02.09.2019, Kein Mensch verlässt freiwillig seine Heimat

Ein Plädoyer für die Integration

Dinner Speech in der Villa Rothschild, Königsstein ( 2.9.2019)
Von Maria von Welser
Publizistin und TV-Journalistin

Begrüßung
Über das menschliche Kapital und die Beziehung zum Arbeitsmarkt haben Sie ja heute Nachmittag schon viel gehört. Auch mir geht es um Menschen, aber das Wort Kapital im Zusammenhang mit Menschen, gar mit Geflüchteten liegt mir da schwer auf dem Herzen.
Mir geht es heute um die Diskussion in Deutschland, jetzt nach den Wahlen in Brandenburg, u. Sachsen. ERGEBNISSE
Aber auch um klare Fakten und Zahlen, damit eben nicht Lügen oder fake news die Diskussion bestimmen.

Zuerst einmal ist es wichtig zu wissen: es werden Jahr für Jahr weniger Menschen , die in Deutschland Asylanträge stellen. Während weltweit die Zahl der Geflüchteten zunimmt. Derzeit aktuell sind es 68.8 Millionen, mehr Menschen als in Frankreich leben.
Hier in Deutschland haben im ersten Halbjahr rund 20 000 syrische Geflüchtete einen Asylantrag gestellt. Insgesamt hat bis jetzt rund eine halbe Million Syrer Asyl erhalten. In der Türkei sind 3,8 Millionen Syrer klaglos aufgenommen worden. Die die Türken seit einigen Wochen versuchen wieder loszuwerden...

Der Libanon beherbergt fast eine Million, Jordanien 670 000. Sieben von acht Flüchtlingen der Welt aber finden in Bangladesh, in Pakistan und im Libanon Zuflucht- nicht im reichen Europa. Und schon gar nicht in Deutschland. Die 2,7 Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan hängen zur Hälfte in Pakistan und zur anderen Hälfte im Iran fest . Nach Deutschland gelangten rund 120 000.
Und im Mittelmeer ertrinken täglich Hunderte, Menschen vor allem aus Eritrea, aus Nigeria, aus dem Sudan. Wir sehen zu, gucken im Fernsehen die Bilder, bei WhatsApp, auf Instagram und auf facebook. Und fragen uns: wie geht das weiter?

Ein Blick auf die Krisenerde: In Syrien tobt seit nun 8 Jahren der Krieg. Syrer gegen Syrer. Im Land selbst, mit 20 Millionen Einwohnern mussten 6,5 Millionen ihre Häuser, Ihre Dörfer und Städte vor den Fassbomben, den Gewehrsalven und Granaten von Assad verlassen.
Afghanistan ist alles andere als ein sicheres Land. 31 von 35 Provinzen sind in Händen der Taliban. Die derzeit in Katar mit den Amerikanern über deren Abzug verhandeln. Insgesamt beschützen 43 250 Soldaten aus 40 Ländern die Menschen dort. Aber: Wer es sich leisten kann, der flieht. Überwiegend jüngere Männer....Kosten Flucht.

In Libyen, einem failed state, mit derzeit drei sich gegenseitig bekämpfenden vermeintlichen Regierungen, harren nach Aussagen der Flüchtlingsorganisationen 650 000 Menschen in schrecklichen Lagern aus, oder schon an der Küste im Maquis, und warten auf ein Boot. Sie haben eine höchste gefährliche Flucht durch die Sahara hinter sich.

Das ist die aktuelle Situation. Und Sie werden mir Recht geben: keiner dieser Geflüchteten verlässt freiwillig seine Heimat. Das war noch nie so, und wird nie so sein.

Dann wenden wir uns doch unsrem Land zu. 1,7 Millionen Geflüchtete sind hier registriert. Übrigens 74 Prozent von ihnen unter 30 Jahre alt. Wir haben, so die Zahlen aus dem BAMF, seit dem Flüchtlingsstrom auf der Balkanroute 2015 43,25 Milliarden Euro zur Unterstützung der Situation dieser Menschen ausgegeben. Bis 2021 sollen es 15 Mrd im Jahr sein. Das Geld geht in Unterkunft, Verwaltung und Betreuung, in Sprachkurse und medizinische Versorgung.
Zwei von drei Geflüchteten beziehen Hartz IV darunter auch Kinder und Menschen, die zwar einen Job haben, aber aufstocken müssen.( Zahlen vom Dezember 2018)

Inzwischen haben erfreulicherweise fünf Mal so viele Migranten Beschäftigung wie zu Beginn der Flüchtlingskrise. Die Jobintegration gelingt sogar ein halbes Jahr schneller als bei früheren Flüchtlingsströmen. Denn: Arbeitskräfte sind gefragt wie nie ....Sie wissen das genau.
Dabei möchte ich doch daran erinnern, dass die Aufnahme von Flüchtlingen nach unsrem GG ein humanitärer Akt ist und kein Geschäft. Auch wenn es in der Diskussion zum Thema Flüchtlinge in Deutschland hilft, zu wissen, dass das investierte Geld wieder in den innerdeutschen Wirtschaftskreislauf, geht, in Kleidung, Unterkunft und Lebensmittel.

Sicher: es wird dauern bis eine solche Rechnung aufgeht. Aber: Sie wird aufgehen. Fachleute haben ausgerechnet, dass die Geflüchteten spätestens in zehn Jahren Steuern und Sozialabgaben errichten werden. Und sicherlich mehr, als anfangs Transferleistungen beantragt wurden.
Aber richtig ist auch: die Aufnahme von Flüchtlingen ist nicht einfach für die einheimische Bevölkerung. Das war so nach dem Zeiten Weltkrieg, als Millionen Deutsche aus dem Osten fliehen mussten und in den Bundesländern hier aufgenommen werden mussten, das war so als in den fünfziger Jahren die Gastarbeiter aus dem Süden kamen,

als in den 90er Jahren rund 2,5 Millionen Russlanddeutsche hierher reisten, rund 300 000 Menschen aus Bosnien, ganz zu schweigen von 1989, als die Mauer fiel und 16 Millionen ehemalige DDR-Bürger zusammenwachsen sollten mit den Westlern. In solchen Situationen geht es natürlich auch immer um Wohnungen, um Kindergartenplätze, Sozialleistungen und um Arbeit. Aber das hat sich immer und immer schon gelohnt...ganz zu schweigen davon, dass es ein Akt tiefster Mitmenschlichkeit ist, anderen nach einer Flucht zur Seite zu stehen.

Aber jetzt zu einem ganz bitteren Thema nicht-gelingender Integration.
Als im Sommer die Bilder von der Balkanroute über die Sender flirrten, habe ich mir die Augen gerieben: wo bitte sind die Frauen und Kinder abgeblieben? Ich habe sie dann in den Flüchtlingslagern im Libanon, in Jordanien, in der Türkei und auf den griechischen Insel gefunden.
Da sitzen sie bis heute fest. In der Türkei in Zelten des Militärs, die meisten jedoch in leerstehenden Häusern, modrigen Zimmern, Ruinen. Seit der EU-Türkei-Vereinbarung vom März 2016 gehen 3,4 Milliarden Euro in die Türkei.

Nicht zu Erdogan, sondern in die Hilfsorganisationen, um die syrischen Geflüchteten zu unterstützen und sie vor allem vor dem Übersetzen von der Westküste der Türkei nach Griechenland, also nach Europa zu hindern. In den aktuellen Meldungen aber lese ich, jetzt kommen wieder Nacht für Nacht die Boote....
Wie damals, als ich auf Lesbos recherchiert habe. Nacht für Nacht kamen rund 2000 Menschen auf wackeligen Schlauchbooten durch die Nacht, um sich weiter auf den Fluchtweg auf der Balkanroute nach Deutschland zu machen. In einem Jahr rund 900 000 Menschen.

Das scheint jetzt vorbei. Der Flüchtlingspakt gilt als Erfolg. Die griechischen Inseln in der Ägäis aber sind für diejenigen, die aus der Türkei geflohen sind, bis heute zu menschenunwürdigen, schrecklichen Endlagern geworden, aus denen kaum mehr einer herauskommt. Sie vegetieren zwischen Pappkartons, Planen und Plastikflaschen, z. .b auf Lesbos im alten Militärlager Moria, das mit 13 000 Menschen hoffnungslos überfüllt ist. Sie kommen nicht weg, weil die Griechen es nicht schaffen, ihnen über das Internet Zugang zu den Botschaften zu verschaffen, damit sie einen Asylantrag stellen können.

Dazu zur Erinnerung 1 Million Menschen im Libanon, - 670 000 In Jordanien. Überwiegend Frauen und Kinder. Die Männer, die die Flucht geschafft haben, die hier in Deutschland Asyl erhalten haben, oder subsidiären Schutz, sind verzweifelt, weil ihre Frauen, ihre Kinder dort nicht wegkommen. Jetzt sind im Monat 1000 Visaanträge erlaubt. Seit Einführung dieser Regelung zum Familien-Nachzug konnten rund 10 000 Angehörige nach Deutschland kommen. Erinnern Sie sich noch? Horst Seehofer unkte, es kämen jetzt 230 000 Menschen zusätzlich hierher. auch so eine Lüge, oder eine fake news. Und vor allem: Öl ins Argumentationsfeuer der AfD. Mal wieder.

Dabei ist die größte Hürde für die Frauen und Kinder die Botschaft in dem Land, in dem sie vor dem Krieg Zuflucht gefunden haben. Ich habe in Beirut Tausende anstehen sehen um einen Termin in der deutschen Botschaft. Das gleiche gilt für Amman in Jordanien. In Ankara gelingt das den Türken besser.....

Dabei fordern wir doch alle immer Integration. Nur wie soll die gelingen, wenn die Väter, Ehemänner und halberwachsenen Söhne hier in Deutschland sitzen und nur über das mobile Telefon und das display Kontakt zu ihren Lieben haben. Wie sagte ein kleines Mädchen in einem Papier-Zelt- einem ITS- im Bekaa-Tal im Libanon zu mir: „wir wollen doch nur wieder eine Familie sein.“

Sicher: im geordneten Deutschland funktioniert jetzt viel, und vieles sehr gut: die Dauer für Asylantragsverfahren ist deutlich gesunken, die Verweildauer in den Ankunftscentern ist ebenfalls geringer, wenn ein Asylantrag genehmigt wurde. Nicht besser ist es für diejenigen, die nicht anerkannt wurden, die entweder abgeschoben werden sollen oder nur geduldet sind. Da dauert es über sechs Monate, was gesetzlich eigentlich nicht erlaubt ist...

Dabei möchte ich zum Schluss doch noch einmal erwähnen, was sie alle wissen: wir sind eine alternde Gesellschaft. Wir leiden dramatisch unter einem Fachkräftemangel, wir können die geflüchteten Menschen hier gut gebrauchen, wir müssen sie nur integrieren. Ihnen Chancen geben, sie deutsch lernen lassen, ihre Zeugnisse fair bewerten. Ist das so schwer, bei einem Volk mit 83 Millionen Einwohnern?

Die gute Nachricht, vom August 2019: 40 Prozent der Geflüchteten in erwerbsfähigem Alter gehen einer Beschäftigung nach. Damit, so das Berliner Institut für empirische Integration- und Migrationsforschung, ist die Integration in den Arbeitsmarkt etwa ein Jahr schneller verlaufen, als man es bei den früheren Flüchtlingsbewegungen festgestellt habe. Das ist doppelt erstaunlich, weil damals, als der berühmte Satz von Frau Merkel fiel “wir schaffen das“, als Beispiel die mindestens auf eine Billion Mark Kosten geschätzte Wiedervereinigung genannt wurde. Davon ist der finanzielle Aufwand für die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt weit entfernt.

Inzwischen gelingt ja auch, Flüchtlinge nicht nur als hochqualifizierte Akademiker einzustellen, sondern auch ohne formalen Berufsabschluss, aber eben mit ausreichender Berufserfahrung, zu beschäftigen. Denn im Gegensatz zu den Großkonzernen hat auch der Mittelstand durchaus Bedarf an neuen Arbeitskräften.
Gering ist, und das will ich als frauenpolitisch interessierte und engagierte Journalistin nicht verhehlen, die Beschäftigungsquote der Frauen. Oft sogar hier geringer als in den Herkunftsländern. Arbeitsmarktforscher vermuten, dass es damit zusammenhängt, dass vor allem jüngere Frauen gekommen sind, viele junge Mütter, die familiär eingespannt sind, oft mit mehreren Kindern. Hier ist noch Handlungsbedarf....

Und sonst? Alles gut?? Nein,
Wir brauchen dringend ein funktionierendes Einwanderungsgesetz. Nicht so eine halbe Lösung wie das „Fachkräfte-Einwanderungsgesetz“ . Wir brauchen ein verständliches und einfaches Einwanderungsgesetz. Wir brauchen dazu einen Spurwechsel vom Asylrecht ins Einwanderungsrecht. Damit subsidiär Geflüchtete, die eine Berufsausbildung hinter sich bringen, dann auch bleiben können. So wie das der einstige Bundespräsident Richard von Weizsäcker vor 15 Jahren schon forderte und damals Angela Merkel beschwor, ein Einwanderungsgesetz, das auch diesen Namen verdient, auf den Weg zu bringen. Da muss etwas geschehen, auch und gerade wenn Integration gelingen soll und muss.