19.08.2019, Warum wir die Kinderechte ins Grundgesetz schreiben müssen

Vortrag bei Rotary am 19. August 2019

Von Maria von Welser/ UNICEF Deutschland-Komitee-Mitglied

BEGRÜSSUNG

Frage: wer hat Kinder? Wer hat Enkelkinder?
Zweite Frage: wer hat Tiere?
Sie sind irritiert, das verstehe ich. Ich bin es schon seit langen Jahren. Denn der Schutz der Tiere steht im Grundgesetz- der der Kinder, unserer Kinder nicht.
Wie ist sowas möglich? Ich bin seit 1992 im Komitee von UNICEF Deutschland, davon war ich sieben Jahre auch Vorstandsvorsitzende, und ich kann es bis heute nicht glauben, dass es nicht gelingt Kinderrechte ins GG zu schreiben.
Tierschutz hat da besser funktioniert: das steht in unserem Grundgesetz:
"Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung."
Der Deutsche Bundestag stimmte dieser Formulierung am 17. Mai 2002 zu.
Vor bald 30 Jahren, am 20. November 1989, Jahren hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen das „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“, besser bekannt als UN-Kinderechtskonvention, verabschiedet. Der Grundstein für eine kinderfreundlichere Welt. Überraschenderweise haben damals fast alle Staaten unterschieben, bis auf Somalia und die Vereinigten Staaten von Amerika.
Deutschland unterzeichnete damals unter Bundeskanzler Helmut Kohl, allerdings mit Vorbehalt. Der betraf das Asyl- und Ausländerrecht. Diese Vorbehalte wurden unter Kanzlerin Angela Merkel zurückgenommen. Wenigstens das.
Aber sonst? Bis heute konnte sich keine deutsche Regierung entschließen, auch nicht die Sozialdemokraten, die Verpflichtung der Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz umzusetzen.

Jetzt sagen vielleicht die Juristen unter ihnen, wir haben doch den Paragraphen 6 im GG. Hier wird ja das Dreiecksverhältnis Eltern, Staat und Kinder geregelt. Aber bei Kinder heißt es da: Regelungsgegenstand. Das ist die Bezeichnung für Kinder. Regelungsgegenstand. Damit sind Kinder nicht eigenständige Rechtssubjekte sondern Objekte...keine Angst, ich bleibe nicht noch länger in der Formulierungssprache der Juristen hängen...
Wir sind gemäß des Art. 4 der UN KRK verpflichtet, die Bestimmungen in nationales Recht umzusetzen. Warum ist das wichtig für unsere Kinder?
O Vor allem geht es um das Kindeswohl, und die Briten übersetzen das viel klüger mit „the best interests of the child“.
Nur ein kleines Beispiel dazu. Eine Kommune will eine Straße, eine Stadt den Fluss ausbaggern, aber es ist nicht genug Geld da, für den längst geplanten zusätzlichen Kinderhort, für den Ausbau der Schule. Hier könnte das GG helfen im Sinne der“ best interests of the child“. Und ich kenne das aus manchen afrikanischen Dörfern: wenn die Frauen dort das Sagen haben, werden die Toiletten neben der Schule für Jungens und Mädchen getrennt gebaut und nicht die neue Straße zum Bürgermeister....
Schwerer wiegen die Fälle, in denen es um Vernachlässigung, oder Gewalt geht. Wenn die Polizei nicht eingreifen darf, weil zunächst die Familie (GG6) geschützt ist. Nicht aber das einzelne Kind. Ob die schweren Missbrauchs-Dramen aus Lüdge schneller aufgedeckt, oder verhindert werden hätten können, will ich nicht behaupten. Aber jetzt, wo mindestens 50 Kinder gehört werden, geschützt werden sollten, ihnen alle Hilfe zuteil werden muss, damit sie vielleicht wieder zurückfinden nach all dem Grauen auf dem Campingplatz, da würden diesen Kindern die Kinderrechte im GG helfen. Damit Eltern, Psychologen, Ärzte stets das Kindeswohl in Visier behalten, „for the best interests of the child“.
Ich kann nicht sehen, das Sie gerade denken. Aber ein Gegenargument in Deutschland ist ja immer: Kinder sind Kinder und keine Erwachsenen. Ja, klar. Das wissen alle, die die Kinderrechte im GG einfordern. Deshalb gibt es in den Vorschlägen für einen Kinderrechtsparagraphen auch eine kluge Einschränkung: das Kinderrecht richtet sich immer nach der „abnehmenden Bedürftigkeit und der wachsenden Einsichtsfähigkeit.“

Ist es das, was uns Erwachsenen in unserem Land so Angst macht? Verstecken wir uns hinter sogenannte Symbolpolitik? Die Österreicher haben 2011 ohne große Diskussionen die Kinderrechte in ihre Verfassung hineingeschrieben. In allen anderen europäischen Ländern ist die Forderung der Kinderrechtskonvention ebenso längst umgesetzt. Und zur Erinnerung: als der Paragraph 3 GG formuliert wurde in “Frauen und Männer sind gleichberechtigt“, da war auch erst von Symbolpolitik die Rede...aber es begann der Weg zu einer umfassenden Gleichstellungspolitik.
Sind wir wirklich in Deutschland noch so weit davon entfernt, Kinder als eigenständige Persönlichkeiten zu achten und in der Gesellschaft zu beteiligen? Wir diskutieren immer noch über den „klaps“, der angeblich noch niemandem geschadet habe. Haben uns sagen lassen, dass ein Ohrfeige zur rechten Zeit die Dinge wieder gerade rücken würde. Dabei wissen wir doch alle, dass aus geschlagenen Kindern wieder Eltern werden, die schlagen.
Kinderechte in GG garantieren eine gewaltfreie Erziehung. Noch nie hat Gewalt einen Menschen zum Besseren verändert. Früher nicht und heute nicht.
Laut Kinderrechtskonvention haben alle Kinder dieser Welt auch ein Recht auf Bildung. Aber wir wissen in Deutschland leider, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien, und in Hamburg lebt jedes 5. Kind unter der Armutsgrenze, dass diese Kinder deutlich auch und gerade in Sachen Bildung benachteiligt sind. Dabei ist klar: nur Bildung kann den Teufelskreis aus schlechten Schulnoten, fehlender Ausbildung und darauf folgender Armut beenden.
So fordere ich nun schon seit 1992, also seit 27 Jahren unverdrossen: Kinderechte ins Grundgesetz --steht übrigens auch im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung --aber das steht viel drin...
Herzlichen Dank.