Vortrag bei der UNION-Stiftung in Saarbrücken am 27. Februar 2012
Kinder haben Rechte- Sie sagen vielleicht. Na und, ist doch klar. Aber so einfach ist das nicht.
Ich möchte Ihnen am Beispiel Deutschland erklären, warum auch hier bei uns die Kinderrechte nicht durchgängig geachtet werden. Warum sie in das Grundgesetz müssen, wie in unseren Nachbarländern längst geschehen. Im letzten Jahr haben unsere Nachbarn in Österreich ohne viel Getöse die Kinderrechte in ihre Verfassung geschrieben.
Ich denke auch Sie hier in Saarbrücken haben von den Kindern in Hamburg gelesen, die verhungert sind, verdurstet und an Methadon gekommen sind, dies geschluckt haben und daran starben. Sie heißen Jessica, Lara Mia und Chantal. Chantal starb vor vier Wochen, weil ein Jugendamt sie zu drogenabhängigen Eltern gegeben hat. Weil ein Jugendamt nicht kontrollierte, ob das Kind tatsächlich gut betreut wird, und vor allem. Ob die Eltern auch wirklich nur die Ersatzdroge und keiner anderen Drogen zu sich nehmen….
Wenn Kinder Rechte hätten, eigene Rechte, dann dürfte so etwas nicht passieren. Dann gäbe es Kläger und Richter zum Wohle der Kinder. Alle Staaten der Welt –mit Ausnahme der USA und Somalias- sind mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention die Verpflichtung eingegangen,
„alle geeigneten Gesetzgebungs-,Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte“ zu treffen. Und dazu gehört die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung.
Ein Blick in unser Grundgesetz zeigt, dass die Kinder zwar in Artikel 6 erwähnt werden. Sie sind jedoch nur, und jetzt wird es juristisch:“Regelungsgegenstand“ der Norm, also Objekte:“ Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. Und wenn Kinder bei Pflegeeltern untergebracht werden, dann obliegt denen die Pflicht…wie man an den toten Kindern Jessica, Lara Mia und Chantal sieht.
Logische Folge: Kinder werden nicht als Rechtssubjekte behandelt, Kinderrechte finden keine Beachtung. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass sich elterliche Pflege und Erziehung stets am Kindeswohl als oberster Richtschnur zu orientieren haben.
So ist auch auf Grund der Rechtsprechung des BVG´s ganz klar, dass ein Kind „ein Wesen mit eigener Menschenwürde und einem eigenen Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit ist“.
Weil aber unser Grundgesetz weder den in der UN –Kinderrechtskonvention verankerten Vorrang des Kindewohls, noch den grundlegenden Gedanken dieser völkerrechtlichen Konvention umsetzt, fordert UNICEF, zusammen mit dem Aktionsbündnis „Kinderrechte“ die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz.
Ich will Ihnen das im Einzelnen erläutern:
Das Kindeswohl muss Vorrang haben bei allen Kinder betreffenden Entscheidungen. Das betrifft zum Beispiel alle strittigen Rechtsfragen, oder wenn Kommunen Wohnviertel und Straßen bauen. Sollte sich eine Stadt entschließen auf Grund der Haushaltsplanung die Kinderspielplätze oder Einrichtungen für Jugendliche zugunsten von Straßen und Projekten für Erwachsene zu streichen, könnten die Rechte der Kinder eingeklagt werden.
Oder: wie Eltern sich verhalten, wie sie handeln. Dies muss alles unter dem Vorrang des Kindeswohls geschehen. Wären die Kinderrechte im Grundgesetz verankert, dann könnte der Schutz der Kinder eingeklagt werden. Z. B. Bei Vernachlässigung oder Gewalt, durch Eltern oder andere Privatpersonen, oder durch Mängel und Fehler in öffentlichen Institutionen.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Das Recht des Kindes auf Anerkennung als eigenständige Persönlichkeit. Dabei müssen dann Eltern bei der Ausübung ihrer im Grundgesetz verankerten Rechte mit abnehmender Bedürftigkeit und wachsender Einsichtsfähigkeit der Kinder deren Rechte berücksichtigen, sie müssen sie an allen die Kinder betreffenden Entscheidungen beteiligen. Wie gesagt: entsprechend dem Alter der Kinder.
Die Kinder als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten zu achten und in der Gesellschaft zu beteiligen – davon sind wir in Deutschland noch ziemlich weit weg. Das entspricht noch nicht durchgängig der allgemeinen öffentlichen Meinung, um das mal vorsichtig zu formulieren. Geschweige denn der täglichen Praxis in Elternhaus, Schule, kommunalen Einrichtungen sowie Verwaltung und Politik. Schon diese lange und mühevolle Diskussion um die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz zeigt, wie wichtig es ist, die Menschen in diesem Lande mit den Kinderrechten vertrauter zu machen.
Insgesamt würde der Staat noch stärker in die Pflicht genommen werden, wenn es um die Wahrnehmung seiner Verantwortung für Kind gerechte Lebensverhältnisse und um gleiche Entwicklungschancen für alle Kinder und Jugendlichen geht. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte ist es wichtig. Wenn es um die rund 2,5 Millionen Kinder geht( zwischen 3 und 18 Jahren), die von Harzt IV leben geht. Dazu aber auch um die etwa eine Million, die in Familien lebt die ebenfalls auf staatliche Hilfe als Aufstocker angewiesen ist.
Denn diese Kinder haben erwiesenermaßen schlechtere Bildungschancen. Da die Gesellschaft immer weiter in Arm und Reich auseinanderdriftet, wird das immer dramatischer. Der Schulerfolg von Kindern hängt stark von der Bildung der Eltern ab. Auch das ist nicht fair, auch das diskreditiert Kinder.
Ganz zu schweigen von der wachsenden Zahl von vernachlässigten Kindern. Die Kinderrechte im Grundgesetz würden Kinder umfassend vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung schützen und ihnen ihr Recht auf eine gewaltfreie Erziehung garantieren.
Es ist ja noch gar nicht so lange hier, dass in Deutschland eine Ohrfeige, ein Klaps zur rechten Zeit, wie heißt es schön, noch niemandem geschadet habe…. Sie erinnern sich sicher an diese Diskussion. Das ist, so hoffe ich, für die Kinder in Deutschland, endgültig vorbei.
Die UN-Kinderrechtskonvention ist jetzt 23 Jahre alt. Die Bundesregierung, damals unter Kanzler Kohl , hatte sie zwar rasch ratifiziert. Aber nur mit fünf Vorbehalten.
Einer davon betraf das Asyl- und Ausländerrecht. Jetzt endlich, im Juli 2010, 22 Jahre später, hat die Kanzlerin Merkel mit ihrer Bundesregierung die Vorbehalte endlich zurückgenommen. Kinderrechte gelten jetzt auch für ausländische Kinder ohne geregelten Aufenthaltstitel. Die bisher gravierenden Nachteile bei der medizinischen Versorgung, bei Schule und Ausbildung bis hin zu nicht kinderechtem Umgang im Asylverfahren und bei Abschiebungen sind vom Tisch. 22 Jahre nach der Ratifizierung. Immerhin.
Ich erwähnte zu Beginn meines Berichtes, dass zwei Länder die Konvention nicht unterschrieben haben: Somalia bis zum heutigen Tag nicht, weil der Staat seit 1991 von rivalisierenden Clan-Milizen beherrscht wird. Es gab und gibt bis heute keine Regierung, die völkerrechtlich verbindliche Vereinbarungen hätte treffen können. Ob sich die Übergangsregierung in Somalia etablieren kann und das Land bald wieder Frieden erleben wird- ist ungewiss.
Ja, und die Vereinigten Staaten. Die haben die Konvention zwar 1995, also sechs Jahre später unterzeichnet. Bislang aber war noch kein Kongress bereit, sie zu ratifizieren. Dies ist übliche politische Praxis. Die USA haben nur wenige internationale Menschenrechtsabkommen formell in Kraft gesetzt.
So gibt es in Washington Vorbehalte, neben den politischen auch soziale, wirtschaftliche und kulturelle Menschenrechte anzuerkennen. Außerdem sind die Bundesstaaten in wichtigen Aspekten der Gesetzgebung unabhängig. So kann in einigen Staaten die Todesstrafe gegen Kinder verhängt werden, wenn diese zur Tatzeit minderjährig waren. Das widerspricht nun wirklich komplett der Kinderrechtskonvention. Und zeigt, wie wichtig sie auf der anderen Seite ist.
Ich möchte Ihnen jetzt in Kurzfassung nochmals einige Kinderrechte aus der UN-Konvention nahe bringen. Wir können ja dann im Anschluss darüber diskutieren, in wie weit Sie glauben, dass wir uns in Deutschland politisch korrekt verhalten.
O Alle Kinder haben das Recht gleich behandelt zu werden. In vielen Ländern sind jedoch zum Beispiel Mädchen schlechter dran als Jungen. Sie dürfen etwa nicht zur Schule gehen. Oft werden Kinder auch wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft oder Religion ausgegrenzt. Aber: kein Kind darf wegen seines Geschlechts, seiner Hautfarbe oder seiner Herkunft benachteiligt werden.
O Elterliche Fürsorge. Die Eltern müssen sich um ihre Kinder kümmern und wenn sie geschieden sind, haben Kinder das Recht beide Elternteile zu besuchen. Wenn jemand sein Kind vernachlässigt, hilft das Jugendamt. In vielen anderen Ländern ist da niemand, der sich um die Kinder sorgt, die ihre Eltern verloren haben.
O Viele Kinder auf der Welt müssen viele Stunden am Tag hart arbeiten. Und sie bekommen dafür nicht einmal angemessenen Lohn, manchmal werden sie sogar geschlagen. Für die Arbeitgeber ist Kinderarbeit ein gutes Geschäft. Denn Kinder wissen oft nicht, dass sie ausgebeutet werden, und wehren sich nicht, obwohl sie das Recht dazu hätten. Das Recht auf Schutz vor Ausbeutung.
O Kinder haben das Recht auf Bildung. Alle, egal woher sie kommen. Aber: Millionen Kinder können oder dürfen nicht zur Schule gehen. Dabei ist Bildung so wichtig. Nur so kann der Teufelskreis der Armut durchbrochen werden.
O Kinder dürfen nicht im Krieg als Soldaten eingesetzt werden. Auch auf der Flucht gibt es ein Recht auf besonderen Schutz und Hilfe. Aber: in den 42 Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt sind es vor allem die Kinder, die leiden, als Flüchtlinge in Lagern leben oder als Soldaten andere töten und unter lebenslangen Traumata leiden.
Das sind nur einige, als Beispiel. Die Kinderrechtskonvention ist aber nicht nur irgendein Papier, das erstaunlicherweise von allen Völkern der Vereinten Nationen ( bis auf die genannten) unterzeichnet wurde. Nein, es ist ein verbindliches völkerrechtliches Instrument, für das die Vereinten Nationen, die Regierungen und die Zivilgesellschaften feste Institutionen und Mechanismen zur Umsetzung geschaffen haben:
Da gibt es die verpflichtenden Berichte an den UN-Ausschuss. Zwei Jahre nach der Ratifizierung müssen die Staaten, die der Konvention beigetreten sind, vor dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes in Genf Rechenschaft ablegen. Danach ist alle fünf Jahre ein neuer Bericht fällig.
Der Ausschuss hört sowohl Vertreter von UNICEF und anderen Organisationen als auch die Regierungen an und erstellt die so genannten abschließenden Beobachtungen. Einen Bericht, der auch Empfehlungen zur weiteren Umsetzung der Kinderrechte enthält.
Und wir ordentlichen Deutschen? Wir haben den letzten aktuellen Staatenbericht im April 2010 vorgelegt, mit einem ganzen Jahr Verspätung. Derzeit wird er in Genf im Ausschuss geprüft.
Dann gibt es Nationale Koalitionen: Da haben sich, auch hier bei uns NGO ´s zusammengeschlossen, um die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention kritisch zu begleiten. Mehr als 100 Organisationen sind es in Deutschland, darunter natürlich auch UNICEF. Sie alle, in der National Coalition, geben zum Staatenbericht einen so genannten Schattenbericht heraus.
In 40 Ländern gibt es sogenannte Kinderbeauftragte. Ombudsmenschen, die sich gegenüber den Regierungen für die Kinderrechte stark machen. Im Aktionsbündnis Kinderrechte tritt UNICEF mit dem Deutschen Kinderschutzbund und dem Deutschen Kinderhilfswerk seit Jahren dafür ein, dass auch in Deutschland eine unabhängige Ombudsperson für Kinder berufen wird….Zukunftsvision. Leider immer noch.
Nelson Mandela sagt nicht ohne Grund: „Es ist gewiss, dass wir in unserer modernen Welt besser für unsere Kinder sorgen können, als wir es jetzt tun. Es gibt keine Entschuldigung dafür, den Kindern eine gute Kindheit vorzuenthalten, in der sie alle Fähigkeiten voll entfalten können.“
Nein, es gibt keinen Grund. Packen wir´s an.
Aber hätten wir in Deutschland arme Kinder, wenn unsere Kinder eigene Recht htten, die im Grundgesetz stehen würden? Ich denke nein, vor allem nicht in so großer Zahl.In diesen Tagen sind wieder neue Zahlen veröffentlicht worden. Von der Bertelsmann-Stiftung und von der ARbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen.
Die Bundesagentur für Arbeit sagt, die Zahl der Kinder, unter 15 Jahren, die Hartz IV beziehen, sei zwischen September 2006 und September 2011 deutschlandweit von 1,9 Millionen auf 1,64 Millionen zurückgegangen. Die Wohlfahrtsverbände kontern aber sofort und empört: Tatsache sei, dass bei allem statistischen auf und ab kaum weniger Kinder in Hartz IV sind, als bei der Einführung des Gesetzes im Jahr 2005. Jedes siebte Kind war es damals und ist es heute. Das ist eine Schande.
Dabei hilft auch ein bischen Statistik und nachdenken zur Erkenntnis, dass die Zahlen der Arbeitsagentur alles andere als positiv zu bewerten sind: denn seit dem Jahr 2006 leben in Deutschland fast 750 000 Kinder unter 15 Jahren weniger. Wenn es also immer weniger Kinder in dieser Altersgruppe gibt, dann ist es doch keine Überraschung, dass in absoluten Zahlen betrachtet immer weniger Kinder von Sozialleistungen leben.
Und noch bitterer wird es, wenn man in die einzelnen Regionen sieht: in Bayern sieht es da am besten aus. Die Zahl der Kinder unter Hartz IV ist um 22 Prozent zurückgegangen. In Hamburg aber, da bezieht immer noch unverändert jedes vierte Kind unter 15 Jahren Hartz IV.
Vielleicht nochmal an dieser Stelle zu Erinnerung: als arm gilt, wer als Single inklusive Sozialleistungen wie Wohngeld, Hartz IV weniger als 929 Euro im Monat zur Verfügung hat. Das trifft auf 12,6 Millionen deutsche zu. Singles erhalten bei uns bar 374 Euro Hartz IV im Monat. Für Kinder gibt es je nach Alter zwischen 219 bis 287 Euro.
Bei uns, und ich sage das unverändert voller Scham, bei uns in Deutschland, einem der reichsten Industrieländer der Erde, der Erde!! Gibt es Kinderarmut, Arme Kinder, die ohne Frühstück in die Schule gehen, mittags an kostenlosen Mittagstischen anstehen, die zu wenig und zu kühle Sachen zum anziehen haben, die schneller krank werden, nicht die gleichen Bildungschancen haben und und und…
O und: keiner sieht hin.
Zur Erinnerung: Nur die Bundesverfassungsrichter, die am 9. Februar 2010 der Bundesregierung kühl mitgeteilt haben, dass die Hartz-VI-Regelsätze verfassungswidrig sind. Besonders die Kinder müssen besser gestellt werden. Und besser, so die klugen Richter, heißt nicht nur mehr Geld, sondern Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenz-Minimum. Auf Teilhabe am sozialen Leben, am Sport. Am Musikunterricht, an Klassenausflügen und vor allem an der Bildung.
Bis zum Ende des Jahres 2010 hätten die Politiker in Berlin neu rechnen müssen. Es dauerte aber bis Anfang 2011 und heraus gekommen ist ein so genanntes Bildungspaket.
Da endlich legte die Arbeitsministerin ihren Plan für Kinder vor: 700 Mio für Hartz IV-Kinder und Kinder, die in Familien leben, die knapp drüber liegen. Die so genannten Aufstocker. Aber alle Fachleute beschweren sich, das ist viel zu wenig. Eigentlich müssten statt der 5 Euro mehr 35 rauskommen.
Denn die Richter wollten ja auch, dass für Kinder und Jugendliche ein Rechtsanspruch für Bildung und Freizeit festgeschrieben wird. Ist nicht geschehen. Es gibt dagegen 30 Euro jährlich für Tagesausflüge, für längere Klassenfahrten. Zwei Euro für Mittagessen in Kita oder Schule. Und ganz perfide: Essenszuschüsse für Kitas und Schulen werden dann vom Hartz IV-Satz wieder abgezogen. Zuschüsse für zusätzliche Ansprüche der Kinder, also z. B. ein längerer Klassenausflug, werden anerkannt. Heißt das auch bezahlt?
Es gibt 10 Euro pro Kind und Monat für Sportverein, Musik etc…Nachhilfeunterricht. Dazu wie bisher 100Euro als Starterpaket für Schulanfänger.
Aber hilft das alles wirklich? Wenn immer noch ein Drittel aller Schulkinder ohne Frühstück in die Schule kommt? Ein Drittel der 11, 13 und 15jährigen…Wer aber Hunger hat, kann nicht lernen, sich nicht konzentrieren und keine guten Noten schreiben. In keinem anderen westlichen Land werden Kinder so benachteiligt. Die Kleiderkammern in den Kindereinrichtungen sind vor dem Winter meist schon im Oktober leer.
Noch ein Wort zum ja verabschiedeten Bildungspaket, das den Kindern ja schnell und vor allem unbürokratisch helfen sollte. Seit Anfang April 2011 steht das Geld zur Verfügung, Anfang Juni haben immerhin schon, oder erst 27 Prozent der betroffenen Familien Leistungen beantragt. Inzwischen sind es 45 Prozent. Ich halte das für ein Armutszeugnis. Für die Politik. Das zeigt doch nur, dass die Hürden viel zu hoch sind für die betroffenen Eltern und Kinder. Das es nicht wirklich gewollt wird zu helfen.
Wir wissen: Arme Kinder sind kränker, weil die Eltern nicht so oft mit ihnen zum Arzt gehen und vielleicht gar nicht so genau hinsehen. Weil jede sechste Mutter mit einem niedrigen Einkommen raucht. Obwohl sie ein kleines Baby zuhause hat.
Wie gesund ein Kind in Deutschland aufwächst, hängt zu einem erheblichen Teil von Wohlstand und Bildung des Elternhauses ab. Es ist doch eine Schande, wenn wir erkennen müssen, dass mit der Armut auch die Gesundheitsrisiken wachsen. Jedes siebte Mädchen aus der Unterschicht ist fett. Bei den vermögenden Eltern nur jedes 25…. Jedes dritte Mädchen in den benachteiligten Familien berichtet von Fressattacken und anschließendem Erbrechen.
Jeder sechste Junge gilt in dieser Gruppe der benachteiligten Familien als verhaltensauffällig oder als psychisch auffällig. Das sind Alarmsignale!!
Arme Kinder haben in all den Bundesländern, wo in den Schulen ein Büchergeld verlangt wird, keinen fairen Zugang zur Bildung.
Alleinerziehende- und das sind zu 90 Prozent die Mütter – bekommen keinen Job, wenn sie keinen Kindergartenplatz haben- und keinen Kitaplatz, wenn sie keinen Job haben.
Ein Teufelskreis. Besonders von Armut bedroht sind in Deutschland Kinder aus drei Gruppen: Kinder aus Migrantenfamilien, Kinder in den Neuen Bundesländern – und Kinder von Alleinerziehenden. Fast die Hälfte laut EU-Kriterien - der unter dreijährigen Kinder von Alleinerziehenden fallen unter die Armutsgrenze.
Aber auch wenn Allein Erziehende berufstätig sind, schaffen sie es nicht – auch das belegt die Untersuchung für UNICEF- ein Haushaltseinkommen zu erwirtschaften, das über der Armutsgrenze liegt. Sie gehören dann zu den rund 400 000 Aufstockern in Deutschland, die zusätzlich vom Staat leben müssen.
Wobei mehr Betreuungsplätze die eine Forderung sind, um diesen Frauen und Kinder zu helfen. Vor allem brauchen sie auch gezielte Unterstützung, die ihre materielle Situation verbessert. Steuerklasse eins ist einfach nicht fair…
Und auch so ein Mythos: Das Kindergeld der schwarz-gelben Koalition ! Das hilft diesen Kindern überhaupt nicht. Denn die 20 Euro zusätzlich werden vom Hartz-IV-Geld abgezogen. Auch der so gepriesene Kinderfreibetrag von rund 7000 Euro im Jahr mindert die Steuern nur derjenigen Familien, die tatsächlich auch ein Einkommen haben. Und zwar ein hohes, damit sie diesen Betrag überhaupt absetzen können.
In dieser ganzen Diskussion wäre es gefährlich, die Opfer, also die benachteiligten Eltern und ihre Kinder, einseitig verantwortlich zu machen. Es muss uns allen darum gehen vor allem die Kinder zu befähigen aus dem Kreislauf von Armut, geringer Bildung und hohen Gesundheitsrisiken zu entkommen. Damit ist denen geholfen, bei denen sich jede Schulfrage erübrigt: ein Zweijähriger kann nun mal nicht entscheiden, ob seine Mutter rauchen darf, oder nicht.
Auch UNICEF argumentiert: In den ersten Lebensjahren haben Kinder keinen Einfluss auf ihre Lebensumstände. Wenn sie in Armut aufwachsen, wenn ihre Gesundheit bedroht ist oder ihre Entwicklung schlecht läuft, dann ist das nicht die Schuld der Kinder.
Britische Untersuchungen mahnen uns in Deutschland: in Langzeitstudien hat sich gezeigt, dass gefährdete Kinder im Erwachsenenalter häufiger Herzinfarkte bekommen, und Schlaganfälle erleiden. Ihre Lebenserwartung ist deutlich niedriger. Im Schnitt um sieben bis zehn Jahre. Der Zeitpunkt, wann ein Erwachsener stirbt, hängt also auch von seiner Kindheit und von seinem Hunger ab.
Dabei gibt die Bundesregierung überdurchschnittlich viel für Familien aus: Fachleute haben einen Topf von 184 Milliarden(!) Euro errechnet. Der in 150 verschiedene Förderkreise ausbezahlt wird. Aber die OECD kritisiert das: diese Art der Förderung hilft nicht gegen Kinderarmut. Das Geld flie0ßt in die falschen Töpfe!
Andere Länder wie Dänemark, Schweden, Österreich, Frankreich und Großbritannien geben weniger aus, aber die Kinderarmut ist deutlich geringer als in Deutschland. In Großbritannien und Frankreich liegt sie zum Beispiel bei nur zwei Prozent.
Was muss geschehen? Wir brauchen flächendeckende Netzte an Kindergärten. Da sollten nur die zahlen müssen, die es sich leisten können. Wir brauchen Ganztagsschulen, wo nur diejenigen Elotern das Mittagessen bezahlen, die es können.
Dann brauchen wir Mindestlöhne, damit vor allem die Frauen, die alleinerziehenden Mütter ihre Klein-Familie von einem Halbtagsjob halbwegs unterhalten können. Solange es noch keine Ganztagskindergärten und Ganztagsschulen gibt.
Wir brauen freie Lehr- und Lernmittel, Bildung ist Zukunft. Kinder dürfen da nicht abgehängt werden.
Schließlich in allen Städten und Gemeinde Sozialtickets und Kindercards, die nicht auf die Hartz-IV-Bezüge angerechnet werden. Es ist doch auch ein Unding, wenn Geschenke zu Weihnachten oder zur Kommunion von Hartz-IV-abgezogen werden. Auch das kleine zusätzliche Taschengeld, das sich Kinder nebenbei verdienen.
Schulbücher dürfen nichts kosten. Das sollten wir uns leisten können. Wenn denn Bildung wirklich so entscheidend ist…
Jedes Kind, da sind wir uns doch sicher einig, hat das Recht auf eine angemessene Teilhabe an der ökonomischen Entwicklung der Gesellschaft. Die- und das ist ein wichtiger Ansatz – nicht von der ökonomischen Situation der Eltern bestimmt sein sollte. In den USA, in Großbritannien, Schweden und Frankreich folgen die Politiker bei der sozialen Sicherung dem Grundsatz, dass jedes Kind unabhängig von der Wirtschaftskraft der Eltern Anspruch auf gleiche Unterstützung durch Staat und Gesellschaft hat.
So weit sind wir in Deutschland noch lange nicht. Aber: eine eigenständige ökonomische Grundsicherung von Kindern muss in der Zukunft diskutiert werden. Die – und das haben Fachleute an der Universität in Frankfurt längst den Politikern vorgerechnet, unterm Strich den Staat und damit dem Steuerzahler günstiger kommt, als die bisherigen Gießkannenverfahren. 185 Mrd in 150 verschiedene Familien- und Kinder- und Elterntöpfe- das ist ein Irrsinn.
Und darum: die Kinderechte gehören ins Grundgesetz.
Das würde auch die Argumentation für eine eigenständige materielle Absicherung der Kinder deutlich erleichtern. Wenn Kinder im Grundgesetz ausdrücklich als Träger von sozialen Rechten anerkannt würden, wäre die Abhängigkeit von Status und Einkommen der Eltern nicht mehr der Normalfall.
Für mich steht fest: Wir Deutschen sind nicht sehr kinderfreundlich, das belegen auch die Professoren Bertram und Kohl in ihrer UNICEF –Studie aufs Neue.“Starke Eltern-starke Kinder“
Wir schützten die Rechte von Kinder zu wenig – und es leben Millionen Kinder in unserem Land, die wenig Hoffnung haben, wenig Chancen und als arme Kinder von armen Eltern eines Tages auch wieder: arme Eltern werden. Mit armen Kindern. Das können wir nicht wollen.