge erzielt. Ihr Gründer Muhammad Yunus hat den Friedensnobelpreis erhalten. Mikrokredite helfen nicht nur, ein kleines Unternehmen oder Nachbarschaftsnetzwerke zu gründen und zu finanzieren. Sie helfen auch Rücklagen zu schaffen für unerwartete Ausgaben, zum Beispiel in Krankheitsfällen. Im Jahr 2006 haben weltweit 113 Millionen Menschen solche Kleinstkredite in Anspruch genommen.
Die Einschulungsrate ist in den Entwicklungsländern seit 1990 von 80 auf 88 Prozent gestiegen. Gingen 1990 noch mehr als 120 Millionen Kinder nicht zur Schule, waren es 2006 noch 101 Millionen. Fortschritte gab es vor allem dort, wo Schulgebühren abgeschafft wurden.
Aber das Millenniumsziel 2 zu erreichen bedeutet mehr als alle Kinder einzuschulen. Es bedeutet qualitativ hochwertigen Unterricht, gut ausgebildete Lehrer, gut ausgestattete und erreichbare Schulen. Wer zur Schule geht, soll dort auch lesen, schreiben und rechnen lernen und die Grundschule auch im Grundschulalter abschließen. Im südlichen Afrika gehen beispielsweise sehr häufig ältere Kinder zwischen 10 und 17 Jahre in die Grundschule statt in eine weiterführende Schule.
Damit die Kinder ihr volles Potenzial entfalten und schließlich auch ihre Länder und Gesellschaften voranbringen können, müssen möglichst viele von ihnen auch weiterführende Schulen besuchen und abschließen. Derzeit besuchen aber nur etwa 55 Prozent der Kinder in den Entwicklungsländern eine weiterführende Schule. Die Universitäten sind einer kleinen Elite vorbehalten.
Auch die Finanzierung des zweiten Millenniumszieles ist zu gering. 2006 wurden 5 Milliarden Dollar dafür investiert. Doch jährlich wären 11 Milliarden Dollar nötig, um bis 2015 am Ziel zu sein.
Zwei Beispiele möchte ich nennen, die uns näher an das Ziel der universellen Grundbildung gebracht haben: Die Abschaffung von Schulgebühren und die UNICEF-Initiative „Schulen für Afrika“.
Burundi, die Demokratische Republik Kongo, Äthiopien, Ghana, Kenya, Malawi, Mosambik, Tansania und Uganda haben ihre Schulgebühren abgeschafft. So konnten allein in Ghana und Kenya innerhalb eines Jahres je 1,2 Millionen mehr Kinder zur Schule gehen. Das bedeutete jedoch eine enorme Herausforderung für die Bildungsinfrastruktur der Länder, die nicht ausreichend Schulen und Lehrer zur Verfügung hatten.
Das Projekt „Schulen für Afrika“ setzt hier an. Mit Hilfe deutscher Spenden konnte UNICEF in den Projektländern eine breite Bildungsbewegung in Gang setzen, von der Millionen Kinder profitieren. So half UNICEF, über 650 Schulen neu zu bauen oder in Stand zu setzen. An 446 Schulen sorgte UNICEF für Trinkwasseranschluss, baute Latrinen und Waschgelegenheiten. 940 Schulen erhielten Tische, Bänke und Tafeln oder weitere Ausstattung. Über 1,3 Millionen Kinder haben so endlich ein gutes Lernumfeld. UNICEF ermöglichte zudem rund 80.000 Lehrern die Teilnahme an Fortbildungen - so verbessert sich die Unterrichtsqualität für 3,6 Millionen Kinder.
Langsam verringert sich die Geschlechterdiskriminierung in der Bildung. In fast allen Weltregionen ist die Zahl der eingeschulten Mädchen schneller gestiegen als die der Jungen. Aber noch immer klafft eine Lücke: 53 Prozent der Kinder, die nicht zur Grundschule gehen, sind Mädchen. Werden die Anstrengungen, Mädchen in die Schule zu bringen, nicht verstärkt, bleibt das dritte Millenniumsziel unerreicht.
Ein großes Hindernis für die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen und Mädchen bleibt die verbreitete Gewalt. Ohne Bildung und Aufklärung können sie sich schlechter gegen sexuelle und wirtschaftliche Ausbeutung schützen. So geraten Millionen Mädchen in einen Strudel von Gewalt und Armut.
Interessant ist, dass dort, wo die Lücke beim Zugang zur Grundschulbildung geschlossen werden konnte, die Mädchen auch in den weiterführenden Schulen gut repräsentiert bleiben, während viele Jungen zu arbeiten beginnen.
Allerdings geht dort, wo die Mädchen schon in der Grundschule seltener vertreten sind, die Schere auf dem späteren Bildungsweg noch weiter auf. Gerade in den ländlichen Gebieten bräuchten Mädchen noch viel mehr Unterstützung, damit sie es bis an die Universität schaffen.
Ein Indikator des dritten Millenniumsziels betrifft die Präsenz von Frauen in den Parlamenten. Hier herrscht noch enormer Nachholbedarf. Zur Zwischenbilanz der Millenniumsziele 2008 waren lediglich in fünf Parlamenten der Welt mindestens 40 Prozent der Abgeordneten weiblich: in Ruanda, Schweden, Kuba, Finnland und Argentinien. In Ruanda garantiert übrigens die neue Verfassung von 2003 den Frauen mindestens 30 Prozent der Parlamentssitze. Das Land hat derzeit die höchste Parlamentarierinnenquote weltweit mit fast 50 Prozent Frauen in der Abgeordnetenkammer und 35 Prozent im Senat. Doch im globalen Maßstab ist die angemessene Repräsentanz von Frauen nicht gewährleistet. Anfang 2008 waren nur sieben Staats- und acht Regierungschefs aller in der UNO versammelten Staaten Frauen.
Auch bei anderen Entscheidungsprozessen sind Frauen benachteiligt. So stellen sie zwar die Hälfte der Flüchtlinge in den vielen Camps in Krisenregionen. Aber nur in zwei von fünf Camps dürfen Frauen auch genauso wie Männer mitentscheiden. Jüngste Daten lassen zwar darauf schließen, dass sich dieses Verhältnis etwas angeglichen hat. Aber bis zur Geschlechterparität ist es auch in den Flüchtlingscamps noch ein weiter Weg.
1990 starben in den Entwicklungsländern im Durchschnitt 103 von 1.000 Kindern vor ihrem fünften Geburtstag. 15 Jahre später starben noch immer 83 von 1.000 Kindern unter fünf Jahren, 2007 waren es 80 von 1.000. Zum Vergleich: In den Industrieländern sterben im Durchschnitt 5 von 1.000 Kleinkindern.
Die meisten Krankheiten und Leiden, die Kinder unter fünf Jahren das Leben kosten, könnten leicht vermieden oder behandelt werden. Lungenentzündung, Durchfall, Malaria und Masern sind die größten Gefahren. AIDS hat sich erst in den letzten Jahren zu einer großen Gefahr für Kinder entwickelt. Weil immer mehr Kinder bei der Geburt mit HIV infiziert werden, steigt die Kindersterblichkeit in Ländern wie Südafrika stark an. In einigen Regionen im Süden Afrikas ist AIDS bei Kindern inzwischen die Todesursache Nummer eins.
Auch bei uns längst besiegte Krankheiten wie Tetanus töten in den Entwicklungsländern Zehntausende Kinder still und leise. Oft werden weder die Geburt noch der Tod dieser Kinder von irgendeiner Meldebehörde verzeichnet.Tiefer liegende Gründe für eine hohe Kindersterblichkeit sind Mangelernährung, schlechte medizinische Versorgung bei Schwangerschaft und Geburt, ineffiziente Gesundheitssysteme. Wer noch tiefer blickt, wird erkennen, dass hohe Kindersterblichkeit nach wie vor ein Problem der Armen ist. Ein Kind, das in einem Entwicklungsland geboren wird, stirbt mit 13 mal höherer Wahrscheinlichkeit vor seinem fünften Geburtstag als ein Kind, das in einem Industrieland zur Welt kommt. Allein in Subsahara-Afrika starben 2007 die Hälfte der weltweit 9,2 Millionen Kleinkinder.
Jedes Jahr sterben 530.000 Frauen während der Schwangerschaft oder der Geburt. 99 Prozent der Todesfälle entfallen auf die Entwicklungsländer. In den ärmsten Ländern haben schwangere Frauen ein dreihundertmal höheres Risiko, an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt zu sterben, als in den Industrieländern. Von allen Millenniumszielen sind bei diesem bisher die wenigsten Fortschritte erreicht worden. Um weniger als ein Prozent ist die Müttersterblichkeit zwischen 1990 und 2005 zurückgegangen. 5,5 Prozent wären jährlich nötig, um bis 2015 ans Ziel zu kommen und die Rate um drei Viertel zu verringern.
Dabei könnten die meisten dieser Todesfälle vermieden werden. Weil es zu wenig Geburtsstationen, Hebammen oder medizinisches Fachpersonal gibt, bringen über 60 Prozent der Frauen in Afrika und in Asien ihre Kinder zu Hause zu Welt - oftmals unter unhygienischen Bedingungen. Bei mehr als der Hälfte dieser Geburten ist kein Fachpersonal anwesend. Viele Schwangere sind schlecht ernährt und müssen bis zur Geburt hart arbeiten. Nur wenige haben die Möglichkeit, wie von UNICEF und der Weltgesundheitsorganisation empfohlen vier Vorsorgeuntersuchungen durchführen zu lassen, um rechtzeitig mögliche Komplikationen zu erkennen. Bei etwa 15 Prozent der Schwangeren – das sind 20 Millionen pro Jahr – kommt es zu tödlichen Komplikationen. Fünf Gründe sind ausschlaggebend für mehr als 80 Prozent der Todesfälle: Sepsis, zu starke Blutungen, unsichere Abtreibungen, Stockungen während des Geburtsvorgangs, Bluthochdruck während der Schwangerschaft. Bei schweren Blutungen sterben Gebärende ohne die nötige medizinische Hilfe innerhalb von zwei Stunden.
Je jünger eine Schwangere ist, desto höher ist das Risiko für sie und ihr Baby. Bis heute werden jedoch in Südasien nahezu die Hälfte aller Mädchen und im südlichen Afrika nahezu 40 Prozent vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet. Gleichzeitig steigt das Risiko für Mütter mit jeder neuen Schwangerschaft. Aber 200 Millionen Frauen, die gerne verhüten würden, haben keine Möglichkeit dazu. So gibt es jedes Jahr in den Entwicklungsländern zirka 19 Millionen Schwangerschaftsabbrüche, die nicht nach medizinischem Standard vorgenommen werden. Jede dritte stirbt bei diesem Eingriff. Ohne deutlich verstärkte Anstrengungen im Gesundheitswesen und mit Aufklärungsprogrammen werden auch im Jahr 2015 Millionen Kinder ohne mütterliche Fürsorge aufwachsen. Jedes Jahr verlieren mehr als eine Million Kinder ihre Mutter. Diese Kinder haben ein zehnfach erhöhtes Risiko, früh zu sterben.
Das Millenniumsziel 6 heißt für AIDS: Die Epidemie soll bis 2015 gestoppt und der Trend umgekehrt werden. Statt immer mehr Infizierte und Tote soll es also dann stetig weniger Infizierte und Tote geben. Von diesem Ziel ist die Menschheit weit entfernt. Im südlichen Afrika steigt die Zahl der Todesopfer durch AIDS weiter an. 33,2 Millionen Menschen waren im Jahr 2007 infiziert. Jeden Tag stecken sich fast 7.500 Menschen neu mit HIV an, 5.500 sterben an AIDS.
AIDS ist wohl die globale Epidemie, der in den letzten Jahren am meisten Aufmerksamkeit zuteil wurde. Zurecht, denn AIDS ist eine der gefährlichsten Krankheiten, mit der die Menschheit je zu tun hatte. Schon mehr als 25 Millionen Menschen sind ihr in den vergangenen 25 Jahren zum Opfer gefallen. Bis heute gibt es streng genommen kein Gegenmittel. Mit antiretroviralen Medikamenten kann der Ausbruch der Immunschwächekrankheit AIDS nach einer Infektion mit dem auslösenden Virus HIV lediglich verzögert werden. Außerdem gibt es keinen Impfschutz.
Kinder werden beim Thema AIDS häufig vergessen. Dabei sind sie der Schlüssel, um die Epidemie dauerhaft einzudämmen und vielleicht irgendwann zu besiegen. Und sie leiden besonders unter den Folgen von HIV und AIDS. Bis zum Jahr 2010 werden schätzungsweise 20 Millionen Kinder durch AIDS ihre Mutter, ihren Vater oder beide Eltern verloren haben. Durchschnittlich infizieren sich täglich etwa 1.000 Kinder mit HIV. Die meisten dieser Kinder kommen bereits mit dem Virus auf die Welt. Die wenigsten von ihnen werden auf HIV getestet. Dabei weiß man, dass die Behandlung der Infektion in den ersten 12 Lebenswochen die Überlebenschancen um 75 Prozent steigen lässt.
UNICEF hat den Kampf gegen AIDS zu einem von fünf Schwerpunktthemen für die Jahre von 2006 bis 2011 gemacht. Die weltweite Kampagne „Du und ich gegen AIDS“ haben allein in Deutschland mehr als 720.000 Menschen mit ihrer Unterschrift unterstützt. Mit der Kampagne sollen das Bewusstsein für die Gefahren von AIDS geschärft und Spenden für die Arbeit von UNICEF eingeworben werden. Die beständige Lobbyarbeit für Kinder zeigt auch hier Wirkung. Inzwischen werden deutlich mehr HIV-infizierte Schwangere behandelt, so dass sie ihre Ansteckung nicht weitergeben. Pharmafirmen haben kinderverträgliche AIDS-Medikamente entwickelt. Kinder spielen in den nationalen Aktionsplänen gegen AIDS in den besonders betroffenen Ländern eine wichtige Rolle.
Malaria ist immer noch eine der häufigsten Todesursachen bei Kindern in den ärmsten Ländern Afrikas. Fast 20 Prozent aller Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren sind dort auf Malaria zurückzuführen. Mit massiven Investitionen ist es gelungen, die Verwendung von Moskitonetzen drastisch auszuweiten, von 30 Millionen im Jahr 2004 auf fast 100 Millionen im Jahr 2007. (UNICEF ist mit 20 Millionen Netzen der größte Versorger.) So sank auch die Zahl der Malariafälle. Doch um die angestrebte 80-prozentige Versorgung mit Moskitonetzen im Süden Afrikas zu erreichen, sind weitere 150 Millionen Netze nötig.
Neben Malaria und AIDS zählt zum Beispiel auch TBC zu den schweren Krankheiten, die im Rahmen des Millenniumsziels 6 gemeint sind. Da verbessert sich aber die Situation erfreulicherweise sehr.
Die Millenniumsziele 7 und 8 zur ökologischen Nachhaltigkeit und zur globalen Entwicklungszusammenarbeit haben einen anderen Charakter. Sie zielen direkt auf strukturelle Veränderungen.
Um Ziel 7 besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Teilziele: Es geht darum, die Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung in der Politik und den Programmen der einzelnen Staaten zu verankern und die Vernichtung von Umweltressourcen einzudämmen. Bis 2015 sollen sich der Anteil der Menschen ohne dauerhaft gesicherten Zugang zu hygienisch einwandfreiem Trinkwasser halbiert und bis 2020 die Lebensbedingungen von mindestens 100 Millionen Slumbewohnern und -bewohnerinnen deutlich verbessert haben. Als Indikatoren fungieren unter anderem der Pro-Kopf-Ausstoß von CO2, der Anteil der Menschen mit Zugang zu sanitären Einrichtungen, der Anteil von bewaldeten Flächen und der Anteil von Menschen, die in Slums leben. Der Klimawandel, der ja verzögert einsetzt, Jahre nachdem Treibhausgase ausgestoßen worden sind, verstärkt die Wucht von Naturkatastrophen, lässt schwere Stürme, Fluten, Dürreperioden heftiger und häufiger auftreten. In keiner Region der Welt bleiben die Menschen von den Folgen des Klimawandels verschont. Aber einige trifft er härter, und zwar insbesondere die Menschen in den Entwicklungsländern im Süden.
Vor allem deshalb, weil sie weniger Mittel haben, um Schäden vorzubeugen und sie wieder auszugleichen.
Bis heute haben etwa 884 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. 340 Millionen von ihnen leben in Afrika südlich der Sahara. Weiterhin gehen 25 Prozent der Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren auf Krankheiten zurück, die sich durch verschmutztes Trinkwasser und mangelnde Hygiene ausbreiten.
Jährlich sterben allein deshalb rund 1,5 Millionen Kinder - 4.000 jeden Tag.
Allerdings steht sauberes Trinkwasser gemessen an der Situation von 1990 heute etwa 1,6 Milliarden Menschen mehr zur Verfügung. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, wird zumindest das Trinkwasser-Teilziel erreicht.
Die Zahlen machen hier mehr als deutlich, dass viele Millenniumsziele in Wahrheit Zwischenziele sind. Denn wer würde sich damit zufrieden geben, dass hunderte Millionen von Menschen kein sauberes Wasser trinken können?
Ebenso inakzeptabel ist die fortschreitende Rodung der Wälder, insbesondere in einigen Entwicklungsländern. Zwar hat sich das Tempo etwas abgeschwächt, doch weiterhin wird jeden Tag eine Waldfläche doppelt so groß wie Paris dem Erdboden gleich gemacht.
Weltweit waren im Jahr 2005 noch 30 Prozent der Landfläche bewaldet. Tendenz: fallend.
Die globale Entwicklungspartnerschaft, von der im letzten und, jedenfalls nach politischen Gesichtspunkten, komplexesten Millenniumsziel die Rede ist, lässt sich nicht allein monetär messen und beschreiben. Sie umfasst beispielsweise die Einigung auf ein offenes, regelgestütztes, berechenbares und nicht diskriminierendes Handels- und Finanzsystem. Sie zielt auf die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze für junge Menschen ab, auf gute Regierungsführung, auf Technologietransfer, damit auch in den Entwicklungsländern moderne Geräte beispielsweise zur Kommunikation und zur Energiegewinnung zum Einsatz kommen.
Dennoch ist Geld ein wichtiger Faktor. Die weltweiten Entwicklungshilfeleistungen sind 2006 erstmals seit 1997 gesunken, danach aber erneut angestiegen. 2008 betrugen sie 119,8 Milliarden US-Dollar, im Vergleich zu 70 Milliarden US-Dollar im Jahr 1990. Diese Steigerung kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die allermeisten Staaten ihre bereits in den 1970er Jahren gegebene Zusage, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe aufzuwenden, bei weitem nicht erreichen. Lediglich Dänemark, Schweden, Norwegen, die Niederlande und Luxemburg haben ihr Versprechen schon gehalten.
Deutschland liegt unter 0,4 Prozent, auch wenn es nach offiziellen Angaben mit 13,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2008 derzeit der zweitgrößte Entwicklungsgeber hinter den USA ist. Insgesamt geben die Industrieländer nur durchschnittlich 0,3 Prozent.
Die weltweite Finanzkrise, die in den Entwicklungsländern mit einer schweren Nahrungsmittelkrise kombiniert und verstärkt wirkt, hat aller Voraussicht nach noch dramatische Auswirkungen auf die Millenniumsziele.
So hat die Weltbank in einer Studie festgestellt, dass die Kindersterblichkeit in Entwicklungsländern um 0,3 bis 0,8 Prozent steigt, wenn das Bruttosozialprodukt in dem betreffenden Land um einen Prozentpunkt sinkt. 200.000 bis 400.000 Kinder könnten demnach zusätzlich sterben.
Damit sind wir wieder bei Millenniumsziel Nummer 1 angekommen.
Aber nicht nur da. Jetzt komme ich als Frauenpolitikerin mit meiner These:
Könnten sich die Völker, die Zivilgesellschaften, die Regierungen weltweit darauf konzentrieren, das dritte Ziel, nämlich Ausbildung und Geschlechtergleichheit, die juristische Umsetzung dieser Gleichheit und die vehemente Durchsetzung der Kinderrechte als vordringliche Ziele zu behandeln, würden sich viele der anderen Milleniumsziele im Zuge dessen mit erfüllen: es könnten Armut und Hunger reduziert, Bildung durchgesetzt, Kindersterblichkeit bekämpft, die Müttergesundheit verbessert, HIV/Aids, Malaria reduziert werden. Den Menschen Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen ermöglicht, die Umwelt gestärkt und erhalten werden.
Nur Träume - nein: Gerne würde ich Sie vom Gegenteil überzeugen.
Erstens:
Wenn Frauen eigenes ausreichendes Einkommen haben, wenn sie entscheiden können in den kommunalen Ebenen oder auf Länderebenen, dann verbessert sich der Ernährungszustand der Kinder deutlich. Das ist erwiesen und wissenschaftlich belegt. Frauen stellen ihre eigenen Bedürfnisse und andere Investitionen eher zurück und räumen der Ernährung der Familie Vorrang ein. Auch und gerade wenn Nahrungsmittel knapp werden. Nach einer UNICEF-Umfrage in Kamerun geben Frauen aus dem eigenen Einkommen 74 Prozent aus, um die Lebensmittelvorräte der Familie aufzustocken. Männer dagegen wollen hier höchstens 22 Prozent ihres eigenen Einkommens abgeben. Frauen schicken ihre Kinder in die Schule. Auch ihre Töchter. Weil sie wollen, dass diese bessere Chancen haben als sie selbst. Wenn Eltern in den Ländern des Südens, und ich sage bewusst nicht Entwicklungsländer, wenig Geld haben und nur ein Kind in eine Schule schicken können, dann ist das immer der Junge. Und das wird immer von den Vätern so entschieden.
Aber: Selbstbewusste und gut ausgebildete Frauen und Mädchen können sich nicht nur besser wehren:
Wenn Frauen mitentscheiden können,wann wer in der Familie zum Arzt darf oder Medikamente bekommt, sterben deutlich weniger Kinder in den ersten Lebensjahren. Sie leiden seltener an Wachstumsstörungen aufgrund chronischer Unterernährung und wachsen insgesamt gesünder auf. Auch das ist in UNICEF-Untersuchungen belegt.
Unverändert bekommt laut Statistik eine Frau in Afrika durchschnittlich fünf Kinder. Die Bevölkerung dort wird sich also von heute 940 Millionen auf zwei Milliarden in 2050 verdoppeln. Jetzt hat zwar fast jedes afrikanische Land eine Politik zur Verlangsamung des Bevölkerungswachstums eingeführt. Aber in den Ländern südlich der Sahara zum Beispiel haben nur ganze 16 Prozent der verheirateten Frauen moderne Verhütungsmittel zur Verfügung.
Hier schließt sich wieder der Kreis: keine Frau der Welt will Kind auf Kind bekommen, wenn sie diese nicht ernähren kann und für sie eine Zukunft sieht. Also müssen Frauen dringend ausgebildet werden, damit sie sich und ihre Kinder ernähren können. Aufklärung schon in der Schule ist überlebensnotwendig.
Weltweit können 200 Millionen Frauen nicht verhüten…die aber verhüten wollen. Wenn alle Frauen, die freiwillig die Zahl ihrer Kinder beschränken möchten, dies auch könnten, dann würde sich das Bevölkerungswachstum um ein Fünftel verringern…
Jetzt hoffe ich, dass ich Ihnen gute Argumente liefern konnte, warum das Erreichen des Millenniumsziels Nr 3 „Gleichstellung der Geschlechter, Stärkung der Rolle der Frau“ alle anderen Ziele positiv beeinflussen kann. Armut, Hunger, das Leben der Kinder, Müttergesundheit, Bildung für alle, der Kampf gegen HIV/AIDS, Malaria und – nicht zu übersehen – auch um die Umwelt für unsere Kinder zu sichern.
Lassen Sie mich nach diesem Überblick und vor dem Hintergrund der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise noch einige Überlegungen zur Finanzierung der Millenniumsziele anschließen.
Die verschiedenen Millenniumsziele verlangen verschiedene Finanzierungsmechanismen und Finanzierungsansätze.
Wir benötigen also intelligente, auf das jeweilige Ziel abgestimmte Mechanismen und Programme, die im Einzelfall sehr hohe, in anderen Fällen jedoch sehr niedrige Kosten bedeuten. Eine Prognose darüber, wieviel genau es kosten wird, die Millenniumsziele zu erreichen, können wir vor diesem Hintergrund kaum abgeben.
Ich fordere darum, dass die Staaten der G8 und G20 ihre Versprechen, die sie seit dem G8-Gipfel von Gleneagles 2005 gegeben haben, einhalten sollten.
Die Entwicklungshilfe soll demnach von 80 Milliarden Dollar 2004 auf 130 Milliarden Dollar im Jahr 2010 ansteigen. Zusätzlich hat der G20-Gipfel vom April letzten Jahres die internationalen Finanzinstitutionen mit umfangreichen Mitteln ausgestattet, die auch den durch die Finanzkrise hervorgerufenen wirtschaftlichen Schaden in den ärmsten Ländern ausgleichen sollen.
Wir dürfen bei der Diskussion um einzelne Aspekte der Millenniumsziele nicht vergessen, welche enorme Schubkraft diese Vereinbarung in den letzten Jahren entfaltet hat. Alle Regierungen der Welt haben sich verpflichtet, Hunger und Armut wirksam zu bekämpfen. Wir können sie immer wieder an ihre Versprechen erinnern und so den politischen Druck erhöhen. Es ist nicht zu hoch gegriffen, wenn wir sagen, dass von der Einhaltung dieser Versprechen die Zukunft der Menschheit abhängt.