22.02.2015, Predigt in Simon-Petrus-Kirche.....und führe uns nicht in Versuchung

Das Vaterunser mit journalistischem Blick

   Wir alle kennen diese Zeilen in und auswendig. Murmeln sie oft automatisch vor uns hin. Jetzt aber soll ich diese Zeilen aus dem Grundgebet der gesamten Christenheit, dem Vaterunser, aus journalistischer Warte betrachten.

Ich habe mit einer Selbstbefragung begonnen: wann war ich, sind wir Journalisten in Versuchung? Wie kann uns Gott von dem Bösen denn erlösen? Wo ist es, wo ist es versteckt?

Mein Verständnis von meinem unverändert geliebten Beruf ist es, wahr, authentisch, ehrlich zu berichten. Ethik und Moral halte ich für unverzichtbar. Im Journalismus- und überhaupt im Leben. Das klingt jetzt ein wenig hochgestochen

Vielleicht ein Beispiel: in meinem aktuellen Buch “Wo Frauen nichts wert sind- vom weltweiten Terror gegen Mädchen und Frauen“ bin ich in die Länder gereist, die auf der UN-Liste auf den ersten drei Plätzen stehen. Als diejenigen Länder, in denen es am lebensbedrohendsten ist, als Mädchen geboren  zu werden, als Frau zu leben.

Ich bin dort hin gereist, weil ich selbst recherchieren wollte. Die Menschen sehen, hören, spüren. Sie fragen, ihnen zuhören. Nachfragen und eine zweite Geschichte dazu anhören.  Und nicht im Internet  suchen und abschreiben, oder copy and paste, wie einst ja ein bekannter Verteidigungsminister. Nein, eben gerade nicht aus  Büchern alles zusammentragen. 

Sicher: Wenn es um die geschichtlichen Zusammenhänge geht, wird es schon schwerer. Da muss man sich dann tatsächlich auf Quellen verlassen. Aber möglichst auf mehrere...

Natürlich ist die zweite Version weniger aufwendig, weniger teuer, weniger stressig  - alles zusammenzulesen, zusammen zu schreiben. Und es geht auch viel schneller, glauben Sie mir. Aber da kommt noch so eine, meine Erkenntnis, dazu: die Leser und Leserinnen, die Hörerinnen und Hörer, die Zuschauerinnen und Zuschauer sind nicht blöd. Die merken, ob etwas authentisch ist, ob hier ehrlich recherchiert wurde, oder ob die Autorin die Reporterin, irgendwo abgeschrieben hat.

Mir fällt da eine Szene ein, die ich nicht vergesse, und die mich damals ziemlich aufgeregt hat. Bosnien-Krieg, 1993 Sarajewo, Die

Stadt seit drei Jahren eingeschlossen. Alle internationalen Fernsehsender, alle Radiostationen, die schreibende Zunft  vor Ort. Im zerbombten Postgebäude hatten wir noch ein paar stabile Mauern vorgefunden und vor allem ein intaktes Dach darüber. Platz für unser technisches Equipment, die Schneidemaschinen, die Satelliten-Übertragungstransponder, die Kameras und Bänder-damals gab es noch keine chips.

Ein Kollege von RTL ging vor das Haus für einen Aufsager. Er hatte der Redaktion von Granaten und permanentem Beschuss berichtet. Die wollten ganz schnell was von ihm haben. Und ich denke ich sehe  nicht recht: unten auf der Strasse, der gefürchteten Sniper-Alley, packte er einen alten Autoreifen, rollte ihn hinter sich und zündete ihn an. Rauch quoll in den Himmel und er sprach live in die Kamera seinen Aufsager. So nennen wir unsere kleinen Stand-ups.

Er wollte einfach Eindruck schinden in der Redaktion. Etwas verschlimmbösern- was sowieso schon dramatisch genug war. Denn es krachten Granaten ein in der Stadt, die Sniperschützen zielten präzise und man musste schon schnell auf der Strasse im Auto unterwegs sein, damit sie einen nicht trafen.

In diesem Augenblick aber war es erstaunlich ruhig. Bis auf den redenden Reporter vor dem rauchigen Hintergrund...

Unsere Redaktion hat das natürlich gesehen und wollte da auch gleich schalten...ich gestehe, da ist man als Journalistin ein wenig in der Zwickmühle. Schnell auf Sendung gehen? Eindruck schinden wie der Kollege...? Der Reifen qualmte noch..aber sonst blieb es ruhig. Und nach einem kurzen Aufschnaufen habe ich den Kollegen in der Aktualität in Mainz beim ZDF erklärt: 1.dass es ganz ruhig ist. Und auch 2. die Wahrheit berichtet, vom Autoreifen, der, oh Wunder, plötzlich brannte und qualmte....

Solche Situationen gibt es immer wieder im Leben eines Reporters draußen vor Ort. Die Redaktion wünscht sich etwas ganz bestimmtes- Du kannst es so nicht liefern. Die Wahrheit sagen? Womöglich die ganze Geschichte gefährden? Umsonst recherchiert haben? Kluge Chefredakteure kennen das, fordern nichts, was der Reporter, die Reporterin, die Schreiberin nicht wirklich auch liefern kann.

Kluge Chefredakteure gibt es GottseiDank noch immer in der Mehrzahl. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in den großen Tageszeitungen.

Im Internet- da guck keiner nach. Ob es wirklich stimmt. Da kann jeder schreiben, senden auf youtube zum Beispiel, was er gerade für richtig hält.

Da würde ich mir einen Ethik- und Moral-Intensiv-Kurs wünschen. Aber da bin ich, glaube ich, eine ewig-gestrige oder von einem anderen Stern. Der Zug scheint abgefahren....

Noch einmal zur Erinnerung unser Thema:.....Und führe uns nicht in Versuchung- sondern erlöse uns von dem Bösen.

Im Fernsehen sehen wir seit ungefähr drei Jahren die gleichen Bilder: flüchtende Menschen, wackelige Boote, erschöpfte Frauen und Männer und Kinder, in Decken gehüllt.

Dazu dann Demonstrationen in Deutschland, zum Beispiel von Pegida, den Menschen die gegen eine vermeintliche Islamisierung auf die Strasse gehen...

Islamisierung? Wer hat denn da nicht aufgepasst?

Wir Christen haben uns zur Mitmenschlichkeit verpflichtet. Wir Christen in Deutschland aber regen uns darüber auf, dass das Boot voll sei? Dass wir,

81 Millionen Menschen, keine 200 000 Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen können. Egal woher? Dass wir den Menschen aus den Kriegen in Syrien, aus dem lebensbedrohenden Dasein in Afghanistan und nach  den Dramen in  Afrika keine Bleibe anbieten können?

Sind wir doch andererseits jedes Jahr an Weihnachten gerührt, wenn die Mutter Maria mit dem Josef keinen Platz in der Herberge findet? Wenn sie im Stall das Jesuskind gebären muss?

In Jordanien, mit 6,5 Millionen Einwohnern, haben 1,5 Millionen Flüchtlinge in Zeltlagern diesen Winter überstanden. 1 Million Flüchtlinge haust im Süden der Türkei, nahe der irakischen Grenze in neu aufgebauten Zeltstädten, mit von der Regierung geschaffener Infrastruktur. Die Türkei zahlt klaglos.

Aber den internationalen Hilfsorganisationen ist in diesem Winter das Geld ausgegangen- wie bitte?

Wir spenden alle wir verrückt bei Naturkatastrophen- aber den syrischen Flüchtlingen, den jesidischen Frauen und Kindern stehen wir nicht bei? Was schnürt uns da das Herz zu, den Geldbeutel ab? Die Hilfsorganisationen, und die UN in New York sind sprachlos und jetzt auch erst mal: Hilflos. Und Pegida marschiert in Dresden und behauptet unsere Gesellschaft würde islamisiert. Was geht in diesen Menschen vor? Sind sie böse? Nein- wohl eher nicht. Sondern einfach nur: ungebildet. Sie rennen Einzelnen hinterher. „..und führe uns nicht in Versuchung“...

..sondern  erlöse uns von dem Bösen.“

Wie geht das denn? Vielleicht erst ganz zum Schluß, am Lebensende. Dann fällt uns dieser Satz noch ein, der ultimative, letzte Satz. Bevor wir gehen, bevor wir sterben. Denn davon bin ich überzeugt: wir alle, jeder von uns, hat ein tief verankertes Gefühl für das Böse und das Gute. Jeder weiß, wann er etwas Böses getan hat. Und darum bitten wir dann ja auch zum Ende unseres Lebens, oder am Ende eines Tages:

erlöse uns von dem Bösen. Und hoffen, dass dann alles gut wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich habe früher noch „von allem Übel“ gelernt. Bis sich kluge Religionswissenschaftler über den Text des Vaterunser gemacht haben, und das Übel mit dem Bösen ersetzt haben. Das Gebet ist ja schon in der Bibel nachzulesen. Aber:  in Jesus Muttersprache, dem Hebräischen. Die Übersetzungen sind lateinisch und griechisch. Martin Luther hat dann das Vaterunser ins Deutsche übersetzt und er fand in seiner lateinischen Bibel an dieser Stelle das Wort „Malum“. Das hat er mit „Übel“ übersetzt. Aber „Übel„ klingt ja auch wie eine Naturkatastrophe oder eine üble Krankheit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Und deshalb heißt es jetzt: „Erlöse uns von dem Bösen“. Was in sich bedeutet, dass das Böse eine Macht ist, die nach uns greifen kann – und vor der uns Gott erlösen kann. Wir bitten ihn von ganzen Herzen genau darum.....