21.02.2014, Bilanz nach zehn Jahren im Hochschulrat der Universität Hamburg

Meine kleine Abschiedsrede vor dem Hochschulrat der Universität

Neun dicke Ordner....

Ich habe an Sie, Frau Senatorin, im vergangenen Dezember geschrieben und erklärt, dass ich mich aus dem  Hochschulrat der Universität Hamburg zurückziehen möchte. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, es war eine hochspannende Periode,  aber ich finde auch: es ist Zeit für jüngeren Nachwuchs...Dies vorweg. Ich habe natürlich unseren Vorsitzenden informiert und den Präsidenten Prof. Lenzen..und dabei auch gebeten, ein paar Minuten zurückblicken zu dürfen. Gelebte Hochschulratsgeschichte,
dazu habe ich meine insgesamt jetzt neun dicken Aktenordner durchgeforstet. Denn vieles, ehrlich, war total vergessen...Ich habe geschmunzelt, den Kopf geschüttelt, mich an so manche Kontroverse erinnert. Vor allem aber: an  eine sehr, sehr gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit über all die Jahre hinweg. Und darum an dieser Stelle Ihnen allen ein herzliches Danke...

Zu unserer ersten Sitzung genau vor zehn Jahren am 2. Februar 2004  sind wir alle ganz heimlich und bedeckt hineingeschlichen. In die von Jahrhunderten der Wissenschaft durchtränkten Räume des Warburg-Hauses in der Heilwigstrasse. Denn die Studenten haben sich nicht nur in der Uni, sondern auch auf der Strasse gegen diese Idee von Senator Dräger gewandt, der Uni einen Hochschulrat zu verpassen. Der dann auch noch die Präsidentin/ den Präsidenten wählen dürfen soll, den Struktur- und Entwicklungsplan absegnen, Kanzler suchen und wählen darf...das widersprach völlig dem basisdemokratischen Denken der Studentenschaft.
Dräger hat übrigens nur die Ideen der Dohnany-Kommission umgesetzt.

Jörg Dräger installiert den ersten Hochschulrat

Wir wählen damals sehr schnell  Jürgen Timm zum Vorsitzenden des HSRates, Doris Andre zur Stellvertreterin. Und den damaligen Präsidenten  Jürgen Lüthje nur noch ein Jahr ins Amt. Diese Zeit sollte genutzt werden um die Nachfolge zu regeln....
Damals sind außerdem im Hochschulrat: Rüdiger Wolfrum,  Ekhard Salje,  Gabriele Löschper,  Thomas Hengartner, vorgeschlagen von der Universität und Johann Lindenberg, Harald Vogelsang und ich auf dem Ticket des Senates.

Es ist ein erstes vorsichtiges Ertasten, Erfühlen, gemeinsam Essen gehen, eben ein totaler Neuanfang von Menschen, die sich noch nie begegnet sind.  Aber in einem guten Geist, einem guten Gefühl. Und getragen von viel gegenseitigem Vertrauen. Schon damals....

Mit der Uni sind wir allerdings erst mal nicht so recht warm geworden. Auf der dritten Sitzung geht es z. B. um die „Ehrendoktorwürde für den russischen Präsidenten Putin.“ Wir alle wissen nichts davon, sind uns aber einig, dass diese Absichtserklärung des Wirtschaftswissenschaftsbereiches der Uni nicht zuträglich ist. Wir wissen damals aber auch: es geht uns nicht wirklich was an. Aber eine Meinung dazu hatten wir. Und die hielten wir nicht hinterm Berg...

Wir ziehen heimlich von Sitzung zu Sitzung durch die Stadt

An der Studentenfront: unverändert Unruhe, Demonstrationen, viel Aufregung und Geschrei. Die Studenten können sich über den jetzt agierenden Hochschulrat immer noch nicht beruhigen.  Wild, polemisch, zum Teil ziemlich übel in der Argumentation. Wir ziehen deshalb von einer vermeintlich heimlichen Sitzung zur nächsten, durch die ganze Stadt: ins Unilever-Haus, in die Körber-Stiftung, zum NDR, in den Internationalen Seegerichtshof... und neben den aktuellen Themen wie STEP, Grundordnung, Fakultätenstruktur, ja schon damals, wissen wir, dass wir eine Präsidentin, einen Präsidenten finden müssen.

Bei einem Empfang kann ich Senator Dräger überreden, 80 000 Euro für einen headhunter herauszurücken...und so tritt die Findungskommission schnell  zusammen. Damals schon dabei, aber für den akademischen Senat  Ursula Platzer,. Dann Jürgen Timm, Doris  Andre und Rüdiger Wolfrum für den Hochschulrat...
Daneben geht es in den Sitzungen es um die Lehrerausbildung..wieviele braucht Hamburg, wird auch für das Umland ausgebildet?
Wie kommt die Gleichstellung voran? Ganze 20 Prozent sind  damals bei den Professuren angestrebt...ich kann es nicht glauben. Heute sind es immerhin 27,4 Prozent Frauen, also 190 Professorinnen von insgesamt 700.
Wie kriegen wir die Journalistik rüber in die Wiso –Fakultät ?
Und lieber Herr Lenzen, schon damals gab es heftigen Streit zwischen der MIN-Fakultät und deren Zahlen- und dem Präsidium und deren Ergebnissen.

"Raketen-Moni" war klug aber nicht kommunikativ

An einem heissen Juli-Tag  2006 wählen wir dann in der Körber-Stiftung- wieder auf der Flucht vor demonstrierenden Studenten-  Monika Auweter-Kurz zur neuen Präsidentin. Die Presse giftet bereits über „Raketen-Moni“.Das ist aber erst der Anfang. Leider stand diese Präsidentschaft unter keinem glücklichen Stern. Und ehrlich: Die sicherlich kluge Wissenschaftlerin war alles andere als kommunikativ begabt.

Wir sind oft bei Diskussionen im HRS aneinander geraten. Auch  persönliche Vier- und Sechs-Augen-Gespräche können nicht wirklich was verändern.

Eine wesentliche glücklichere Hand hat der HSR damals mit der Wahl der Kanzlerin : Katrin Vernau wird bis 2012 dann die Zügel der Verwaltung in ihren zupackenden Händen halten.

Aber wieder zurück: im Jahre 2006 kommt es auch noch zu einem weiteren Wechsel. An der Spitze des Hochschulrates scheidet Jürgen Timm  aus,  Doris Andre übernimmt . Ich werde zur Stellvertreterin gewählt. Und Frau Gabriele Fischer-Lichte kommt neu dazu.

Kommt die Uni in den Hafen?

Inzwischen schlagen in Hamburg die Wogen mal wieder hoch, diesmal aber wegen des angedachten Umzuges der Universität in den Hafen. Eimsbüttel tobt, eine Bürgerversammlung löst die nächste ab, die Zeitungen sind voll. Die Uni-Präsidentin scheint sich mit der Senatorin einig: mal will es wagen. Uns werden Modelle vorgestellt, Kalkulationen erläutert. Ich sehe uns noch alle über die Pläne gebeugt vor mir...
Was soll es kosten? Der bauliche Zustand der Uni ist unbestritten katastrophal. Fingerdicke Papiere erläutern die Pros und Cons...aber es fällt keine Entscheidung.

Doris Andre beißt sich inzwischen an der Präsidentin die Zähne aus..und gibt auf. Wir wählen auf Vorschlag von Frau Auweter-Kurz Albrecht Wagner und Wolfgang Wahlster wird in den Hochschulrat als Mitglied gewählt. Das war 2008- und alles andere, als er Beginn endlich ruhigerer Zeiten.
Denn...Die Präsidentin macht sich sang- und klanglos vom Acker. Vorher hatten wir noch „nette“ Treffen. Albrecht Wagner, Günter Huber, Johannes  Lindenberg und ich haben ihr und auf Grund der klaren Aussagen eines zwar loyalen aber auch sehr ehrlichen Präsidiums und der mutigen Dekane  zum Rücktritt geraten. Hand in Hand mit der damaligen Senatorin  Herlind Gundelach. Die beim Ersten Bürgermeister finanziell für eine erträgliche Brücke gesorgt hat.

Sogar die Berliner Studenten demonstrieren gegen die Wahl von Lenzen in Hamburg

Und wir im Hochschulrat gründen  mal wieder eine Findungskommission. Aus den leidvollen Erfahrungen gelernt, wird daran der Akademische Senat
gleichberechtigt beteiligt. Das erweist sich als kluge Entscheidung. Wir sitzen Sonntag für Sonntag in einem hübschen Haus über der Elbe und hören uns die jetzt wirklich sehr viel interessantere Auswahl an Kandidaten an.
Ich denke, dass schon damals Frau Gundelach Sie Herr Lenzen im Auge hatte.
Aber eigentlich hatten wir ja ausgemacht zwei Kandidaten vorzustellen...was dann aber nicht geschah. Wir alle einigen uns auf Sie, Herr Präsident, und
dann beginnt ihre Tour der Präsentationen...
zum Beispiel mit ihren Visionen für die Uni im Mineralogischen Museum. Hunderte Studenten aber demonstrieren auch damals wieder, sie kommen zum Teil mit Bussen aus Berlin. Ich dachte ehrlich immer, die wollten sie in Berlin loswerden- warum demonstrieren die denn hier?

Wir beide jedenfalls, zusammen mit ihrem damaligen Pressemann von der FU Berlin, sitzen im Dunkeln unterm Dach in einem verborgenen Kämmerchen. Während unten die Studenten  die Türen eindrücken und ihr Laptop klauen...das da oben war aus meiner Erinnerung ein richtig guter Moment. Sie erzählen, ich frage Sie aus...

Flucht durch geheime Gänge....

Was ich sowieso am liebsten mache. Als es so aussieht, dass die Studenten die Treppen  zu uns entern , führt uns dann der Hausmeister über einen geheimen Gang, durch schwere knarrende Eisentüren auf die andere Seite der Uni in die dunkle Stadt.
Sie, als noch nicht gewählter Präsident, haben sich dann erst mal in ihr Hotelzimmer zurückgezogen. Und wir, der noch verbliebene Hochschulrat trifft sich in einem ,nein, nicht: Hinterzimmer des Hotels Elysee. Wir als HSR wählen den Präsidenten, einstimmig. Dem stimmt dann auch der Akademische  Senat zu...und die Uni ist nicht mehr so ganz führungslos. Wobei Frau Löschper, ich erinnere das noch sehr gut, ein halbes Jahr Ihnen den Platz freigehalten hat und damals mühevolle Verhandlungen für den neuen STEP mit allen Fakultäten geführt hat. Den wir als Hochschulrat ja von der Universität eingefordert hatten. Mit klaren Zielen und Maßnahmen.

Als das Abendblatt dann titelt: „Die Uni bin ich“ und weiter:
„Ich bin Schwierigkeiten gewohnt“...treffen die Kollegen der Zeitung  ins Schwarze.
Nach diesem dunklen November 2009 erhoffen sich dann wohl alle ein wenig mehr Zentrierung auf die Uni-Sachthemen...
Von wegen. Denn jetzt geht es  ums Geld. Ums Geld für die Uni. Der Präsident gefällt uns sehr, wenn er poltert: er fühle sich von Sparplänen des Senats “persönlich getroffen“. Und wenn er ergänzt: „Hamburg bricht sein Wort...“
Das alles vor einem Rekordansturm der Uni: 45 Prozent mehr Studienplatzbewerber als 2010.

Die neue Senatorin nimmt der Uni das Geld weg

Die BILD fragt dann auch die frisch installierte Senatorin nach den Wahlen: „Warum nehmen Sie der Uni das Geld weg?“. Denn die neue Regierung streicht gemäß ihrer Wahlversprechen die Studiengebühren. Will sie zwar zu 100 Prozent ersetzen, aber die Botschaft hört man wohl. Allein es fehlt der Glaube. Die damalige Kanzlerin hat uns im Hochschulrat damals auch nicht unbedingt ermutigt, dass das alles null zu null für die Uni ausgehen würde.

Da unterschreiben der Präsident und die Senatorin eine Hochschulvereinbarung über die Leistungsverpflichtungen einmal der Uni und dann der Stadt. Das Budget ist ein sogenannter Globalzuschuss.
Wer allerdings dann auch noch die per Verfassungsgericht verordneten höheren Professorengehälter zahlt, war da noch nicht so klar...
Wenn jetzt schon die Hochschulen der Stadt alles andere als überfinanziert bezeichnet werden können.

Die Zukunftskommission schlägt zu....

Mit der neuen Regierung stirbt auch das Projekt Uni im Hafen. Die Uni soll in Eimsbüttel bleiben und
umgebaut werden. Als erstes der Campus an der Bundesstrasse.
Der Präsident ist nun drei Jahre im Amt und guckt, was so alles dringend noch angepackt und verändert werden sollte. Wir bekommen das immer schon im „Bericht des Präsidenten“ vorgetragen.....
Da erstellt  eine Kommission ein Zukunftskonzept der Uni. Bei der ganztägigen Präsentation höre ich aufmerksam zu und schreibe mit. Die Kanzlerin Katrin Vernau wirkt seltsam fern...sie hat sich wohl entschieden und geht dann ja auch im September 2012- mit einer beeindrucken Power-Point-Präsentation ihrer fast siebenjährigen Verwaltungstätigkeit...

Der Hochschulrat tritt seine dritte Amtszeit an.
Cornelie Sonntag-Wolgast kommt neu dazu, und erlebt einen alles andere als geruhsamen Sitzungsverlauf. Denn die von der Zukunftskommission empfohlene Änderung der Fakultätenstruktur regt alle gewaltig auf: die Dekane, nicht nur die betroffenen. Den Akademischen Senat, uns im Hochschulrat. Es wird mal wieder heftig diskutiert, hinter den Kulissen geschimpft,  seitenweise Papiere ausgetauscht mit allen Vor- und Nachteilen. Per Internet alle Studenten und Mitarbeiter der Uni befragt...
Wir alle wissen, das ist jetzt durch. Wie sagten Sie so schön Herr Lenzen: Die Uni bin ich...

Mit dem neuen Gesetz wird alles anders im Hochschulrat....


Dazu kommt die Diskussion um das neue Hochschulrahmengesetz. Das auf den Weg gebracht werden muss. Auch weil die Verfassungsrichter dies dem Hamburger Senat so verordnet haben.
Gut, dass die Drucker zuhause nicht streiken, bei dieser Menge an Papier. Heute haben wir ja wohl die nach drei Jahren jetzt endgültige Fassung vorliegen...
Der Hochschulrat wird darin einige seiner wesentlichen Aufgaben verlieren. Er wird wohl eher ein beratendes Gremium werden. Darum habe ich mich noch einmal auf die Suche nach der zehnjährigen aktiven Vergangenheit gemacht...

Maria von Welser/ Februar 2014